: Wie Kinderkriegen, schätzungsweise
Lohnt nicht, keiner dankt es einem, ist aber ein „riesiges Gefühl“: Berliner Label, die dritte – „City Slang“ ■ Von Gerrit Bartels
„Gimme Indie Rock!“ heißt ein Song auf der 92er LP der amerikanischen Band Sebadoh – eine Losung, die scheinbar wieder mal an der Zeit war, nachdem der Erfolg von Nirvana, Pearl Jam und anderen die Grenzen zwischen Mainstream und Underground (oder Independent-Musik) zu sehr verwischte.
Indie-Rock aus diesem Geiste gibt uns in Deutschland das Berliner Label „City Slang“. Es hat nicht nur Sebadoh unter Vertrag, sondern auch andere amerikanische Underground-Größen, etwa die bad attitude-Girls von Hole, die netten Punkrocker von Superchunk oder die pulverisierten Folk-Punks von Yo La Tengo.
Hinter City Slang stecken Klaus Unkelbach und das Geschwisterpaar Anne und Christoph Ellinghaus. Letzterer gründete City Slang im März 90 als ein Unterlabel des Berliner Vielklang-Labels. Zwei Jahre später trennte man sich gütlich voneinander und City Slang stand auf eigenen Beinen.
„Finanziell war das erstmal ein Sprung ins kalte Wasser“, weiß Christoph zu berichten, „da man nur schwer weiß, was man von einer Band verkauft, die kein Mensch kennt.“ Was irgendwie einleuchtet und trotzdem nicht so dramatisch ist, denn ebenso logisch ist natürlich die Konsequenz, die sich gerade für ein kleines Label wie City Slang daraus ergibt: Man muß dem Kind einen Namen geben, heißt: die Band bekannt machen mit – vom Label vorfinanzierten – Touren und mit Promotion- Arbeit: Anzeigen schalten und Interviewtermine organisieren.
„Dazu konmmt“, ergänzt Anne, „daß wir, anders als es bei Vielklang der Fall war, viel Wert auf den Export legen und unsere Platten auch in Frankreich, Italien und sogar in Skandinavien vertreiben. Von Deutschland allein kann in dem Bereich, in dem wir arbeiten, kein Mensch leben.“
Sehr gut ließe es sich natürlich leben, wenn sie die zweiten Nirvana unter Vertrag hätten. Was sich aber als frommer Wunsch erweist, denn einerseits schüttelt man die nicht so leicht aus dem Ärmel, andererseits sitzt einem Kleinstlabel wie City Slang auch die Industrie mit den großen Scheinen im Nacken: Die Bands werden von den sogenannten Independents entdeckt, ihre ersten Platten herausgebracht, sie werden bekannt und schwupp und schnell landen sie bei einem Major.
„Das kann man nur umgehen, wenn du deinen Bands Verträge mit Optionen auf weitere Platten gibst“, sagt Christoph. „Doch am Anfang ist man ja als neues Label in der Situation: Wer ist City Slang? Wenn ich eine Band langfristig an mich binden will, dann fragen die erstmal nach deinem Namen und Bekanntheitsgrad. So kommen die kurzen, ein oder zwei Plattenverträge zustande.“
So ziehen sie auch im Fall ihres momentanen Zugpferds Hole den kürzeren, von denen City Slang die nächste LP noch herausbringen kann, um sie dann nur noch in ihrem Back-Katalog zu führen (mit dem sich dann mitunter auch noch die eine oder andere Mark verdienen läßt).
Was das Geschäftsgebaren anbetrifft, unterscheidet sich City Slang zwangsläufig nicht groß von einem Major. Vokabeln wie Gewinnoptimierung, Kostenminimierung, Umsatz, Export und Verlust führen Christoph und Anne ganz natürlich in ihrem Wortschatz. Ein wenig anders (oder eben „independent“) ist bei City Slang aber immer noch das völlig subjektive Auswählen von Bands, der Akzent auf dem „eigenen Musikgeschmack“. Er soll zunächst einmal nicht stromlinienförmig und radiokompatibel sein, erweist sich in der Praxis meist als Hürde für den schnellen finanziellen Erfolg, weil er drittens das größtmögliche Vertrauen in das musikalische Schaffen der Bands setzt (und soviel bedeutet wie „größtmögliche künstlerische Freiheit“, ächz).
Mit so einer Haltung wird einem natürlich in den Medien nicht gerade Tür und Tor geöffnet. Genauer gesagt: City Slang mit seinen Bands wird von den Radiostationen weitestgehend ignoriert (was allerdings bei den Sendern nicht verwundert!). Mancher Mißmut gilt auch der schreibenden Zunft, deren Interesse gleichfalls verhalten blieb.
Was deutsche, speziell Berliner Gruppen anbetrifft, liegt allerdings das Desinteresse ganz auf Annes und Christophs Seite: „Die finden alle ganz stark, aber sie rufen nicht bei uns an“, ruft Christoph, um sich gleich darauf wie folgt zu äußern: „Berliner Bands treffen einfach nicht unseren Geschmack. Die haben meist wenig Originales, versuchen amerikanischen Vorbildern nachzueifern und singen dann englische Texte mit deutschem Akzent. Okay, 18th Dye fand ich stark, aber Annes Ding waren sie nicht, so daß wir uns einfach nicht einigen konnten.“
Wobei sie nichts gegen den neuen deutschen Pop aus Hamburg oder das Bar-Leben der Lassie Singers einzuwenden haben wollen, außer „daß es mich nicht packt und daß es nicht auf unser Label gehört“, wie Anne es ausdrückt.
Dafür gibt es im angloamerikanischen Raum um so mehr Musik, die ihnen Spaß macht und in die sie Freude, Geld und Fanatismus stecken können. Christoph: „Das Schönste ist es, eine Band zu entdecken, den Deal mit ihnen zu machen und sie herauszubringen. Wenn es dann nur halbwegs läuft, ist das schon ein riesiges Gefühl. Wie Kinderkriegen, schätzungsweise.“
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