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Rhythmus ist ein Tänzer

Kunst als Kapitalismus, Kapitalismus als Kunst – oder bloß „The Great PopKomm Swindle“? Viel Trubel um „Kreative Köpfe“ in diesem Jahr auf der Kölner Messe „PopKomm“  ■ Von Thomas Groß

Oh, diese Messen! Man weiß im Grunde, daß sie die Pest des Jahres sind, daß Wochen nötig sein werden, um sich davon zu kurieren – und doch pilgert jeder hin. Zumal, wenn so ein Event „PopKomm“ heißt, ein Logo, in dem sich Pornographie, kategorischer Imperativ und der Glamour „Neuer Medien“ wechselseitig potenzieren.

Ausgedacht hat es sich Dieter Gorny, und dieser Einfall hat dem gebürtigen Soester nicht nur eine Traumkarriere vom Käseschnittchenschmierer für durchreisende Rockbands zum Mediamann und „Macher“ beschert, er hat die Salonfähigkeit der Pop-Branche insgesamt um entscheidende Akzeptanzpunkte befördert. Heute, im fünften Jahr ihres Bestehens, kommt kaum ein Medium, das dem modernen Leben aufgeschlossen gegenübersteht, mehr am Ereignis PopKomm (Untertitel: „Die Messe für Popmusik in Deutschland“) vorbei: Vorberichte allüberall, auch Fernsehfeatures und mundgemalte Gorny- Porträts. In Köln, wo das Ganze stattfindet, steht man sogar schon weit im Vorfeld Kopf. Industriekapitäne und Minister schreiben Geleitwörter, die Szene freut sich auf lukrative Jobs im Organisationsbereich, und Lokalpolitiker schwärmen euphorisch vom „internationalen Medienstandort Domstadt“. Letzteres ist nicht mal bloße Rhetorik: Außer der MIDEM in Cannes ist die Konkurrenz in Sachen Pop und Medien inzwischen weltweit abgeschlagen. Wenn Gorny die Statistik nicht eigenhändig gefälscht hat, soll seine am Sonntag zu Ende gegangene Fachmesse in diesem Jahr um die 9.000 Besucher angesogen haben.

Kein Wunder also, daß so mancher, der beim Wandeln durch die Hallen des „Messe Zentrums Ost“ Dieter Gornys rauschgoldengelgleicher Erscheinung begegnet ist, darin den kommenden Kultusminister erkannt haben will. Das hat uns noch gefehlt: ein Jack Lang aus Nordrhein-Westfalen, nüchtern genug, um Bilanzen zu verstehen, visionär genug, um von „Benutzeroberflächen“ zu sprechen – und dann auch noch mit den Jungen kann.

Darüber hinaus verfügt Gorny über den Vorteil, ein theoretischer Kopf zu sein. Das heißt, „Theorie“ ist es nicht eigentlich zu nennen, was er unter Heranziehung befreundeter Ghostwriter produziert, es ist mehr eine Art Sound: Der Mann hat ein modernistisches Begriffsvokabular gesamplet, das er auf Abruf – sozusagen bei der geringsten Berührung seiner Benutzeroberfläche – fast frei von menschlichem Versagen zu satzähnlichen Wortketten aneinanderzureihen imstande ist. „Schnittstelle“, „Diskurs“, „künstlerischer Prozeß“, „Mittelstandsförderung“, „Handlungsbedarf“, „Data- Super-Highway“ – so spricht es aus ihm heraus, in diesem Jahr noch zusätzlich motiviert durch das Motto „kreative Impulse für den Markt“, unter dem der Kongreßteil der Messe lief.

