: Mit Semtex gegen Durex Von Ralf Sotscheck
Die Eröffnung des kleinen Ladens hätte in jedem anderen Land Europas höchstens Achselzucken ausgelöst – in Irland wären zwei alte Damen deshalb fast zu Terroristinnen geworden. Im Bus der Linie 19, der von der Dubliner Innenstadt in die nördlichen Außenbezirke führt, schmiedeten sie lautstark Pläne, wie der Laden am besten in die Luft zu sprengen sei. „Mit Semtex natürlich“, wußte die Weißhaarige. „Diesen Sprengstoff benutzt die IRA auch immer.“ Die Grauhaarige pflichtete ihr kichernd bei: „Mit Semtex gegen Durex.“
Durex ist einer der größten britischen Kondomhersteller, und der kleine Laden in der Temple Bar, der den Unmut der beiden Ladys hervorgerufen hat, ist die einzige Kondomerie Irlands. Seit vor einem Jahr das Gesetz geändert wurde, wonach Kondome nur in Arztpraxen und Apotheken verkauft werden durften, können die KundInnen bei „Condompower“ zwischen zweihundert Sorten wählen. Zu den Kunden gehörten auch zwei Priester, die genoppte Gummis erstanden hätten, behauptet Jacqui Power, die 33jährige Besitzerin des Ladens. Warum auch nicht? „Wenn Bischof Casey zu mir gekommen wäre, bevor er zu Annie Murphy gegangen ist, dann wäre er noch in Amt und Würden“, sagt Power und spielt auf den ehemaligen Bischof von Galway an, der im vergangenen Jahr überraschend Vater eines 17jährigen Sohnes geworden ist und untertauchen mußte.
Der Kirche ist der Gummiladen freilich ein Dorn im Auge, das man inzwischen jedoch zudrücken muß. Denn selbst die Pfaffen können in Anbetracht der Verbreitung von Aids nicht mehr den Kopf in den Sand stecken – auch wenn sie bis vor kurzem noch der Bevölkerung weismachen wollten, daß der Virus durch das Gummi schlüpfe. Zwar ist Aids in Irland bisher nicht sehr verbreitet, doch die Zahl der Fälle hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt – von 21 im Jahr 1991 auf 42. Dennoch gehen manche für die reine Lehre über Leichen. Eine Leserin schrieb an die Irish Times, daß es ihr lieber wäre, wenn ihr Sohn an Aids sterbe, als daß er ein Kondom benutze.
Allerdings hat die fromme Frau zunehmend schlechte Karten: Seit Anfang Juni dürfen Kondome auch in Automaten verkauft werden. Die Altersbegrenzung, die bisher bei 17 Jahren lag, ist damit hinfällig. Die Firma Durex unternahm sogleich eine statistische Erhebung, um den Markt auszuloten. Er ist lukrativ, stellten die Gummiproduzenten befriedigt fest: 59 Prozent der IrInnen zwischen 17 und 49 haben mindestens einmal pro Woche Geschlechtsverkehr. So rechnet die Kondomindustrie damit, in diesem Jahr 6,5 Millionen Stück zu verkaufen. Im Jahr 1985, als Kondome erstmals auch an Unverheiratete abgegeben werden durften, waren es noch 3,5 Millionen.
61 Prozent der IrInnen haben sich laut einer Meinungsumfrage für die Kondom-Automaten ausgesprochen. Nicht alle würden aber zugeben, sie auch zu benutzen: Nachdem der Installateur in einer Kneipe im westirischen Castlebar den Automaten aufgehängt hatte, vergaß er, ihn zu füllen. Als er den Irrtum am Abend bemerkte, steckten schon 34 Pfund im leeren Automaten. Keiner der 17 frustrierten Kunden hatte sich jedoch beim Wirt beschwert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen