Gitarre genommen – weitergemacht!

Zu jung zum Kompromiß, zu alt zum Erfolg – Townes Van Zandt gibt es trotzdem noch  ■ Ein Interview von Jens Hoffmann

Das ewig verkannte Genie: Als solches gilt Townes Van Zandt, 49 Jahre, (nicht nur) seinen Musikerkollegen – auch wenn die, wie Steve Earle, schon mal behaupten: „Townes Van Zandt ist der größte Songwriter aller Zeiten, und ich stelle mich in meinen Cowboystiefeln auf Bob Dylans Frühstückstisch und verkünde das.“ Tatsächlich landeten einige Country- und Westerngrößen in den vergangenen Jahren mit Coverversionen von Van- Zandt-Kompositionen ganz oben in den nordamerikanischen Charts, während der Ruhm des texanischen Songwriters selbst bis heute vergleichsweise zart geblieben ist. Immerhin wurde mit „Road Songs“ erstmals eine Van-Zandt-Platte in Deutschland auf einem Majorlabel veröffentlicht, ab und zu gibt es eine Kritikerhymne. Oder ein Interview...

Sechs Jahre ist es her, daß Ihr letztes Studioalbum „At My Window“ erschien. Kann man überhaupt noch mit einer Platte mit neuem Van-Zandt-Material rechnen?

Townes Van Zandt: Man kann. Ich plane gerade ein neues Projekt, die Songs für ein neues Album sind bereits fertig, ich schrieb sie in den vergangenen zwei Jahren. Ein Freund von mir hat ein Studio in Irland. Dort möchte ich dann mein nächstes Album aufnehmen. Aber alles wird ohne Plattenfirmen laufen. Erst wenn das Material fertig ist, werden wir es einem Label anbieten. Ich werde mich hüten, vorher einen Vertrag zu unterschreiben. Wenn du erst einmal bei einer großen Firma unterzeichnet hast, wollen sie dir alles vorschreiben: Wo du deine Songs aufnimmst, wer sie produziert und so fort. Ich habe es oft genug bei anderen Musikern gesehen. Vielen ist das egal, aber ich bin zu alt, um noch einmal einen solchen Kampf mit einer Plattenfirma auszufechten. Ich habe bisher alle meine Alben auf meine Art gemacht, und es ist mir noch immer verdammt wichtig, selbst zu bestimmen, wie ich meine Songs aufnehme.

Ist es nicht ein seltsames Gefühl, daß „Road Songs“, Ihre erste Platte, die in Deutschland von einem Majorlabel verlegt wurde, keinen Ihrer eigenen Songs enthält, sondern ausschließlich Coverversionen? Der Eindruck entsteht, daß hier versucht wurde, den Namen Townes Van Zandt durch Fremdkompositionen bekannt zu machen.

Nein, nein, es war ganz anders. „Road Songs“ war die Idee eines Freundes von mir. Er ist Tourmanager und nahm in den vergangenen Jahren viele meiner Konzerte auf. Normalerweise spiele ich drei bis vier Coversongs pro Auftritt. Er fragte mich also, ob ich nicht Lust hätte, eine Liveplatte zu machen, auf der nur Stücke sind, die nicht von mir stammen. Mir gefiel die Idee, und so machten wir uns daran, die Hunderte von Live- Bändern, die wir hatten, zu sichten. Es war ein großer Koffer voller Kassetten, auf denen meine Auftritte der vergangenen sechs Jahre in den USA und Kanada konserviert waren. Wir wählten 15 Songs aus, gingen ins Studio und mischten sie alle auf ein gleiches Level ab – übrigens ein langwieriger und nervtötender Job. Schließlich boten wir das Ganze einer kleinen Plattenfirma in Holland an, und die gab es dann weiter an BMG.

Es scheint, daß sich gerade ein TVZ- Revival anbahnt. Ihr Name wird wieder häufiger genannt, und man fand in letzer Zeit auch hier in Deutschland einige Berichte über Sie in den Medien.

Ja, es scheint, daß sich wieder ein paar Leute mehr für mich interessieren. Momentan ist sogar eine Anthologie mit 62 meiner Kompositionen in Arbeit. Sie soll bis Weihnachten als 4-CD-Set zusammen mit einem dicken Begleitheft mit allen Lyrics erscheinen. Die Songs werden aber nicht nur wiederveröffentlicht, sondern extra für diesen Sampler neu eingespielt. Die Hälfte davon von mir, die anderen von befreundeten Kollegen. Emmylou Harris, Freddy Fender und Willi Nelson waren bereits im Studio, aber auch Bob Dylan hat angekündigt, daß er mitmachen will.

