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„Jedes Kräuterl is a Wunda“

Österreich setzt auf die Tradition. Mit dem Konzept „Dorfurlaub“ lebt die verstaubte Sommerfrische im natur- und umweltbewußten Gewand wieder auf. Eine Reise in die „Erlebnis- und Wunderwelt Dorf“ nach Kärnten  ■ Von Günter Ermlich

Eine schwarzgrüngelbe Fahne wird hochgezogen. „Dorfurlaub- Information“ steht in saftigem Grün über dem Eingang zum Gemeindeamt. Davor hat sich eine knappe Hundertschaft eingefunden. Herausgeputzte Dörfler, einige Urlauber. Endlich! Das Kräutermobil, Marke Volvo, fährt vor. Heraus schält sich der populäre Kräuterpfarrer Weidinger. Die „Natur- und Kräuterwerkstatt wird eingeweiht.

Mit Wohlgefallen zitiert der Bürgermeister aus der Gazette Mein schöner Garten: „Daß Duft die Seele streichelt und bunte Blüten unser Gemüt erhellen ...“, und erinnert an den heimischen Fremdenverkehrsvers: „Wenn die Nerven knirschen, fahr nach Irschen!“ Der Dorfpfarrer gibt den „Segen für die Kräuterwerkstatt und den Fremdenverkehr“. Dann sprudelt Kräuterpfarrer Weidinger so deftig und zungenfertig los, als ob er schon diverse Kräuterschnäpschen intus hätte: „Jedes Kräuterl is a Wunda.“ Die bunt gewandete Frauensinggruppe intoniert das „Vaterunser“. Der Freiluft-Kräutergottesdienst ist zu Ende.

Irschen, auf einer Sonnenterrasse über dem Kärntner Drautal gelegen, hat „seine Urlaubsnische mit unberührter Natur und der vielseitigen umfassenden Verwendung von Kräutern gefunden“ (Katalog). Eine von 21 kleinen Gemeinden, die sich im letzten Jahr zum Verein „Dorfurlaub in Österreich“ zusammengeschlossen haben, um sich in einem Katalog besser vermarkten zu können. Heuer sind es schon 29, nächstes Jahr sollen es maximal 40 sein. Mitgliedsbeitrag pro Dorf: 40.000 Schillinge (etwa 6.000 Mark) jährlich.

Die „natürlichen Dörfer“ gehen mit den touristischen Reizen intakte Umwelt, funktionierende Landwirtschaft, landestypisches Ortsbild, eigenständige Kultur auf Kundenfang. „Die Abwanderung soll gestoppt, Arbeitsplätze sollen gesichert, kleine Wirtschaftskreisläufe in Schwung gesetzt und die Tourismusströme entzerrt werden“, formuliert Sieghard Preis, der Geschäftsführer des Vereins, die wichtigsten Ziele.

Die Ursprungsidee dieser konzertierten Dorfaktion entstand aus einem konkreten Problemfall. Das arme Kärntner Dorf Arriach, zwischen den Tourismuszentren Ossiacher See und Bad Kleinkirchheim gelegen, hatte nur wenig Gäste und ganze 50 Vollbelegungstage im Jahr. Trotzdem machte die Bevölkerung gegen ein geplantes 500-Betten-Feriendorf Front, um die natürlichen Dorfstrukturen nicht ein für allemal zu zerstören.

In Österreich gibt es viele Dörfer, die wie Arriach im Randbereich klassischer Tourismusorte liegen, dabei aber wirtschaftlich nur in die Röhre gucken. 30 Gemeinden sahnen 70 Prozent der Einnahmen aus dem Tourismus ab. Nach Expertenbefragung und Marktforschung (Megatrend: „Zurück zur Natur“) wurde an einem „sanften Konzept“ für gleichgesinnte, touristisch zurückgebliebene Dörfer gebastelt. Dabei sollten sich die hinlänglich bekannten touristischen Fehlentwicklungen – Überkapazitäten, Fehlinvestitionen, Landschaftsverschandelungen, Gaudistrukturen et cetera – nicht wiederholen. Die Devise: kein hemmungsloses Laissez-faire, sondern vorsichtige touristische Entwicklung mit freiwilliger Selbstbeschränkung. Also, kein Golfplatz oder Skilift; kein neues Clubdorf oder großes Hotel, sondern nur die bessere Auslastung der vorhandenen Betten. Und: Abkehr von der Gästefixiertheit und Rückbesinnung auf das eigentliche Dorf-Ego: „Der Gast soll nicht mehr der König sein, sondern die Traditionen und Gewohnheiten der Gebiete achten“, betont Geschäftsführer Preis.

