: Das Geld, die Ministerin und die Frauen
Annäherungsversuche bei gestörtem Verhältnis / Autonome Frauenhäuser klagen bei der hessischen Landesregierung über Kürzungen / Sozialministerin Iris Blaul vermißt die Anerkennung ihres Einsatzes ■ Aus Wiesbaden Heide Platen
Die Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Iris Blaul (Grüne), stochert in ihrem Salat und blickt betrübt drein: „Manchmal fühle ich mich absolut ungerecht behandelt.“ Das geht diesmal an die Adresse der Autonomen Frauenhäuser in Hessen. Auf ihre Bonner Kollegin Angela Merkel (CDU) ist sie – zum selben Thema – auch nicht gut zu sprechen. Deren Idee eines Gesetzes zur bundeseinheitlichen Frauenhausfinanzierung würde die Situation für die hessischen Frauen „nur wieder verschlechtern“. Da sehe es doch für die Frauenhäuser in Hessen jetzt sehr viel besser aus. Nach ihrem hauseigenen Personalschlüssel kommt hier auf zwölf zu betreuende Frauen eine Stelle. Der Bundesstandard sei mit immerhin 1,5 Betreuungsplätzen pro 10.000 Einwohner „weit überschritten“ und auf Kreisebene „fast überall erreicht“.
Daß vor allem die autonomen Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser in Hessen dennoch nicht zufrieden sind, weiß sie auch. Zweimal ist ihr Ministerium in den letzten zwei Jahren von Frauen besetzt worden. Denn die klagen, daß die Förderung für sie 1993 real von 90 auf 84 Prozent gesunken ist. Der Etat sei, so die Frauenhaus- Frauen, trotz der neugeschaffenen Plätze und Stellen nicht erhöht worden. Das, gibt Blaul zu, sei richtig. Aber immerhin sei ihr das Geld für die Frauenhäuser im allgemeinen Sparkurs im Kabinett nicht zusammengestrichen worden.
Da sollte frau sich, meint sie – ganz leicht bissig – an die Änfänge rot-grüner Landespolitik erinnern. 1983 seien, bei einem vorgesehenen Haushalt von 400.000 Mark gerade mal 8.900 Mark ausgegeben worden. Die CDU- Regierung habe die ungeliebten Einrichtungen auch nicht gerade mit Rosen überschüttet: „Von 1988 bis 1991 gab es eine Stagnation.“ 1992 seien die Mittel unter ihrer Ägide auf immerhin 6,16 Millionen Mark verdoppelt worden.
Iris Blaul fühlt sich verkannt: „Ich kann nur im Rahmen des Landeshaushaltes agieren, und die Finanzministerin muß das gegenzeichnen.“ Die Verhandlungen seien nun einmal zäh und hätten deshalb lange gedauert. Blaul: „Die Männer schmeißen sich nicht gerade ins Zeug.“ Sie habe erreicht, daß inzwischen jeder Landkreis ein Frauenhaus hat: „Das Grundnetz steht.“ Auch einen Spielraum bis zu 90 Prozent in Ausnahmefällen, höher als in jedem anderen Bundesland, habe sie erstritten.
Sie will die Diskussion „jetzt in eine andere Richtung lenken“. Frauenhäuser seien lediglich „Orte für eine Krisensituation und eigentlich für eine Gesellschaft kein wirklicher Fortschritt“. Wichtiger sei es jetzt, das Selbstbewußtsein der Frauen „im Vorfeld zu stärken“. Die Kampgagne „Gegen Gewalt gegen Kinder“ wendet sich direkt an betroffene Mütter und Beratungsstellen und soll vorbeugen. Auf der Broschüre dazu ist symbolträchtig ein zerbrochener Lutscher zu sehen.
