: „Dies ist ein geschützter Raum“
■ Morgen feiert das Schmidt-Theater sein Fünfjähriges / Ein Gespräch mit Corny Littmann und Ernie Reinhardt
taz: Habt ihr euch dieses Schmidt vor fünf Jahren erträumt?
Littmann: Bei der Eröffnung am 8.8.88 haben uns selbst unsere besten Freunde maximal ein Jahr gegeben. Wir haben erstmal gedacht: Wie widerlegen wir sie? Wie kommen wir über das erste Jahr so hinweg, so daß wir das zweite Jahr auch noch machen? Und dann kamen so langsam die Gedanken: Wie geht es ins dritte, vierte, fünfte Jahr.
taz: Aber jetzt plant ihr nicht mehr jahresweise?
Littmann: Manchmal kommt uns der Gedanke, daß unser Mietvertrag hier nur bis 1999 läuft. Ansonsten denken und planen wir immer für etwa ein Jahr. Viel weiter können wir uns das zumindest im Schmidt auch nicht erlauben. Dazu ist die Gegenwart viel zu risikant.
taz: Wegen knappen Finanzen ?
Littmann: Die sind immer noch wackelig. Aber dieser Jahresrhythmus ist auch unserem Leben angemessen. Den Gedanken, jetzt schon zu wissen, was in zwei Jahren hier auf dem Spielplan steht, also auch nichts mehr bewegen zu können, fände ich ganz unerträglich.
taz: Auf staatliche Zuwendungen wollt ihr weiterhin verzichten?
Reinhardt: Das kann man so nicht sagen. Da gibts schon Ideen, wie uns was erleichtert werden könnte.
Littmann: Der Staat ist nicht der sichere Freier. Die Kassen stehen nicht immer offen, so daß man nur reingreifen muß. Das ist alles andere als eine sichere Bank.
taz: Kritiker werfen euch vor, an der Versnobung des Kiezes mitzuwirken.
Reinhardt: Das erheitert mich. Unser persönlicher Lebensstil ist ein anderer. Ich finde auch nicht, daß wir Schicki-Micki-Leute anziehen. Das, was wir auf dem Kiez zur Veränderung beigetragen haben, sehe ich positiv.
Littmann: Es gibt eine Entwicklung auf dem Kiez, die wir sehr bedenklich finden, zum Beispiel die Millerntorpläne. Es gibt hier eine städtische Konzessionspolitik für Spielhallen, die wir katastrophal finden. Aber der Kiez lebt auch von der Vielfältigkeit. Ich finde es noch erträglich, wenn es hier eine Cocktailbar von Herrn Sterzinger gibt. Ich fände es aber bedenklich, wenn zehn daraus würden. In den letzen Jahren ist jeder Versuch, die kulturelle Vielfalt stromlinienförmig auf eine Form festzulegen, kläglich gescheitert. Sterzinger und Becker haben sich auch mit dem Plan, den gesamten Hans-Albers-Platz zu yuppisieren, auf den Arsch gesetzt.
taz: Viele Schwule finden Euer Publikum und manchmal auch Euer Programm zu heterosexuell.
Reinhardt: Wenn mal der Gedanke da stand, daß dies eine ausschließlich schwul-lesbische Begegnungsstätte wäre, weil die Betreiber dieses Hauses und viele Mitarbeiter schwul oder lesbisch sind, dann kann man einfach nur sagen: Die Szene goutiert so etwas eine Weile, weil es schick ist, und dann wechselt der ganze Schwarm in den nächsten Laden. Darauf kann man nicht bauen. Ich denke aber, daß wir das, was uns ausmacht, genügend mit reintragen.
Littmann: Ich glaube, es gibt kaum ein Theater dieser Art in Deutschland, das so häufig so explizit schwule Programme hat. Bei uns ist in den letzten Jahren alles aufgetreten, was im Bereich der schwulen Unterhaltungskultur Rang und Namen hat. Aber egal, was für eine Veranstaltung hier läuft: Dies ist ein geschützter Raum. Wann immer ein Gast aufsteht und etwas schwulenfeindliches, frauenfeindliches oder ausländerfeindliches sagt, wird er rabiat aus dem Lokal herausgeschmissen. Hinter dieser Devise steht das gesamte Personal.
taz: Für Helga und Otto Normalverbraucher repräsentiert ihr schwules Leben. Die Wanders als alternde Tunte...
Littmann: (lacht) Alternde Diva!
Reinhardt: Die Wanders ist durchaus hetero, würde ich mal sagen. Es gibt genügend Leute, die noch immer nicht gerafft haben, daß ein Mann dahinter steckt.
taz: Bestätigt ihr damit nicht die Klischees über Schwule?
Littmann: Wir halten unser Publikum für so intelligent, daß es erkennt, daß das ein Spiel mit Theaterfiguren ist. Es gibt auch Reportagen oder Talkshows, wo hinter diese Figuren geguckt wird.
taz: Wie seht ihr denn euren Anteil am Schwulenbild der Leute?
Littmann: Wir geben zwar Anstöße, behaupten aber nicht von uns, die gültige Wahrheit zu vermitteln. Es löst etwas aus, wenn Menschen mit schwulen Figuren konfrontiert werden. Wir haben von vielen erfahren, daß sich durch unsere Sendungen in den Familien Diskussionen ergeben. Wir wissen zum Beispiel, daß viele Großeltern überaus positiv reagieren und damit ihre Kinder und Enkel außerordentlich verwundern.
Reinhardt: Wenn es so etwas vor 20 Jahren gegeben hätte, wärs mir sicherlich leichter gefallen, auf dem Dorf „rauszukommen“.
taz: Wie lebt es sich als Star?
Littmann: Es ist nicht immer so angenehm, wie die meisten sich das vorstellen. Aber es ist und bleibt auch 'ne freiwillige Entscheidung, das zu sein oder nicht. Du kannst auch etwas damit tun. Gewisse Türen gehen leichter auf als bei anderen und so kann ich auch für verschiedene Zwecke Dinge viel leichter als andere bewegen.
Reinhardt: Wenn mich bei der Christopher-Street-Day-Feier alle Lilo nennen und unheimlich nett zu mir sind, dann irritiert mich das auch. Weil ich nicht weiß, ob sie mich meinen oder ob sie mich mit dieser Rolle identifizieren. Aber letzten Endes ist es mir nicht lästig.
Passantin: Hallo Corny, ich hab dich doch erkannt. Vom Fernsehen, nicht? Schönen, guten Abend.
Littmann: Das ist Ernie.
Passantin: Das ist doch Frau...
Littmann: Wanders.
Passantin: Ich find Euch gut. Macht weiter so.
Fragen: Werner Hinzpeter
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