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Allein gegen die Baumafia

Der Berliner Sumpf lebt: Auf Anregung der Immobilienfirma, bei der der frühere Regierende Bürgermeister Momper arbeitet, wird die Wohnung des ehemaligen Kreuzberger Baustadtrats Orlowsky durchsucht  ■ Von Michael Sontheimer

Werner Orlowsky staunte nicht schlecht, als am 20. Juli um kurz nach 10 Uhr vormittags der Kriminalkommissar von Daake und der Polizeiobermeister Winkler vor der Tür standen. Die beiden Ermittler hielten dem einstigen Baustadtrat ihre Dienstmarken unter die Nase und erklärten ihm, daß Sie wegen Gefahr im Verzuge sofort seine Wohnung durchsuchen müßten. Werner Orlowsky, von 1981 bis 1989 der allseits beliebte Baustadtrat Berlin-Kreuzbergs und mittlerweile als Mieterberater aktiv, hat schon allerhand erlebt, aber daß gegen ihn wegen Einbruchs ermittelt wird, da verschlug es auch ihm kurzzeitig die Sprache. Nach ein paar Schrecksekunden sagte er den beiden unangemeldeten Besuchern ganz ruhig: „Tun Sie sich keinen Zwang an und tun Sie Ihre Pflicht.“

Als die beiden Polizisten sich gemächlich durch die Schränke und Regale wühlten, dämmerte es Werner Orlowsky, wo und wann diese Geschiche ihren Anfang genommen haben mußte. Sie begann vor einem halben Jahr am schönsten Platz der Hauptstadt, dem Gendarmenmarkt. Am 10. Januar hatte dort Erich Böhme im Hotel Hilton zum allsonntäglichen „Talk im Turm“ geladen. Experten verschiedenster Provinienz sollten um die Frage „Ist Wohnen noch bezahlbar“ streiten. Neben Werner Orlowsky, der Wohnungsbauministerin Schwaetzer und anderen war auch Walter Momper geladen, der Held des Mauerfalls, inzwischen als Geschäftsführer der Dr. Ellinghaus GmbH in den Sumpf der Berliner Bauwirtschaft hinabgesunken. Zwischen Momper und Orlowsky, die sich aus zehn Jahren Kreuzberger Bezirkspolitik gut kennen, entspann sich dabei eine scharfe Kontroverse. Orlowsky behauptete, die Ellinghaus-Gruppe betreibe die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Momper erwiderte: „Das stimmt doch nicht“, Orlowsky antwortete: „Natürlich stimmt das ...“ Darauf Momper: „Die Firma, bei der ich tätig bin, wandelt nicht um.“ Und so stritten sie munter dahin.

Den Glücklichen, die mit der Berliner Baumafia nicht näher vertraut sind, muß an dieser Stelle erklärt werden, daß die Dr. Ellinghaus GmbH und vier weitere mit ihr verschachtelte GmbHs laut Selbstdarstellung als „Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Immobilien-Projekt-Entwicklungen“ firmieren. Gert Ellinghaus, der hohen Wert auf seinen Dr. legt, krempelte von 1984 bis 1988 beim SFB die antikommunistisch-altbackene „Berliner Abendschau“ zu einer peinlichen newsshow um. Damit gescheitert, stieg er dank CDU-Parteibuchs zum Abteilungsleiter der Fernsehunterhaltung auf, um sich Ende 1988 für fünf Jahre beurlauben zu lassen. Statt sich jedoch wie angekündigt der TV-Projekt-Entwicklung zu widmen, war er hinter dem schnellen Geld her, was sich in Berlin einigermaßen legal nur in der Baubranche machen läßt. Ellinghaus ließ zunächst Übergangswohnheime in Gestalt von Containern für DDR-Flüchtlinge aufstellen, dann kaufte er marode Mietshäuser, um sie zu modernisieren, und verlegte sich auf den lukrativen Dachausbau.

„Inzwischen“, sagt ein Insider der Berliner Bauszene, „ist die Ellinghaus-Gruppe im wesentlichen mit Kaufen und Verkaufen beschäftigt“ – eine freundliche Umschreibung für die pure Spekulation. „Momper“, so der Branchenkenner, „fungiert dabei als Türöffner. Und wenn er mit zwei dicken dunklen Daimlern irgendwo im Berliner Umland vorfährt – aus einem springt sofort ein Trupp Leibwächter und sichert das Gelände –, macht das nicht nur auf SPD-Bürgermeister einen nachhaltigen Eindruck.“ Mit unverhohlener Schadenfreude berichtet allerdings nicht nur er, daß es der Ellinghaus-Gruppe trotz des prominenten Türöffners auf dem harten Berliner Markt nicht besonders gut gehen soll.

Unmittelbar nach dem „Talk im Turm“-Streit drohte Walter Momper Orlowsky an: „Sie werden noch von uns hören.“ Orlowsky bekam zwar nichts zu hören, aber zu lesen. Die Ellinghaus-GmbH hatte eine einstweilige Verfügung erwirkt, nach der es Orlowsky untersagt wurde, weiterhin zu behaupten, Ellighaus, Momper und Kollegen wollten Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln. Orlowsky wiederum ließ es sich nicht nehmen, gegen diesen Maulkorb zu klagen. Sein Anwalt Johannes Eisenberg (der nebenberuflich der taz zur Seite steht und im Aufsichtsrat der taz-Genossenschaft sitzt) recherchierte und konnte in einem Schriftsatz an die Pressekammer des Landgerichts das Protokoll eines Jour fixe der Ellinghaus-Chefrunde zitieren. Darin heißt es: „Für leerstehende Altbauwohnungen sollen in Zukunft grundsätzliche Abgeschlossenheitsbescheinigungen vorgelegt werden.“ Da diese Bescheinigungen eine notwendige Voraussetzung für die Umwandlung sind, hob das Berliner Landgericht am 16. März folgerichtig die einstweilige Verfügung wieder auf.

