piwik no script img

Im Einkaufswagen der Geschichte

■ Kompetente fordern: Jürgen W. Möllemann muß neuer Präsident werden

Der alte Bundespräsident ist endlich aufgebraucht, ein neuer muß her. Wer denkt da nicht sofort an Willy Millowitsch? Ich nicht. Ich denke zuerst an Rolf Schmidt- Holtz. Die Diskussion jedoch dreht sich leider um andere Kandidaten:

Zu allererst nervte uns die Woche mit ihren zehn postblöden Plädoyers für Ignatz Bubis, „obwohl und nicht weil er Jude in Deutschland ist“. Der Stern bevorzugte daraufhin den Verfassungsrichter Roman Herzog, Focus hatte Hans- Dietrich Genscher vor der Linse, und Capital wollte gar Edzard Reuter ins Rennen schreiben. Der einzige ernstzunehmende Vorschlag in dieser leidigen Angelegenheit kam vom Satiremagazin Eulenspiegel, das für Pierre Littbarskis Wahl zum Bundespräsidenten plädierte, „obwohl und nicht weil er Fußballer in Deutschland ist“ (nachdem sich unter den sogenannten Intellektuellen keine Sympathie für einen Präsidenten Littbarski abzeichnete, ging er nach Japan).

Um die Sache endlich ins reine zu bringen, hat sich nun das endgültige „Nachrichtenmagazin“ (Harald Schmidt) Titanic zu Wort gemeldet. Die Redakteure Christian Schmidt und Hans Zippert befanden es für Wahnsinn, in dieser wirtschaftlich kritischen Situation „Greise, Frauen, Vertreter irgendwelcher Minderheiten oder verdruckste Molekularbiologen“ für das Amt des obersten Repräsentanten unseres Landes vorzuschlagen. Spontan gründeten sie das „Komitee für kompetente Demokratie“. Ein Komitee, das laut Presseinformation nur ein einziges Ziel hat: dafür zu sorgen, daß der nächste Bundespräsident Jürgen W. Möllemann heißt. Möllemann. Der Fallschirmspringer. Der „Entertainer der Nation“ (Rudolf Dreßler), der „verantwortungslose Schwätzer“ (Theo Waigel). Der Mann, der als FDP-Vorsitzender in Münster morgens um fünf Uhr immer die Radio-Sender anrief, damit er auch mal in die Nachrichten kam. Der Ex-Bildungsminister, auf den Herr Hanf und ich seinerzeit während eines Auftritts in der Uni Münster die mitgebrachten Eier nicht zu werfen wagten, da um uns herum lauter so komische Junge-Union-Heinis applaudierten (die Eier ließen wir unauffällig nach unten verschwinden; eine Tat, die unser Selbstwertgefühl doch empfindlich schädigte).

Eher skeptisch hörte ich mir bei der Pressekonferenz im Berliner „Café Einstein“ die Argumente der Komitee-Mitglieder an: der dicke Kabarettist Ottfried Fischer verwies auf das „gefällige Outfit“ Möllemanns, auf „den Wohlklang seiner Stimme“, die „Reinheit des Herzens und Schönheit der Seele“. Osman Engin, türkischer Schriftsteller aus Bremen, würde sich als Ausländer über den „türkophilen Schnauzbart“ dieses Bundespräsidenten freuen ,und Ingolf Lück lobte die vollendete Reimkunst des Münsteraner Volksschullehrers: „Hopfen und Malz — ab in den Hals“ habe dieser ihm beim letzten Zusammentreffen schlagfertig bedeutet. Wer könne „Einkaufswagen der Geschichte besser lenken als Möllemann“? Ich wurde schwankend. Es waren nicht unsere Schlechtesten, die dort saßen und Jürgen W. priesen. Als auch noch ein Independent-Musikant namens Wreckless Eric seine „neue, wundervolle“ Platte „The Donovan of Trash“ anpries und nebenbei erwähnte, daß „Möllemann für Deutschland“ das sei, „was der rotierende Lesley-Lautsprecher für die Hammondorgel“, da war ich fast gewonnen. Und als Harald Schmidt an Möllemanns Auftritt bei „Wetten daß?“ erinnerte, bei dem dieser unter der 15jährigen Franzi Almsick herumgaloppiert war — „das muß man sich mal klarmachen im Zeitalter des Schmuddelprozesses gegen Woody Allen, daß da jemand „ja“ sagt zum Menschen und auch zum Kind, auch zum Kind als Frau und zur Frau im Kind ...“ — da hätte ich sofort für Möllemann gestimmt.

Abends aber rief Herr Pehle an und votierte für Regine Hildebrandt, weil: das sei „noch viel geiler“. Recht hat er! Martin Sonneborn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen