Angeklagte bestreiten KZ-Brandanschlag

■ Prozeßbeginn gegen Brandstifter von Sachsenhausen

Potsdam (taz) – Noch vor wenigen Wochen füllten sie die Schlagzeilen nicht nur deutscher Zeitungen: der Eisenbahn-Freak Thomas H. (22) und der stotternde Sonderschüler Ingo K. (19). Gegen die beiden mutmaßlichen Brandstifter der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde gestern in Potsdam der Prozeß eröffnet. Den beiden Jugendlichen, die nach eigenen Aussagen rechtsradikalem Gedankengut nahestehen, wird vorgeworfen, im Herbst letzten Jahres die jüdische Baracke 38 in der KZ-Gedenkstätte mit Molotowcocktails abgebrannt zu haben. Die Anklage lautet auf Brandstiftung, Zerstörung öffentlicher Denkmäler und Verstoß gegen das Waffengesetz. Die Tat hatte weltweit, insbesondere in Israel, Entsetzen und Proteste ausgelöst.

Beide Angeklagten haben ihre bei der ersten Vernehmung abgegebenen Geständnisse inzwischen widerrufen. „Ich bin der Meinung, daß ich mit dem Brandanschlag nichts zu tun habe“, bestätigte Ingo K. gestern noch einmal dem Gericht.

Auch Thomas H. lehnt jegliche Beteiligung an der Tat ab, obgleich der Richter beiden in Aussicht gestellt hatte, daß „ein glaubhaftes Geständnis honoriert wird“.

Ein langer Indizienprozeß wird erwartet. Ingo K. und Thomas H. sollen der Anklage zufolge am 26. September 1992 vor dem Bahnhof Oranienburg vier Bierflaschen mit Benzin gefüllt haben, in der Absicht, auf dem Gelände der Gedenkstätte Feuer zu legen. Vom Bahnhof aus gingen sie dann zur Gedenkstätte, kletterten dort über die Mauer und warfen eine Flasche, die mit einem Taschentuch als Lunte versehen war, auf die Baracke. Sie schlugen dann ein Fenster der Baracke ein und warfen die restlichen Flaschen ins Innere. Die Baracke 38 brannte bis auf die Grundmauern ab, die benachbarte 39 wurde schwer beschädigt. Beide Baracken waren die einzigen erhaltenen Original-Unterkünfte in Sachsenhausen.

Nach Auskunft eines Justizangestellten wurden die Jugendlichen verhaftet, nachdem Ingo K. in einer Kneipe gegenüber Freunden geprahlt hatte, den Brandanschlag verübt zu haben. Dieses Gespräch wurde von einem Polizeibeamten belauscht, der später die Verhaftung veranlaßte. Nach der Festnahme gaben beide Angeklagten ein detailliertes Geständnis ab.

Das soll jetzt jedoch nicht mehr gelten. Ingo K. fühlte sich bei der Vernehmung unter Druck gesetzt. „Die haben mich reingelegt“, sagte er gestern vor Gericht. Nur weil er nach zehn Stunden Verhör seine Ruhe haben wollte, habe er schließlich gestanden. Außerdem beteuerte er, daß er zu so einer Tat nicht fähig sei, „weil ich doch ein Kind habe. Würde ich in den Bau gehen, würde mein Kind ohne Vater aufwachsen.“ Ingo K., dem nach eigener Aussage Lesen und Schreiben schwerfällt, gab gestern zu Protokoll, daß er den fraglichen Abend mit seiner Freundin und deren bereits erwachsener Tochter verbracht hatte.

Thomas H., der andere Angeklagte, meinte gestern vor Gericht, er könne sich nicht mehr daran erinnern, was er in der Tatnacht gemacht hätte.

Im Vernehmungsprotokoll hatten beide Angeklagten angegeben, daß sie den Brandanschlag nicht allein, sondern mit einer Gruppe Skins verübt hätten. Auf diese Gruppe, die beide Angeklagten angeblich noch nie zuvor gesehen hatten, waren sie am S-Bahnhof Pankow gestoßen. Dort wurde dann der Plan gefaßt, einen Brandanschlag auf die Gedenkstätte zu verüben. „Wir sind mitgegangen, weil wir sehen wollten, ob sie das wirklich machen“, gab Ingo K. bei der Vernehmung zu Protokoll. Die angeblichen Mittäter konnten bisher noch nicht ermittelt werden.

In den Wohnungen beider Angeklagter wurde allerdings rechtsradikales Material sichergestellt. So fanden sich bei Thomas S. Aufkleber der inzwischen verbotenen „Nationalistischen Front“.

Zum Abschluß des ersten Verhandlungstages machte Richter Przybilla deutlich, daß ihm nicht klargeworden sei, aus welchen Gründen beide Täter ihre detaillierten Geständnisse widerrufen hätten. Aufklärung erwartet er sich vom nächsten Verhandlungstag, am kommenden Donnerstag. Anja Sprogies