Ein „Dorfbeirat“, bestehend aus Experten des Landwirtschafts-, Umwelt- und Wirtschaftsministeriums sowie der Österreich Werbung (seit kurzem auch der World Wide Fund For Nature), filterte per Dorfbegehung „aus ursprünglich 160 Bewerbern nach strengsten Richtlinien“ 21 regionaltypische Dörfer heraus. Zu den „strengsten Richtlinien“ gehören unter anderem: ein tadelloser Dorfcharakter (landestypisches Ortsbild mit Dorfplatz, Kirche, Dorfwirt); ökologische Belastungsgrenzen (geringes Verkehrsaufkommen, mindestens drei Kilometer Entfernung von Autobahnen, hohe Wasserqualität, Kompostierungsmöglichkeiten); soziale und touristische Belastungsgrenzen (maximal 1.500 Einwohner, Verhältnis Einwohnerzahl zu Gästebett 1:1, aktive Dorfgemeinschaft, lebendiges Brauchtum, Mindestinfrastruktur mit Lebensmittelladen, Bäcker und Friseur).

Eckart Mandler, ein kreativer Pfiffikus mit zehn Jahren Erfahrung als Fremdenverkehrsdirektor, betreibt mit seiner Frau eine nagelneue „Natur- und Kräuterpension“ in Irschen. Ein Reich wohliger Kräuterdüfte. Das Haus ist kräutermäßig perfekt durchgestylt: geräumige Zimmer in hellem Fichtenholz, Naturkosmetikvitrine statt Minibar, Duftlampe für ätherische Öle, geflochtener Kräuterkranz an der Wand, Kräuter-Lustkissen im Bett. Leichte Vollwertspeisen mit Holunder- und Melissensäften, Kräutertees zum Abschlaffen des Abends und Kneipp- Tretkuren des Morgens im Gebirgsbach. Aber die Hausordnung ist streng: keine Hunde, Rauchen verboten, Fernseher nur auf Nachfrage gegen hohe „Strafgebühr, Frühstück erst ab 8.30 Uhr. Alles ist harmonisch, aufgeräumt, pädagogisch.

Vor vier Jahren, als das Land Kärnten ein regionales Entwicklungsprojekt für das strukturschwache Oberdrautal startete, entschied sich die Gemeinde Irschen, unterstützt von einem externen Beratungsteam, für den Tourismus: wegen der natürlichen Voraussetzungen, dem milden Klima, der sonnseitigen Lage, der Artenvielfalt von Blumen und Kräutern auf ökologisch bewirtschafteten Wiesen, Wäldern und Äckern. Auf der Suche nach Profil und Profilierung kam Irschen auf den Kräutertrip – und aus dem Wald- und Wiesendorf wurde das „Natur- und Kräuterdorf“.

„Mit meinem Leitbetrieb will ich immer einen Schritt voraus sein, um die anderen im Dorf mitzuziehen“, sagt Kräuter-Narr Mandler. Heute schon bestimmt die Mixtur Heilkräuter und Gesundheit das touristische Angebot des Dorfs. Die Zwischenbilanz: ein „Verein der Kräuterfreunde“ mit 30 kräuterkundigen Mitgliedern, 300 Hauskräutergärten bei 450 Haushalten, diverse touristische Angebote wie geführte Natur- und Kräuterwanderungen, Heilkräuterstammtische und -seminare. Und als neuester Mosaikstein die Natur- und Kräuterwerkstatt.