Zwischen ihren Plattenveröffentlichungen lagen meist Jahre. Zwischen 1978 und 1987 ließen Sie gar nichts von sich hören. Wie kam es zu diesen Unterbrechungen?

In den neun Jahren führte ich wirklich ein wildes Leben, blieb meist nie sehr lange an einem Ort und reiste durch ganz Amerika. So verbrachte ich einmal in Colorado drei Monate in den Bergen, nahm mir ein Pferd und zog einfach durch die Wälder und Berge. Als ich zurückkam, nahm ich meine Gitarre und machte weiter. In all den Jahren schrieb ich aber immer Songs und gab Konzerte. Einmal veröffentlichte ich sogar eine Liveplatte in den Staaten, die aber nie in Europa erschien. Ich dachte, wenn du mal wieder ein Live-Album herausbringst, wissen die Leute wenigstens, daß es dich noch gibt. Nachdem Emmylou Harris und Don Williams mein Stück „If I Needed You“ aufgenommen hatten und ihre Version ein Nummer-1-Hit wurde, änderte sich alles. Meine Frau und ich wohnten zu dieser Zeit gerade in Texas, und unser Junge kam auf die Welt. Als das alles geschah, dachte ich, wir könnten neu anfangen. Ich hatte gerade einen Set neuer Songs fertiggestellt und fragte meine Frau, ob wir nicht nach Nashville gehen sollten. Ich hatte bereits zwei- oder dreimal zuvor in dieser Stadt gelebt und kannte deshalb noch eine Menge Leute von dort. Also zogen wir nach Nashville und ich versuchte, wieder in das Musik-Busineß einzusteigen. Als dann noch Willi Nelson mit meinem Song „Pancho & Lefty“ Erfolg hatte, wurde es einfach. Ich nahm mir einen neuen Booking-Agenten und machte das Album „At My Window“. Letztlich bewegte ich mich in all den Jahren nie außerhalb der Musik, nur außerhalb des Busineß.

Machte es Ihnen nicht manchmal zu schaffen, daß stets nur andere Musiker mit Ihren Stücken große Erfolge hatten?

Das war eigentlich nie ein Problem für mich. Für einen Songwriter ist es einfach ein gutes Gefühl, wenn jemand seine Stücke aufnimmt. Ob er dann damit Erfolg hat, ist nebensächlich.

Im vergangenen Jahr erzählten Sie während Ihres Konzertes in Frankfurt, daß Sie einen Song für Janis Joplin schrieben. Kannten Sie die Sängerin?

Ja, ich kannte Janis ganz gut. Wir stammten beide aus derselben Gegend in Texas und lebten in zwei benachbarten Städten, die etwa 60 Meilen auseinanderlagen. Ich kannte sie zwar nicht so lange, aber wir freundeten uns ein wenig an, nachdem wir ein paarmal zusammen aufgetreten waren. Sie ging dann nach Austin und später nach San Francisco. Als ich Jahre später von ihrem Tod hörte, traf mich das wirklich. Ich hatte gerade in irgendeiner Universität gespielt, und die Veranstalter gaben am Abend im dortigen Gästehaus eine Party. Irgend jemand kam plötzlich herein und sagte: „Gerade kam die Nachricht, daß Janis Joplin in New York gestorben ist.“ Das tat wirklich sehr weh in diesem Moment, und ich verabschiedete mich von allen und ging auf mein Zimmer, weil ich allein sein wollte. Ich erinnere mich, daß ich in meinem Zimmer aus dem Fenster in den Himmel schaute. Es war Nacht und der Himmel war verhangen und düster. Ich schaute also hoch und dachte „Good bye, Janis“. Und plötzlich, ob du es mir glaubst oder nicht, zogen sich die Wolken auseinander und ein gigantischer, gelb leuchtender Vollmond war zu sehen. Ich sah kaum hin, da schloß sich der Himmel auch schon wieder, und der Mond war verschwunden.

Ich setzte mich hin und schrieb in wenigen Stunden in jener Nacht wie in Trance diesen einen Song nieder. Ich weiß nicht, woher die Melodie und die Lyrics kamen. Ich änderte nie wieder etwas daran. Es ist ein recht komplizierter Song und ich spiele ihn noch heute unverändert.

