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Wie „Bild“ die Spione jagt

Die Enttarnung von Bonner Stasi-Agenten betreibt das Blatt im Alleingang / Generalbundesanwaltschaft rätselt über die trübe Quelle, SPD fürchtet eine Schlammschlacht  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Seit dem letzten Freitag wird der tägliche Arbeitsablauf bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe von der Bild-Zeitung bestimmt. Das Muster ist immer dasselbe –, egal, ob am letzten Freitag, am Samstag, am Montag oder am gestrigen Mittwoch. Morgens früh verbreitet das Boulevard- Blatt aus dem Springer-Verlag die Nachricht von einem weiteren enttarnten Stasi-Spion. Den Rest des Tages klingeln beim Generalbundesanwalt den ganzen Tag die Telefone. „Unsere Arbeit wird dadurch nicht gerade erleichtert“, stöhnt man in Karlsruhe.

Jüngster Fall: Bild enttarnte eine Bonner Journalistin sowie deren geschiedenen Mann, einen hohen Mitarbeiter eines Landesministeriums in Düsseldorf. „Jahrelang“ soll die Journalistin für den DDR-Staatssicherheitsdienst die SPD ausspioniert haben. Jetzt sei die „wichtige Agentin“ festgenommen worden, nach einem Geständnis inzwischen aber wieder auf freiem Fuß.

Es war neue Nahrung für die endlose Geschichte von den 2.000 Akten, die die Bundesregierung angeblich aus Moskau erhalten soll und die zur Enttarnung vieler Stasi-Spione führen soll. Die Springer-Journalisten verfügten offensichtlich über „eine Quelle in den Sicherheitskreisen“, wundert man sich beim Generalbundesanwalt. In der Karlsruher Behörde, die alle Ermittlungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit führt, kann die Quelle jedenfalls nicht sitzen – dafür war sie über den Stand der jeweiligen Ermittlungen in der Regel zu schlecht informiert.

Anders als von Bild behauptet, wurde die Journalistin weder vorläufig festgenommen noch liegt gegen sie ein Haftbefehl vor. Der SPD-Zentrale im Bonner Erich- Ollenhauer-Haus gab die Bundesanwaltschaft zu verstehen, daß es sich bei der angeblich so wichtigen Agentin eher um einen kleinen Fisch handele.

Sprach Bild am Montag von zwei SPD-Referenten, gegen die ermittelt werde, überprüfte der Generalbundesanwalt tatsächlich lediglich die „Personenidentität“ eines einzigen SPD-Mitarbeiters, der – nebenbei – auch kein politischer Referent ist.

Bei den Sozialdemokraten wächst mit jeder neuen Bild-Meldung der Argwohn. Bisher enttarnte das Springer-Blatt vor allem angebliche Agenten im linken und linksliberalen Lager – obwohl in den Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz auch Hinweise auf Spione im Regierungslager schlummern. „Ich habe den Eindruck, daß insbesondere Zeitungen des Springer-Konzerns versuchen, eine Kampagne gegen die SPD zu machen“, wetterte gestern Peter Struck, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, in den Stuttgarter Nachrichten. Struck befürchtet eine „Schlammschlacht“.

„Es ist offenbar jemand im Verantwortungsbereich der Bundesregierung, der da nicht dichthält“, ärgert sich der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Aber wer? In der SPD zieht man bereits Parallelen zur Vöcking-Affäre. Johannes Vöcking war der Abteilungsleiter im Kanzleramt, der im letzten Jahr einer Springer-Journalistin Geheimdienstmaterial über einen angeblichen Spion im Umfeld des damaligen SPD-Chefs Björn Engholm geliefert hatte.

Als der Kungelversuch aufflog, beschwor man im Kanzleramt, Vöcking habe als Einzeltäter und nicht auf Weisung gehandelt. Die SPD mochte das nie so recht glauben. Sie hatte und hat den Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) als Anstifter im Verdacht. Schmidbauer „quatscht zuviel rum“, so attackierte ihn sein SPD- Kontrahent Struck zuletzt vor einem Monat in einem taz-Interview.

Sicher nur ein merkwürdiger Zufall, daß es derselbe Kanzleramtsminister Schmidbauer war, der bereits im Frühjahr die Geschichte mit den 2.000 Akten verbreitete. Doch bis heute lassen es Bundesregierung und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Unklaren, um was für Akten es sich wirklich handelt –, die zweite große Frage, über die in der Bonner Agentenstory gerätselt werden muß.

Die fundierteste Version verbreitete am Montag abend das ARD-Magazin „Fakt“. Gestützt auf Zeugenaussagen ehemaliger Stasi-Hauptamtlicher berichtete das TV-Magazin, es handele sich um Stasi-Unterlagen, die bei der vom Runden Tisch gebilligten Vernichtung aller Akten aus der Stasi-Spionageabteilung HVA Anfang 1990 beiseite geschafft worden seien. Über die KGB-Außenstelle in Berlin-Karlshorst seien die Dossiers beim CIA gelandet, der sie wiederum im Juli diesen Jahres an das BfV weitergereicht habe.

Berichte wie diese beunruhigen von allem den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, den Berliner Behördenchef Joachim Gauck. Sollte es sich wirklich um Stasi-Unterlagen handeln, wären die Sicherheitsbehörden nach dem einschlägigen Gesetzen verpflichtet, diese Akten an Gauck weiterzureichen. In Gesprächen mit Kanzleramt, Innenministerium und BfV versuchte Gauck, mehrfach an die Unterlagen heranzukommen, zuletzt in einem Gespräch mit BfV-Chef Ekkehard Werthebach am Dienstag. Stereotype Antwort seiner Gesprächspartner: Es handele sich um keine Stasi-Akten.

Offenbar wolle die Bundesregierung eine eigene „separate und abgeschottete Verwaltung von Stasi-Akten“ schaffen, mutmaßt der sächsische SPD-Abgeordnete und Stasi-Experte Rolf Schwanitz. Für die Informationspolitik der Bundesregierung fällt ihm nur ein: „Vernebelungstaktik“.

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