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Wird aus der lahmen Ente bald eine tote Ente?

■ John Majors Karriere hängt heute an der Unterhaus-Nachwahl in Christchurch

London (taz) – „John Major ist eine lahme Ente und steht kurz davor, zur toten Ente zu werden.“ Was der Vorsitzende der Liberalen Demokraten, Paddy Ashdown, dem britischen Premierminister prophezeit, könnte schon bald eintreffen. Heute müssen nämlich die BewohnerInnen des idyllischen südenglischen Küstenstädtchens Christchurch einen neuen Unterhaus-Abgeordneten wählen, weil der alte gestorben ist. Der war ein Tory und hatte über 23.000 Stimmen Vorsprung. Für die Konservativen waren die Wahlen in Christchurch bisher eine Formsache.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Regierung stolpert von einer Krise in die nächste, das Vertrauen in Majors Führungsstil und in sein Urteilsvermögen ist verschwunden – selbst bei den RentnerInnen in Christchurch, die noch nie anders als konservativ gewählt haben. Doch sie sind von den Torys enttäuscht: Die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom kostet sie viel Geld, und auch der Privatisierungswahn der Regierung beunruhigt sie, weil die Dienstleistungen der ehemaligen Staatsbetriebe zugunsten ausgeglichener Bilanzen eingeschränkt werden.

Majors Vorgängerin Margaret Thatcher hatte es immer wieder geschafft, auch in Krisenzeiten die Leute von Christchurch auf ihre Seite zu ziehen. Noch heute genießt sie dort hohes Ansehen. Doch Thatcher hat sich nicht in dem Küstenstädtchen blicken lassen, sondern lediglich in einem Brief zur Unterstützung des Tory- Kandidaten Rob Haywards aufgerufen. So gehen Meinungsforscher davon aus, daß Hayward heute die größte Mehrheit seit dem Zweiten Weltkrieg verspielen wird. Profitieren wird davon jedoch nicht die Labour Party, die in Christchurch keine Chance hat, sondern die Liberalen Demokraten.

Und Major steht weiterer Ärger ins Haus. Vorgestern ist bekanntgeworden, daß er den erst vier Jahre alten nordirischen Landesverband der Torys auflösen will. Im Gegenzug hatten die unionistischen Abgeordneten, die in den nordirischen Konservativen eine Konkurrenz sehen, bei der Abstimmung in der vergangenen Woche gegen die europäische Sozialcharta gestimmt und Major dadurch die peinliche Niederlage erspart, die ihm die Euro-Gegner in der eigenen Partei beibringen wollten. Der Deal hat weitere Unruhe bei den Torys ausgelöst.

Es sind jedoch nicht die Euro- Gegner, die Major fürchten muß, sondern die Parteimitte: Sobald sie wittert, daß Major zum Wahlrisiko bei den nächsten Parlamentswahlen wird, läßt sie ihn fallen. Wenn Christchurch heute für die Torys verlorengeht, könnte das schon auf dem Parteitag im Oktober der Fall sein. Ralf Sotscheck

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