So wie Irschen mit der Kräuteritis hat sich jede der 21 „Dorfurlaub“-Mitgliedsgemeinden ein spezifisches Profil mit einem regionaltypischen Schwerpunkt aus dem Boden gestampft. Puch in der Steiermark das „Apfeldorf“, St. Kathrein am Offenberg „Europas schönstes Blumendorf“; das Kärntner Lesachtal, unweit vom Kräuterdorf, die „Oase der Ruhe“.

Dieses 60 Kilometer lange abgeschiedene Hochgebirgstal, zwischen den Karnischen und Lienzer Alpen eingebettet, ist wie geschaffen als „Dorfurlaub“-Prototyp: weitgehend naturbelassen, vom Durchgangsverkehr unberührt, von touristischen Großprojekten wie Hotelklötzen und Liftanlagen verschont. Aber auch abseits vom großen Geldstrom. „Daß hier alles so geblieben ist, liegt an der Mentalität der Leute“, sagt Gabriel Obernosterer, Obmann des Fremdenverkehrsvereins. „Sie sind eben nicht so risikofreudig.“

Das Dornröschen Lesachtal dämmerte hinter den Bergen vor sich hin und „verschlief“ in den Hochkonjunkturzeiten des Massentourismus die Entwicklung. Als es wieder aufwachte, rieb es sich ungläubig die Augen: Ungewollt war es zum touristischen Trendsetter geworden. Mit seinem ursprünglichen Kapital, seiner Landschaft und Natur, Brauchtum und Kultur. „Wir brauchen nichts Neues zu erfinden. Wenn wir das Vorhandene an den Mann kriegen, sind wir eh schon besser als die anderen“, sagt Gabriel Obernosterer.

Maria Lugger, Volksschuldirektorin in Maria Luggau, dem Hauptort des Lesachtals, ist der Motor vieler Aktivitäten gewesen, aber, wenn nötig, auch die mahnende Bremserin. Schon 1972 gründete sie den Mühlenverein, um nach der großen Elektrifizierung des einstigen „Tals der 100 Mühlen“ die letzten Wassermühlen vor dem Verfall zu retten. Heute klappern wieder vier Mühlen am Trattenbach; sie sind nicht nur bäuerliches Kulturdenkmal, sondern mahlen auch wieder Korn.

„Um dem Ausverkauf der Heimat einen kleinen Riegel vorzuschieben“, erzählt Maria Lugger, kaufte sie mit ihrem Mann Leopold kurzerhand ein bereits an einen Tiroler Holzgroßhändler verkauftes typisches Lesachtaler Bauernhaus zurück. Heute steht es mitten in Maria Luggau, gegenüber der berühmten Wallfahrts- Basilika, und beherbergt eine „Bauernstube“ mit Handwerksladen und Bauernmarkt. Das, was die Bauern im Winter basteln und schnitzen, die Bäuerinnen sticken und stricken, wird im Sommer hier verkauft. Die Direktvermarktung als lohnenswertes Zubrot. Und ein gutes Beispiel dafür, daß die Dorfinitiative über den rein touristischen Bereich hinausgeht.

Die Lesachtaler sind sich einig, daß sie mehrere Standbeine brauchen: die Landwirtschaft, den Fremdenverkehr und einen kleinen Nebenerwerb. Vor allem müsse die intakte bergbäuerliche Kulturlandschaft erhalten bleiben. Von den 300 bäuerlichen Betrieben im Tal sind erstaunlicherweise noch die Hälfte Vollerwerbsbetriebe. „Ohne Bauer kein Fremdenverkehr“, versichert Vollerwerbsbauer Leopold Lugger.

Man müsse aber sehr aufpassen, daß man die Entwicklung im Tal im Griff behalte, gibt seine Frau Maria zu bedenken. Die drei ge

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planten Großkraftwerke mit drei Staustufen für die Gail (einem der naturbelassensten Flüsse Europas) seien noch nicht endgültig vom Tisch. Und das neue „Feriendörfl Tuffbad“ (6 Häuser mit insgesamt 96 Betten) als Ergänzung der Kuranstalt solle, obwohl von einheimischen Investoren finanziert und betrieben, in dieser Größenordnung die Ausnahme bleiben.