Sichtlich nahe gehen ihr Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder in Familien. Der Fall eines vergewaltigten, 15 Monate alten Mädchens geht ihr nicht aus dem Kopf. Sie will „mehr Sensibilität in den Kliniken wecken“. So ein Kind müsse eben anders behandelt werden, denn es fürchte sich ganz entsetzlich vor dem Fiebermessen und dem Windelnwechseln. Sie findet mittlerweile auch ein offenes Ohr und gewachsenes Verständnis für neue Ermittlungs- und Vernehmungsmethoden bei der Kriminalpolizei: „Früher haben die sich mehr für Drogen und Kriminalität interessiert.“ Anfang Mai eröffnete sie deshalb die Fachtagung „Gewalt gegen Frauen“ im Polizeipräsidium in Offenbach auch mit ein wenig Selbstlob. Schließlich seien 35 Häuser mit 900 Plätzen für Frauen und Kinder geschaffen worden. Damit sei Hessen „bundesweit führend“.
Die Diskussion um „Gewalt gegen Frauen“, ist ihre Erfahrung, setze aber „immer noch einen Wust von Phantasien frei“. Vor allem in manchen Landkreisen lag da vieles im argen, bevor es für jeden eine eigene Frauenbeauftragte gab: „Die brauchten wir dringend als Fürsprecherinnen vor Ort.“ Eigentlich, sagt Blaul, würde sie auch gerne mehr Männergruppen fördern, die sich gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder engagieren und ihr eigenes Verhalten reflektieren. Das sei erst in einem Fall gelungen, denn „die kann man mit der Lupe suchen“.
Warum die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser trotz all der ministeriellen Initiativen „immer noch meckert“ und sporadisch, zuletzt im Februar, zur Besetzung des Ministeriums anreist? Blauls Pressesprecherin, Claudia Weisbart, und Öffentlichkeitsreferentin Gisela Wülffing legen sich beim Mittagstisch im Wiesbadener „Chianti-Keller“ zwischen Salattellern und Mineralwasser kräftig für ihre grüne Ministerin ins Zeug. Wülffing versucht eine vorsichtige Erklärung: „Auch für die Frauenhaus-Frauen waren die letzten zehn Jahre ein Prozeß.“ Sie erinnert an die „alten“ Diskussionen über die „Staatsknete“ und den Streit darüber, ob es politisch und moralisch überhaupt vertretbar sei, das Geld anzunehmen. Da hatte sich nach und nach ein neuer Ton eingeschlichen: „Früher hieß es, Geld macht abhängig von Vater Staat. Und heute, Geld ja, aber bitte ohne Verwendungsnachweis.“ Diese Phase sei zwar abgeschlossen, dennoch gebe es immer noch „ein Mißtrauen“, und das Gespräch sei „oft mühsam“. Blaul: „Die Steuerprüfungen müssen sein. Aber wir bitten den Landesrechnungshof, möglichst keine Männer zu schicken.“
Warum und wieso das alles so schwierig ist, so die Ministerin und ihre Mitarbeiterinnen, haben sie sich auch gefragt. Es gehe, vermuten sie gemeinsam, gar nicht ausschließlich um das Geld, sondern um „Liebe und Anerkennung“. Die Frauen arbeiten unter harten Bedingungen, sind täglich mit Not und Gewalt konfrontiert, und das Geld ist knapp. Viele sind „Pionierinnen“ und hatten es „von Anfang an schwer“, haben lange ehrenamtlich gearbeitet oder sich zu zweit oder zu dritt das Geld für eine Stelle geteilt. Da war es nicht leicht, eine professionelle Distanz zu wahren. Heute gehe es eher darum, die Arbeitsplätze langfristig zu sichern.
