■ Erklärung des RAF-Gefangenen Helmut Pohl: „Es wird keine Neuauflage der Kinkel-Initiative geben“
Es ist jetzt vielleicht noch einmal Gelegenheit, etwas für uns zu sagen. Jedenfalls wollen wir zu uns, ein großer Teil der Gefangenen aus der RAF, für jeden Klarheit schaffen.
Niemand von uns und auch niemand von den Angehörigen hat die Forderung nach einem kurzzeitigen Zusammenkommen, wie sie jetzt durch die Öffentlichkeit gewälzt worden ist, gestellt.
Wir haben diese Forderung nicht, wir lehnen das ab, unsere Forderung ist nach wie vor: Freiheit jetzt, Zusammenlegung bis dahin. Wären wir jetzt für wenige Monate oder Wochen zusammen, wäre unser Thema auch nicht der „bewaffnete Kampf“, sondern eben unsere Freiheit. In anderen Worten: Nicht der Frieden mit dem Staat und nicht eine Schlußabwicklung unserer Geschichte nach den letzten beiden katastrophalen Jahren, sondern wie wir die Kräfte aus der Gesellschaft gegen den Staat erreichen, die uns schließlich aus den Gefängnissen bringen – weil sie die Situation erfassen, ihre eigene, die Perspektive und die Bedeutung davon erfassen, der machtbesoffenen politischen Klasse die Bestimmung über politische Weichenstellungen wegzunehmen. Die Geschichte jetzt ist eine neue dieser Inszenierungen seit der sog. „Kinkel-Initiative“, an denen nichts real ist, es sei denn, man nimmt sie gleich als Vorhang zu Täuschung und Desorientierung, und diese Formeln wie „Lösung“ oder „Versöhnung“ gleich als Synonyme des Apparats für endlosen Knast für einen dafür vorgesehenen Teil der Gefangenen. Konnte sich die Kampagne um die „Kinkel-Initiative“ noch auf einige wenige Gefangene stützen, die darauf eingestiegen sind und draußen auf die „neue“ Politik der RAF mit der „Steinmetzschen“ Einheit, kommen sie inzwischen ganz ohne aus. Es ist eine reine Eigenproduktion von Verfassungsschutz, Medien und Politikern. Sie brauchen für unsere „Forderungen“ überhaupt niemand mehr, und so gesehen ist es die konsequente Weiterentwicklung der Übernahme unseres langjährigen Gefangenenprojekts durch den Staat mittels der „Kinkel-Initiative“ und deren Anhang.
Jetzt hören wir, phänomenal für uns, daß dieses Kunstprodukt (denn real würde dieses „Treffen“ sowieso nie) Diskussionen ausgelöst hat bis hinein in gesellschaftlich etablierte Kreise, die sich schon lange nicht mehr mit Gefangenen befaßt haben, weil für sie die ganze Sache mit uns schon längst so gut wie erledigt war.
Ihr macht Euch sorgen, über eine möglicherweise „neu entstehende Gewalt von links“? Macht Euch lieber Sorgen um Euren Staat. Die fette Kohle bringt er sowieso nur noch für immer weniger.
Es wird mit uns keine Neuauflage von sowas wie der „Kinkel- Initiative“ geben, in welcher heutigen Variante auch immer. Wenn, dann deutlich gegen uns.
Soweit kann ich aus einem Konsens mit Brigitte, Christian, Rolf (Heissler), Eva, Heidi, Rolf (Wagner) sprechen. Das sind keineswegs alle Gefangenen, die so denken, wir sind aber die Gefangenen aus der RAF, für die im Ergebnis der Entwicklung seit '92 die „Lösung“ darin bestehen soll, daß wir im endlosen Knast wegsiechen.
Von Ingrid und Sieglinde will ich in diesem Zusammenhang gar nicht anfangen.
Ihr werdet Euch bei etwas Besinnung leicht vorstellen können, daß wir das nicht fressen, und vielleicht wird Euch auch dämmern, daß wir mit dieser Lage weit über der Grenze sind, wo uns der Staat noch was anhaben kann, zumal für jede/n von uns alles, was sie tun können, schon einmal da war.
