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Der Finanzminister als Posträuber

■ Die englische Regierung will von Post kassieren, solange es sie noch gibt / Danach soll das Staatsunternehmen privatisiert werden, der defizitäre Paketdienst zuerst

London (taz) – Die gefährlichsten Posträuber Englands sitzen im Finanzministerium. Das stellt der Rat der Postkunden (Post Office Users' National Council) in seinem Jahresbericht fest, der gestern in London veröffentlicht worden ist. Demnach muß die Post im September die Preise erhöhen, weil das Finanzministerium in diesem Steuerjahr 250 Prozent mehr von der Post kassieren will als im vergangenen Jahr. Die Beute soll 181 Millionen Pfund betragen.

Diese drastische Erhöhung der Abgaben sei eine versteckte Steuer, die nicht nur zu einer Portoerhöhung führen werde, sondern auch zu einer Verschlechterung der Dienstleistungen, weil das Geld für notwendige Investitionen fehlen werde, warnt der Rat der Postkunden. Außerdem sei die Post ohnehin der Zahlmeister der Staatsbetriebe: Sie hat in den vergangenen zehn Jahren 766,7 Millionen Pfund ans Finanzministerium überwiesen – 68 Prozent der Gesamtabgaben aller staatlichen Betriebe.

Im September 1991 hat die Post das letzte Mal die Preise erhöht, die Gebühren jedoch für zwei Jahre garantiert. Grund für die damalige Erhöhung war eindeutig die Tatsache, daß der Paketdienst 24 Millionen Pfund Verlust gemacht hat, stellt der Rat der Postkunden fest.

Die Enthüllung kommt der Regierung höchst ungelegen, will sie doch gerade den Paketdienst so schnell wie möglich privatisieren. Die übrigen Postdienste sollen später folgen. Industrieminister Michael Heseltine will zunächst jedoch etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Der Untersuchungsbericht, den er im vergangenen Jahr bestellt hatte, löste nämlich wütende Proteste bei den Tory-Hinterbänklern aus, die um ihre Wiederwahl bangen müßten, sollten tatsächlich alle Landpostämter dichtgemacht werden, wie es der Bericht vorschlägt.

Die Regierung hatte den RentnerInnen in ländlichen Gegenden empfohlen, sich die Rente auf Girokonten überweisen zu lassen, statt sie wie bisher auf dem Postamt abzuholen. Der Rat der Postkunden monierte, daß diese Empfehlung der von Premierminister John Major propagierten Bürger- Charta widerspreche. Mit einer endgültigen Entscheidung über die Schließungen und die Privatisierung der Post ist aufgrund der allgemeinen Empörung erst im Spätherbst zu rechnen. Ralf Sotscheck

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