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Solidarność auf dem Weg ins politische Abseits

■ Die Übernahme von Regierungsverantwortung zerriß die Gewerkschaft

Es war der endgültige Schlußpunkt von 12 Jahren Gewerkschaftsgeschichte, was da Ende Juni in Zielona Gora geschah. Aus Furcht, der Präsident könne sie von ihren bereits getroffenen Entscheidungen abbringen, luden die Delegierten des fünften Gewerkschaftstages der Solidarność ihren einstigen Vorsitzenden Lech Walesa nur für die letzten zwei Stunden ein. Der lehnte ab: „Das ist nicht mehr meine Solidarność“, verkündete er am selben Abend, „die Solidarność, die ich aufgebaut habe, war für andere Argumente immer offen. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber das ist nicht mehr meine Solidarność.“

Schon seit Jahren ist die Gewerkschaft, die einst eine Volksbewegung war, auf dem Weg ins politische Abseits. Der Prozeß begann mit dem Runden Tisch 1989, als die Gewerkschaft versuchte, politische Verantwortung zu übernehmen. Als Protestbewegung hatte sie 1981 zehn Millionen Mitglieder gehabt und an ihrer Spitze saß, als Berater oder Funktionäre, fast die gesamte polnische nichtkommunistische Elite. Solidarność hatte Autorität im In- und Ausland, nach den Streikwelle Ende der achtziger Jahre war sie für die Kommunisten der einzige Partner für den Dialog. Daß sie sich darauf einließ, muß ihr das Rückgrat gebrochen haben. Kaum hatte sie die Mitverantwortung für die Regierung Mazowiecki übernommen, stand sie auch schon vor einem Dilemma, das schließlich zu ihrer Spaltung und Marginalisierung führte: Sollte sie unter den neuen, pluralistischen und marktwirtschaftlichen Bedingungen Volksbewegung bleiben und damit politische Verantwortung behalten oder sich auf die Rolle als Gewerkschaft zurückziehen?

Das Dilemma wurde nie gelöst und zerriß die Gewerkschaftsbewegung. Engagierte sie sich in der Politik, liefen ihr die Mitglieder und Belegschaften davon, denn auf jede gewerkschaftliche Forderung der Solidarność konnten die postkommunistischen Branchengewerkschaften, die nicht von politischen Rücksichtnahmen eingeengt waren, drei weitergehende setzen. Zog sie sich auf ihre Gewerkschaftsrolle zurück, destabilisierte sie die innenpolitische Lage und brachte jene Regierungen zu Fall, die sie erst ermöglicht hatte. Dann liefen ihr die Intellektuellen, die Politiker und die Berater von früher davon. Dem unentwegten Aderlaß hatte die Gewerkschaft nichts entgegenzusetzen.

Gleichzeitig verwandelte sich Solidarność, die in den achtziger Jahren ein Symbol der Toleranz, des Pluralismus und der Liberalität gewesen war, so zu einer Festung für frustrierte Populisten aus der zweiten und dritten Reihe. Geführt wurde sie nun von zu kurz gekommenen Stammtischtribunen, von denen in den achtziger Jahren kaum einer gehört hatte. Bekannte Köpfe der Gewerkschaft, die sie aufgebaut und ihr Engangement nicht selten mit Gefängnis und Verfolgung bezahlt hatten, wanderten in Regierung, Verwaltung und politische Parteien ab. Als letzter ging nun Lech Walesa, der die Hoffnung gehabt hatte, Solidarność werde eine der Pfeiler seines „Parteilosen Blocks zur Unterstützung der Reformen“ werden.

Der Block, gedacht, die Parteienverdrossenheit in Polen zu kanalisieren und die präsidiale Macht zu stärken, war der letzte Nagel zum Sarg der Solidarność. Das „Netz“, eine innergewerkschaftliche Fraktion der Belegschaften der Staatsbetriebe, schloß sich Walesa an. Die Gewerkschaft beschloß dagegen, mit einer eigenen Liste in die Wahlen zu ziehen und das Verhalten des „Netzes“ als „schädlich“ zu verdammen.

Die Antikommunisten würden ihren einstigen Gegnern immer ähnlicher, fand die Presse einmütig, denn die Kandidaten der Gewerkschaftsliste sollen nicht von den Regionen, sondern von der Gewerkschaftsspitze festgelegt werden – genau so also, wie das früher die Parteileitung der Kommunisten tat. Bei einem demokratischen Vorgehen hätte nämlich, so die Überlegungen der Solidarność- Spitze, die Gefahr bestanden, daß jene Solidarność-Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode, die sich nicht am von ihnen verordneten Sturz der Regierung Suchocka beteiligten, wieder auf die Kandidatenliste kommen. Das aber wollte die Gewerkschaftsspitze um jeden Preis verhindern. Das Ergebnis dieser Aktion freilich war ein unerwünschtes. Denn jetzt nahmen auch noch die letzten Vorkämpfer der einstigen Bürgerbewegung Solidarność ihren Hut: Bogdan Borusewicz aus Danzig, Jan Rulewski aus Bydgoszcz und Wojciech Arkuszewski aus Warschau. Und so haben nun endgültig rechtsgerichtete Populisten wie der Warschauer Gewerkschaftschef Maciej Jankowski das Sagen. Ihr Ziel ist es, die postkommunistischen Branchengewerkschaften, die dreimal soviel Mitglieder wie Solidarność haben, mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen – mit Forderungen, deren Erfüllung letztendlich auf die Wiedereinführung der zentralen Planwirtschaft, zunächst aber mit Sicherheit auf Hyperinflation und eine Vervielfachung des Budgetdefizits hinauslaufen würde.

Rein gewerkschaftlich und unparteiisch ist diese Linie auch nicht – sie deckt sich weitgehend mit den Forderungen der rechten Oppositionsparteien wie Zentrum und „Bewegung für die Republik“: „Durchleuchtung“ Stasi-Verdächtiger, Berufsverbote für Kommunisten, Enteignung der Nomenklatura-Firmen sind Forderungen, die mit dem Gewerkschaftsimage, das Solidarność-Chef Marian Krzaklewski vor zwei Jahren durchsetzen wollte, wenig zu tun haben.

Ex- und Noch-Mitglieder der Solidarność werden so bei den Wahlen im Herbst auf mindestens drei verschiedenen Listen gegeneinander kandidieren. Auf der von Walesas Präsidialblock treten die Kandidaten des „Netzes“ an, die Gewerkschaftsspitze wird ihre eigene Liste aufstellen und die Dissidenten um Arkuszewski werden aller Voraussicht nach von der Liste der Demokratischen Union aus starten.

Ob die Gewerkschaftsliste die Chance hat, die Fünf-Prozent- Hürde zu nehmen, wagt niemand vorauszusagen. Mit der Solidarność, die vor vier Jahren den friedlichen Machtwechsel in Osteuropa erkämpfte, hat das nichts mehr zu tun. Und selbst wenn der Solidarność der Einzug ins Parlament gelingt, bedeutet das nur, daß es eine Protestpartei mehr im polnischen Sejm geben wird. Eine Splittergruppe also, die in erster Linie den polnischen Rechtsparteien nutzt. Klaus Bachmann

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