Von Anfang an hat es Widerstand gegen das Gesamtprojekt „Dorfurlaub in Österreich“ gegeben. Auch aus den eigenen touristischen Reihen. Die Tourismusmanager der Bundesländer Salzburg und Tirol, Martin Uitz und Andreas Braun, hatten „Angst, daß wir das nur als Werbeschmäh machen würden“, erzählt Geschäftsführer Preis. Von wegen grünes Mäntelchen umhängen und die allerletzten Paradiese verkaufen. Mittlerweile sei ihre Kritik aber in eine wohlwollende Haltung umgeschlagen.

Wo eine Nachfrage wie beim Marketinginstrument „Dorfurlaub“ geschaffen wird, da wird auch mehr nachgefragt. „Das ist natürlich eine kleine Gratwanderung“, räumt der Irschener Kräuterwirt Mandler ein. Denn der touristische Teufelskreis „mehr Betten, mehr Gäste, noch mehr Betten, noch mehr Gäste“ schließt sich schneller als gedacht. Deshalb sollten alle Gemeinden, empfiehlt Mandler, Obergrenzen ihrer touristischen Entwicklung in einem Ortsleitbild festschreiben. Außerdem gibt's ja noch den „Dorfbeirat“, der sanktionierend eingreifen kann. Die Orte, die die Kriterien der Dorf-Initiative nicht (mehr) erfüllen, fliegen aus dem Verein wieder raus. Wie jetzt Aschau in Tirol. Als Teil der Gemeinde Kirchberg (eine Million Nächtigungen pro Jahr) fehlt Aschau nämlich die geforderte dörfliche Eigeninitiative.

Authentisches „Dorfleben zum Anfassen“ statt inszenierter Touristenshows wie dem „Tiroler Abend“. „Der Gast ist eingeladen ins Wohnzimmer des Dorfes. Er wird aber aufgefordert, die Schuhe auszuziehen“, beschreibt Preis den neuen Dorf-Zeitgeist. Blättert man den „Dorfurlaub“-Katalog durch, zieht's einem tatsächlich die Schuhe aus. Die „Wunder- und Erlebniswelt Dorf“ ist eine Fundgrube von Stilblüten umwerfend triefender Werbetexter-Poesie: „Sanfter Tourismus ist das Zauberwort. Man trifft sich unter Freunden bei der alten Kegelbahn und stellt sich seine Kegel selber auf“ (Dellach im Gailtal). „Ganz am Anfang steht allerdings der Willkommenstrunk. Als Symbol für das Miteinander von Mensch und Natur“ (Mühlen). Allerorten idyllische Dörfer, typische Bauernhöfe, einladende Gasthöfe, herrliche Kirchen, saftige Almböden, plätschernde Brunnen, gemütliche Hütten, stolze Gipfel ...

Zurück in die Zukunft. Aus alt mach neu. Die Initiative „Dorfurlaub in Österreich“ ist die Wiederbelebung der alten verstaubten Sommerfrische der fünfziger, sechziger Jahre. „Aber nicht fad und öd, sondern gepaart mit Umweltsensibilität und zeitgemäßen Erlebnisbereichen wie Themenwanderungen“, resümiert Geschäftsführer Preis.

Aus ihrer Not, der touristischen „Rückständigkeit“, machen die „natürlichen Dörfer“ eine Tugend: „Alles, was wir nicht haben – also alle Auswüchse des Massentourismus –, macht uns nur stärker“, posaunt die niederösterreichische Gemeinde Prigglitz. Ohne Zweifel, ein erfolgversprechendes Konzept. Interessierte Nachbarn aus Ungarn, Italien, Tschechien und Neufünfland sollen schon mal über die Berge gelugt haben.

Informationen zum „Dorfurlaub in Österreich“: Österreich Information, Postfach 1231, 82019 Taufkirchen, Tel.: 089/66670100

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