Entstehen alle Ihre Songs so?

Nein, nein, nur einige. Es gibt Songs, die brauchen Tage, bis sie fertig sind, manche benötigen sogar Wochen oder Monate. Bevor ich verheiratet war und Kinder hatte, ging es schneller. Ich hatte eine Idee und arbeitete einfach so lange daran, bis der Song stand. Aber bei einigen Stücken, vielleicht einem Drittel, läuft es wirklich eigenartig ab. Ich habe ein unbestimmtes Gefühl, daß da irgendwo ein Song am Entstehen ist. Ich kann dann nichts machen, ich muß dasitzen und abwarten. Ich probiere in solchen Fällen auch nicht auf meiner Gitarre herum oder denke nach wie sonst, sondern warte einfach mit diesem seltsamen Gefühl. Und plötzlich kommt es dann über mich, und der Song fließt aus mir heraus. „Pancho & Lefty“ war so einer. Fast jeder Songwriter, den ich kenne, hat ab und zu solche Erlebnisse. Ich schrieb vor langer Zeit einen Song, der heißt „Mr. Mudd And Mr. Gold“, und habe bis heute den Eindruck, nicht viel mit ihm zu tun zu haben. Es war mitten in der Nacht in South Carolina. Ich lag alleine in einem fremden Zimmer und fühlte mich sehr einsam. Es lagen irgendwo gelbe Blätter auf einem Tisch, ich las einen Verriß über mich und dachte nur noch „Oh, mein Gott“.

In dieser Nacht bin wirklich tief abgestürzt. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag auf dem Nachttisch dieser Song und überall im Zimmer flogen diese gelben, bekritzelten Blätter zerrissen herum. Ich kann mich bis heute nicht erinnern, wie dieser Song entstand.

Wann fingen Sie mit dem Songwriting an?

Relativ spät, ich war schon 22 oder 23 Jahre alt, bevor ich begann, ernsthaft an eigenen Songs zu arbeiten. Ich spielte aber schon länger, ungefähr seit dem elften Lebensjahr, als mein Vater mir meine erste Gitarre schenkte. Ich brach dann irgendwann die Schule ab, um Folksänger zu werden. Aber erst 1966 wagte ich mich ans Songwriting, das ist jetzt auch schon 25 Jahre her.

Einflüsse?

Zuerst einmal Lightnin' Hopkins. Sein Gitarrenspiel, aber auch seine Einstellung zur Musik. Ich kannte ihn auch persönlich, wir kamen ja beide aus Houston. Ich versuchte damals jedoch, vor allem an seinen Platten zu studieren, wie er das mit der Gitarre so gut hinkriegt. Die Songwriter, die mich am stärksten beeinflußten, waren Bob Dylan, Johnny Cash – ich konnte eine Menge von Cashs Songs spielen, bevor ich selbst mit dem Schreiben anfing – und natürlich Hank Williams. Das waren meine „Top Three“. Aber was ich von all diesen Persönlichkeiten lernte, war nicht, genau wie sie meine Songs zu schreiben – ihre Lebenshaltung, ihre Einstellung zum Songwriting prägte mich.

Bereuen Sie es manchmal, sich für ein Leben als Musiker und Songwriter entschieden zu haben?

Ich bin letztlich froh, daß ich die Musik gefunden habe, die eine Sache ist, in der ich mich ausdrücken kann und ganz gut bin. Als ich jung war, fand ich es schrecklich, nicht zu wissen, was ich tun soll, worin meine Bestimmung im Leben liegt. Okay, die langen Jahre als Folksänger voller Armut und Einsamkeit, die viele fruchtlose Arbeit, das war nicht einfach. Aber das gehört einfach zu diesem Leben dazu. Die andere Seite ist, daß ich durch die Welt reisen konnte, viele nette Menschen traf und manchmal das große Glück hatte, daß jemand auf mich zukam und mir sagte, daß einer meiner Songs ihn berührt hatte und ihm in seinem Leben half. Ab und zu, wache ich noch heute nachts in irgendeinem Hotelbett auf und fühle mich sehr, sehr einsam. Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, noch einmal ganz von vorne anzufangen, könnte ich mir nicht vorstellen, einen anderen Weg zu gehen.