„Kreativität“ heißt für Gorny zunächst einmal die „Fähigkeit zum vernetzten Denken“. Und so denkt er in einem den Messekatalog eröffnenden Theorie-Remix mühelos Marshall McLuhan und Dr.Hubert Burda zusammen, plant kühn in die Zukunft hinein, entwirft weitblickend „Szenarien“: Je mehr die Gesellschaft Informationsgesellschaft wird, je weiter sich die verschiedenen Datenträgertechnologien verflechten, je immaterieller die Ware Pop damit wird, desto mehr wird das gute alte globale Dorf endlich Wirklichkeit. Will die phonographische Wirtschaft mit der Entwicklung Schritt halten, muß sie so „kreativ“ sein wie die in der Technik angelegten Möglichkeiten, muß in ebenso labile wie dynamische Märkte investieren. Und so träumt Gorny von einem Data-Fluß, in dem die Ware Information keinerlei Reibungsverluste mehr hinzunehmen hat. Nicht einmal mehr Tonträger soll es in dieser schönen neuen Welt mehr geben. Man sitzt nur noch zu Hause am Terminal, an dem man sich, gegen ein gewisses Entgelt versteht sich, die Welt virtuell hereinholt.

Im Gegensatz dazu ist so ein Messe-Parcours realiter das Alleraltmodischste, was man sich vorstellen kann – kein Data-Super- Highway, sondern ein Boulevard Bio. Der Reibungsverlust ist hier gewissermaßen zum Prinzip erhoben: Vermittels purer Manpower bewegt man sich durch Gänge, um sich auf langen Wegen Informationen zu besorgen, die per Telefon, Mailbox oder auch Info-Blatt viel schneller und bequemer erreichbar wären. Im Gegenzug sorgt die Ineffizienz im Gespräch, das redundante Plaudern, Blubbern und Trinken in phantasievoll ausgestalteten Gevierten immerhin für den angenehmen Eindruck, es noch mit echten Menschen zu tun zu haben. Und das ist wiederum ein psychologisch reinvestierbarer Effekt. Messe ist socialising: Wenn man nach seiner ureigenen Promotour durch die Halle nebst anschließendem abendlichen Konzertbesuch spät in der Nacht sturzbetrunken umfällt, soll man selbiges in dem warmen Gefühl tun, zur Branche zu gehören oder günstigstenfalls sogar als „Kreativer“ erkannt worden zu sein.

Messe ist aber auch Glamour. Auf diesem Sektor gab es nicht nur einen Zuwachs im unmittelbar haptovisuellen Bereich der Beauty of Money, sprich: Nam-June-Paik- like Bildschirminstallationen, von Künstlern ausgestaltete Messekabinen, zuhälterartige Super-Surf- Mobile, aus deren geöffneten Türen riesige Mischpulte ragen, Messe-TV, Massagemöglichkeiten am Stand für „Body&Soul – Black Music Vol.1“ sowie natürlich vielfältig aufgedresste Menschen (inklusive der Möglichkeit zum Augenkontakt mit internationalen Stars wie Costa Cordalis und Thomas Anders); nein, man hatte sich in diesem Jahr sogar einen echten Professor eingeladen. Prof.Dr. Norbert Bolz, nach diversen Intermezzi in Freiburg und Berlin an der Gesamthochschule Essen tätig, sollte zum Thema „Kreativität und neue Medien“ unter besonderer Berücksichtigung von Max Bense sprechen. Zu erwarten gewesen war eine volkstümlich verklappte Version des latent technokratischen Neopositivismus-Denkens, mit dem seit Jahren fröhlich die Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften betrieben wird, allein Bolz erschien nicht. Der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Messe entsprechend hatte er, irgendwie ganz konsequent, sein Honorar frei auf 5.000 Mark festgesetzt. So teuer wollte man sich den Hofnarren auf seiten der PopKomm dann doch nicht kommen lassen.

Gemerkt haben werden Bolz' Ausfall ohnehin die wenigsten. Die PopKomm 93, das ließ sich am Besuch der begleitenden Panels ablesen, ist weder auf universitäre Überhöhung noch auf schmückende Überlegungen zur Dissidenz im Zeichen neuer Technologien länger angewiesen, um Besucher zu binden. Der Abschied von der Jugendkultur, wie wir sie kennen, hat sich hier in relativer Stille vollzogen. Statt Energien in romantische Subversionsszenarien zu investieren oder unverdrossen Jugendrenitenz an den Tag zu legen, versammelte sich ein halb nüchtern, halb andächtig lauschendes Publikum auf der Haupt-Programmschiene „Kreative Köpfe – Kreative Konzepte“, um anschließend zu fragen: Wie haben Sie das gemacht, Herr Haentjes?