Wie sich die drei aus dem Ministerium da so die Köpfe zerbrechen, haben sie unversehens selbst den Gestus, als erwarteten sie eine Antwort, was, um der Göttin willen, sie denn alles falsch gemacht hätten. Iris Blaul: „In keinen Bereich ist in den letzten Jahren so viel Geld dazugekommen.“ Und: „Bei den Rechten haben die Frauen sich nicht gemuckt. Aber mir gegenüber haben sie eine zu große Erwartungshaltung.“ Wülffing: „Vielleicht vermitteln wir das zu schlecht. Die sind nicht hier und sehen deshalb nicht, daß du dich kümmerst.“ Und dann: „Welche Frau will nicht gelobt werden. Auch wir sind bedürftig.“
Die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser ist da, in Facetten, anderer Meinung. „Ein bißchen was“ sei an der „Liebes-Theorie schon dran“, meint eine der Frauen: „Früher hat sie sich öfter mal zu uns gesetzt, als Ministerin war sie nicht mehr da.“ Sie hätten bei der Erarbeitung der Richtlinien „gefragt werden wollen“ und nicht „fertige Dinger vorgeknallt bekommen“: „Es gab keine persönliche Rückkoppelung mehr.“ Außerdem dauere es immer noch „ewig“, bis das Geld ausgezahlt werde. Das fresse „Zeit und Energie“, die eigentlich für die tägliche Arbeit gebraucht werde. Außerdem kritisieren sie, daß sie früher erfahren haben, wie der „Topf“ verteilt wurde. Das habe es selbst bei der CDU gegeben. Denn: „Es geht ja nicht darum, daß wir dann untereinander neidisch sind und übereinander herfallen. Aber wir wollen mehr Transparenz.“ Aber, stellen die Frauen fest, während die Ministerin noch über die Ungerechtigkeit sinniert, in der letzten Zeit habe sich einiges gebessert. Sie loben die zuständige Referatsleiterin für ihre Offenheit. Nur reiche das Geld eben nie: „Wir müssen doch jeden Tag vier bis fünf Frauen sagen, daß wir keinen Platz für sie haben.“
Daß einige Frauen neue Richtlinien forderten, in denen auf fünf Frauen eine Betreuerin kam, findet Iris Blaul, selbst wenn das Geld da wäre, überzogen. „Das ist ja fast wie im Altenpflegeheim. Und dort wollen wir doch auch enthospitalisieren.“ Die vor ihren Männern geflüchteten Frauen seien doch keine Kranken und könnten sich in der Alltagsversorgung „ganz gut selbst helfen“. Wülffing sieht die Probleme auch anderswo. Die Gesellschaft nehme diese Arbeit „immer noch nicht zur Kenntnis“ und betrachte Frauenhaus-Frauen mit Vorurteilen, die den dort Arbeitenden „ein Gefühl des Ungenügens“ suggerieren: „Sie nehmen einen Teil der Stigmatisierung auf sich.“ Claudia Weisbart nimmt dafür als Indiz das Auftreten der Frauen bei den Ministeriumsbesetzungen. „Die kamen eigentlich nicht wirklich als Fordernde. Die fühlten sich trotz unserer Zustimmung völlig illegal und in der Opferrolle.“ Die Frauen halten dagegen: „Die haben uns doch im Februar die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wir mußten uns über das Landwirtschaftsministerium einschleichen.“
Während Ministerin Blaul, im vergangenen Jahr von den Konflikten um überbelegte Flüchtlingsheime in Hessen von der Opposition schwer gebeutelt und von den Koalitionsparteien auch nicht gerade sanft behandelt, noch über ihren eigenen und den allgemeinen „Spagat von Frauen zwischen feministischer Grundhaltung und Betreuungsarbeit“ nachdenkt, dräut neues Ungemach. Die Tierschützer beklagten sich dieser Tage heftig darüber, daß „die Ministerin“ nichts gegen den illegalen Pelzhandel unternehme. Die hessische Aids-Hilfe wetterte Ende April heftig gegen die Kürzung von Fördermitteln und nennt die Streichung von 40.000 Mark ein „fatales politisches Signal“. Da nimmt sich ein Brief der Grünen aus dem Lahn-Dill-Kreis, die die Überbelegung in Kasernen mit Asylsuchenden bemängeln, noch freundlich aus: „Wir wissen, daß ihr da sehr unter Druck standet und steht.“ Da haben die ministeriellen Verhaltensratschläge für Ozon und Sommersmog, unkt eine ungenannte Mitarbeiterin, „doch fast was Beruhigendes: Daran sind wir wenigstens nicht auch noch schuld.“
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