Orlowsky freute sich, und Ellinghaus, Momper und Kollegen müssen sich ziemlich geärgert haben. Auf die Idee, daß ein eigener Mitarbeiter, der mit Orlowsky sympathisierte, diesem das Protokoll zugespielt haben könnte, kamen sie offenbar nicht.

Aber da gab es ja noch diesen Einbruch. In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober vergangenen Jahres waren Unbekannte durch ein kleines Fenster in ein Büro der Ell- Bau eingestiegen und hatten, wie man das so macht, Bargeld, eine Kamera, zwei Diktiergeräte und ein Funktelefon mitgehen lassen. Die Polizei stellte das Ermittlungsverfahren im Dezember ohne Ergebnis ein. Im Februar – also nach der folgenreichen Talk-Show und dem Schriftsatz von Orlowskys Anwalt Eisenberg – schrieb der Anwalt der Ellinghaus-Gruppe, ein Mann namens Faude, an die „Sehr geehrten Damen und Herren“ der Staatsanwaltschaft am Landgericht, daß das zitierte Dokument nur aus dem Einbruch stammen könne. Zwar hatte die Ell-Bau nach dem Einbruch nicht angezeigt, daß ihr auch Unterlagen gestohlen worden seien, doch der eifrige Anwalt regte davon ungerührt eine Durchsuchung der Wohnung Orlowskys an und war auch gleich mit dessen Adresse behilflich.

Zunächst ermittelten zwei Polizisten, daß diese Verdächtigungen jeglicher Beweise entbehrten, aber das interessierte die Staatsanwaltschaft nicht. Am 24. Mai unterzeichnete die Staatsanwältin Riebschläger einen Durchsuchungsbeschluß. Riebschläger? Hieß so nicht der ehemalige SPD-Finanzsenator, der 1980 wegen dem Busskandal um den Architekten Dietrich Garski, der heute mit Gert Ellinghaus gute Beziehungen unterhält, zurücktreten mußte.

Klaus Riebschläger, der dann im Zuge der Antes-Affäre, bei der die korrupten Politiker und Bauunternehmer gleich dutzendweise wegen Bestechung in Untersuchungshaft wanderten, einräumen mußte, daß er von einem Bauunternehmer 130.000 Mark an illegalen Parteispenden cash und in Kuverts eingesackt hatte?

Heute macht sich Klaus Riebschläger als Sozius von Karl-Heinz Knauthe, der die ganz Großen im Berliner Baumilieu vertritt, um den Aufkauf Ost verdient. Und die Staatsanwältin Riebschläger ist seine Gattin. Über berufliche Dinge sprechen die beiden laut eigenem Bekunden nicht.

Das erscheint ein wenig eigentümlich, noch eigentümlicher ist folgendes: Frau Riebschläger bemerkte nicht, daß sie einen Durchsuchungsbeschluß beantragte, in dem es fälschlicherweise hieß, daß bei einem Einbruch am 20. Januar 92 ein Protokoll einer Sitzung vom 20. Juli 92 von Orlowsky gestohlen worden sei.

Auch dem Richter, der den Beschluß erließ, fiel dies nicht weiter auf.

Als die beiden Polizisten vor gut zehn Tagen heldenhaft zur Tat schritten, um den Einbrecher Orlowsky zu überführen, mußten sie zunächst feststellen, daß dieser unter seiner Meldeadresse gar nicht wohnte. Er hatte nach Morddrohungen auch dafür gesorgt, daß er nicht in Telefonbüchern auftauchte. Die Polizisten spürten bei der Post einen Nachsendeantrag auf, wegen Gefahr im Verzuge holten sie sich einen neuen Durchsuchungsbeschluß für die Wohnung von Orlowskys Freundin. Die beiden Polizisten suchten dort gut anderthalb Stunden, doch sie fanden kein Diebesgut. Die B.Z. aus dem Hause Axel Springer titelte gleichwohl neben einer mit dem Spruch des Tages („Lieber die Sau rauslassen als die Bullen rein“) garnierten Nackten: „Ist Orlowsky ein gemeiner Dieb?“ Die Bild fragte: „Wo versteckt sich Ex-Stadtrat Orlowsky?“

Dabei ist die Antwort ganz einfach. Der „Dicke“, wie ihn Freunde liebevoll nennen, ist gewöhnlich im Büro des Kreuzberger Stadtteilvereins SO 36 anzutreffen, dessen Vorstand er angehört. Er ist nach acht Jahren als Baustadtrat für die Alternative Liste, der er allerdings nie angehörte, zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt. Bevor er ins Kreuzberger Rathaus einzog, war er Interessenvertreter der Gewerbetreibenden im Sanierungsgebiet in SO 36. Jetzt macht er im Prenzlauer Berg Mieterberatung im Sanierungsgebiet. „Alles ehrenamtlich“, sagt er lachend. „Im Gegensatz zu Momper und Konsorten habe ich nicht diesen unbändigen Drang, Millionär zu werden.“

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