Michael Haentjes, einer der Aufsteiger des letzten Jahrzehnts (mit seiner 1985 gegründeten „edel company“ hat er es ohne nennenswertes Startkapital zur größten nicht konzerngebundenen Tonträgerfirma auf dem deutschen Markt gebracht) spricht auch geduldig über Standortvorteile, Produktivitätsausnutzung, Mitarbeitermotivation; insbesondere im deutschen Osten, wo „edel“ ein CD-Werk betreibt, habe er ein Potential hochengagierter Leutchen vorgefunden, Mitarbeiter, die sich sozusagen den Arsch aufreißen im Dienste der Firma. Bloß was den eigentlichen Kern seines supersteilen Erfolgs ausmacht, bleibt in Haentjes' Vortrag ebenso nebulös wie im Fall von Matthias Martinsohn, der unter dem Namen Snap („Rhythm Is A Dancer“) erstmals deutsche Dancefloor-Produkte weltweit in die Hitparaden gebracht hat. „Flexibilität“? „Risikobereitschaft“? „Organisationstalent“? „Innovationsfreude“? Ist der Rhythmus ein Tänzer?

Er ist. Leute wie Haentjes und Martinsohn verkörpern moderne Gründungsmythen, sie vereinigen die besten Eigenschaften der klassischen Unternehmerpersönlichkeit in sich; mehr noch aber sind sie postfordistische Investment-Jongleure, die sich nicht sklavisch mit ihrem Produkt identifizieren. Wenn die „edel company“ mit dem Soundtrack zu „Eis am Stiel, Teil IV“ kein Geld mehr einfährt, macht sie eben auf Merchandising – oder entdeckt „Weltmusik“. Insofern hat Dieter Gorny mit seiner Leier von der medialen „Benutzeroberfläche“ nicht einmal unrecht: Die neuen Musik-Mittelständler sind Leute, die weniger denn je von den Mechanismen verstehen müssen, die hinter den Effekten wirksam sind. Es genügt, daß sie mit ihnen arbeiten, Kapitalismus als eine Art Kunst begreifen, vergleichbar einem Videospiel, das man möglichst lange und möglichst erfolgreich zu spielen gedenkt.

Daß Haentjes, Martinsohn & Co im Rahmen einer Messe wie der PopKomm hergezeigt werden, macht aber auch klar, wie nötig die popproduzierende Industrie solche Vom-Klinkenputzer-zum-Millionär-Stories hat. Wer viel von „Kreativität“ redet, hat Angst, sie könnte einmal ausbleiben. Die Yuppie-Stürze der Neunziger haben gerade erst begonnen, und wenn die Branche etwas noch mehr braucht als „Kreative Köpfe“, so ist es Nüchternheit.

Die Abschlußveranstaltung mit dem Kirchentagstitel „Kreativität, Verantwortung, Ethik – hat die Popmusik-Industrie eine Moral?“ hätte man sich also getrost sparen können – viel mehr als eine Beschwörung des mündigen Konsumenten kam dabei nicht zustande. Was Grundformen der Kooperation anbelangt, zeigte eine Randpointe viel eher, worauf es ankommt: Eine Dortmunder Band mit dem schönen Namen Phantoms of Future hatte ein T-Shirt drucken lassen, das, in Anlehnung an alte Punk-Zeiten, den Messezauber als „The great PopKomm Swindle“ enttarnte. Nach Angaben des Bassisten wollte man mit der Aktion darauf hinweisen, „daß die Musiker, um die es ja letztendlich geht, auf dieser Messe gar nicht repräsentiert sind“.

Soviel Klartext ließen die Veranstalter sich erst gefallen, nachdem die Band sich verpflichtete, die Hälfte des Reinerlöses an das Kölner Kunsthaus „Rhenania“ abzuführen – mit dem Ergebnis, daß das Shirt schließlich am offiziellen PopKomm-Infostand verkauft wurde. So selbstironisch kann es zugehen, wenn ein System mit seinem eigenen Widerspruch halbe halbe macht.

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