: Denkmalgeschützte Venusgrotte
Ortsbesichtigung: Der Betreiber der „Roten Villa“ in Friedrichshain kämpft an allen Fronten – um mehr Geld, gegen falsche Freunde und für die geplanten „Kulturexperimente“ ■ Von Kerstin Achenbach
Im Osten, diesem Dorado der Clubs und Szeneschuppen, herrscht Goldgräberstimmung. Es läßt sich bestens verdienen an den Hundertschaften von vergnügungssüchtigen Ur- und Wahlberlinern und den Wochenendwessis, die Freitag- und Samstagnacht nach „drüben“ pilgern. Werbekosten können entfallen, denn die Mundpropaganda funktioniert perfekt.
Noch weitgehend unentdeckt liegt die „Rote Villa“ in der Landsberger Allee, etwas abseits vom nächtlichen Geschehen, eingekeilt zwischen tristen Wohntürmen. Von außen deutet nichts darauf hin, daß sich hinter den abweisenden Gittertoren etwas anderes verbirgt als eine schweigende, vielleicht stillgelegte Fabrik. Wer sich mutig an die Pförtnerloge wagt, befindet sich plötzlich gefühlsmäßig irgendwo zwischen Frühschicht und Grenzstreifen.
Der denkmalgeschützte Bau wurde dem Maler und Ex-Kölner Kulturmacher Manfred Niepel von der Eigentümerin, der Dortmunder Brau und Brunnen AG, vertrauensvoll ans Herz gelegt. Auf zwei mal 250 Quadratmetern ziemlich maroder Fläche sollen „Kulturexperimente“ realisiert werden. Niepel ging mit Feuereifer ans Werk, renovierte mit Freunden und aus eigener Tasche. Entstanden ist ein karger Galerieraum und die bonbonfarbene „Venusgrotte“, die ungeahnt wandlungsfähig ist. Während der Ausstellung von Betty Stürmer im Dezember 92 wurde sie zur perfekt sterilen Kulisse für die Kaufrauschobjekte der Künstlerin, und die mitternächtlichen Varieté-Shows haben schon wegen der Verlorenheit der wenigen Gäste etwas von der Tristesse der 40er Jahre.
Doch Manfred Niepel hat ein Problem: Nach monatelanger No- Budget-Kulturarbeit fühlt er sich „als Einzelkämpfer“ überfordert, zumal die zahlreichen Hilfsangebote aus der sogenannten (selbsternannten?) Off-Szene sich als wenig hilfreich erwiesen und Manfred Niepel an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht haben. Als es nach der durchaus erfolgreichen und gut besuchten „Undervision- Party“ vom 19.Juni mit dem Mitorganisator Alfred Jones von der „Space Agency“ zur Abrechnung kommen sollte, fand sich Manfred Niepel mit zweihundert Mark abgespeist und mit Dreck, Chaos und offenen Rechnungen alleingelassen.
Jones habe die gesamten Einnahmen des Abends – bei 450 Besuchern rund zehntausend Mark – „an sich genommen, unverabredeterweise, indem er mit sieben Typen aufgetaucht ist.“ In Konsequenz dieses „Freundschaftsdienstes“ können nun weder fällige Getränkekosten noch neue Kulturprojekte finanziert werden.
Niepel, der den Sinn größerer Veranstaltungen darin sieht, neue Ausstellungen von unbekannten Künstlern zu finanzieren, fragt sich nun, wie es weitergehen soll. Frustiert von den anfänglich so kooperativen Nachtlebenden und Selbstdarstellern der Szene, ist Niepel zu der Erkenntnis gekommen, daß „der erste ehrliche Satz, den diese Leute sagen könnten: ,Ich will Knete!‘ wäre.“
Ehrlicherweise räumt er jedoch ein, zu „gutmütig“ gewesen zu sein. Er will sich fortan nur noch auf vertraglich Festgelegtes einlassen und den obskuren „Angeboten zur Imagebildung“ aus der selbstverliebten Szene kein Gehör mehr schenken.
Seine Gutmütigkeit könnte ihn im schlechtesten Falle das Projekt kosten – aber noch ist Manfred Niepel optimistisch. Bei der gerade verhalten angelaufenen Ausstellung des Künstlers und „Brunnenbauers“ Markus Wirthmann mußte zwar gespart werden, aber sie läuft... im besten Sinn des Wortes.
„Rote Villa Berlin“, Landsberger Allee 54, Friedrichshain
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