Zu der zu erwartenden Wiederholung der ewigen Leier von den „Hardlinern“ erinnere ich noch einmal daran, daß wir es waren, die seit langen Jahren eine Zäsur wollten, und weil wir die Fälschungen und Hetzstories, die immer wieder gestrickt werden, so satt haben, will ich jetzt noch dazu sagen, daß auch der Schritt zur Einstellung von „gezielt tödlichen Aktionen gegen Repräsentanten von Staat und Wirtschaft“ von uns initiiert wurde. Allerdings ein gutes Jahr früher, als er kam, und wir sind auf Nichtbegreifen gestoßen, und dann kam Kinkel, und dann ging die „Zäsur“ nach hinten los.
Wir Gefangenen haben ursprünglich unseren Kurs auf „Diskussion“ und „Zäsur“ seit Ende der 80er Jahre, bei gleichzeitiger Deeskalation in unserer Auseinandersetzung mit dem Staat keineswegs aus einer „Aufgabe des Kampfes“ heraus gemacht, wir haben es in der Überzeugung gemacht, daß vor den Ergebnissen des kapitalistischen Durchmarsches eigentlich viele mehr als vorher sehen müßten, daß jetzt eine Situation Realität wird, aus deren Antizipation wir 20 Jahre gekämpft haben, um sie zu verhindern. Wir wollten das als unseren spezifischen Gefangenen-Beitrag zu einem Klärungsprozeß für eine Neuzusammensetzung einer Umwälzungspolitik, die heute über das linksradikale und auch ehemals linke Spektrum hinausreichen könnte. Wir wußten, daß wir dafür einen engen Zeitraum des Übergangs im Umbruch haben, weil dann die Auswirkungen des Umbruchs voll herausgekommen sein werden, und daß dann gesellschaftlich und politisch soviel an neuem Überlebenskampf, Konfrontation im zerbrechenden sozialen Zusammenhang und Destruktion in der globalen politischen Lebenswirklichkeit aufbricht, daß davon die politische Möglichkeit dafür erdrückt wird und es dann damit auch für eine Lösung unseres Gefangenenproblems zu spät ist, weil dann der Staat in der Krise uns vielmehr zum Demonstrationsobjekt für die Behauptung und Durchsetzung von Machtanspruch und Machtexekution nehmen wird, als uns freizulassen.
Es war der Versuch — an einer doch nicht unwesentlichen Stelle, schließlich hat die Auseinandersetzung RAF-Staat die Gesellschaft über 20 Jahre betroffen — einer ansatzweisen Verankerung eines Grundkurses auf überhaupt politische Prozesse, gegen die absehbare Chaotisierung und Brutalisierung aus den vom Mikro-bis zum Makro-Bereich aufplatzenden Gegensätzen mit der Tendenz zum Jeder-gegen-jeden, was heute alles vor 3,4 Jahren nicht vorhersehbar gewesen sein soll. Die Faschisierung nicht, der Rassismus nicht, der soziale Einbruch nicht, nichts, alle waren so glücklich, als die „neue Weltordnung“ anbrach.
Heute kommt man wohl nicht mehr daran vorbei, den Versuch als überholt anzusehen.
Wenn es denn heute soweit ist, wie dieses Staatsschutzprodukt eines kurzzeitigen Zusammentreffens kommt, daß sie glauben, die Ernte der letzten zwei Jahre einfahren zu können und jedem die Pistole auf die Brust zu setzen und nach seiner Aussage zum „bewaffneten Kampf“ abzufragen, dann kann ich ihnen auch gleich antworten: Ich mache diese politische Aussage, die ich die letzten Jahre vertreten habe, heute nicht mehr.Die Möglichkeit, die in der Zäsur gesteckt hat, dürfte vorbei sein. Die bewaffnete Aktion und die Militanz wird einfach in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Konfrontationen und in allen möglichen Formen stattfinden. Egal, was die RAF oder Gefangene sagen. Und das werde ich in manchem bestimmt gut nachvollziehen können. Deshalb werde ich einen Teufel tun, den bewaffneten Kampf „abzusagen“. Helmut Pohl
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