: Zwangseinweisung ins Heim befürchtet
■ Behindertenverbände gegen Verwaltungsanweisung / Behörde sieht kein Problem
Rund 60 schwerbehinderten Bremern, die bisher in ihren eigenen Wohnungen von Pflegekräften ambulant betreut werden, droht demnächst die Zwangseinweisung in ein Heim. Das zumindest befürchten die im Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammengeschlossenen Behindertenverbände.
Ursache ist der Entwurf einer Verwaltunsanweisung für die Abwägung von ambulanter gegen stationäre Hilfen, zu der die Sozialdeputation Ende August eine Anhörung durchgeführt hat. „Sollte diese Verwaltungsanweisung kommen, könnte das in den nächsten Jahren auch ganz massive Auswirkungen auf die Einweisung alter Menschen in Pflegeheime haben“, befürchtet Norbert Breeger vom „Paritätischen“.
Hauptkritikpunkt der Behindertenverbände an der Verwaltungsanweisung ist ein Passus, in dem festgelegt wird, daß ambulante Hilfen künftig nur noch dann finanziert würden, wenn sie nicht um mehr als 30 Prozent über den Kosten für eine Heimunterbringung liegen. Dies bedroht alle Behinderten, die für ihre ambulante Betreuung auf zwei festangestellte Pflegekräfte angewiesen sind. Und es könnte pflegebedürftige alte Menschen noch eher betreffen, da bei ihnen die Vergleichskosten einer Heimunterbringung deutlich niedriger liegen als bei Schwerbehinderten.
„Unser Ziel muß es nicht sein, noch mehr Menschen in Heime zu verfrachten, sondern im Gegenteil, Leute aus den Heimen wieder herauszuholen“, meint Horst Frehe von „Selbstbestimmt Leben“. Für die Anhörung der Sozialdeputation hat er ausgerechnet, daß bereits heute in Bremen überdurchschnittlich viele Schwerbehinderte in Heimen untergebracht sind. „Die Heimträger haben in Bremen eine unheimlich starke Lobby“, erklärt sich Frehe dieses Phänomen.
Der zuständige Referent der Sozialsenatorin, Gerd Wenzel, kann die Aufregung der Behindertenverbände allerdings überhaupt nicht verstehen. „Diese Verwaltungsanweisung ist keine Sparmaßnahme, sondern soll lediglich der Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis dienen“, sagt er. Schließlich müsse nach geltender Rechtssprechung sowieso stets ein Kostenvergleich zwischen ambulanter und stationärer Betreuung angestellt werden, da sei es eher ein Fortschritt, wenn im Bremen künftig ambulante Betreuung auch noch dann genehmigt werden könne, wenn sie um 30 Prozent teurer sei als die stationäre.
Der Entwurf zur Verwaltungsanweisung soll nun allerdings noch einmal überarbeitet und dann wiederum der Deputation vorgelegt werden. Wann und ob dies überhaupt passiert, konnte Wenzel gestern noch nicht sagen: „Darüber muß erstmal die Behördenspitze entscheiden.“
Die Vorsitzende der Sozialdeputation, Karoline Linnert (Grüne), gab gestern unterdessen beiden Seiten Recht. Tatsächlich habe die Sozialbehörde mit ihrer Verwaltungsanweisung keine Verschlechterung der Situation der Pflegebedürftigen im Sinn gehabt, aber auch den Protest der Behinderten könne sie verstehen. Linnert in Bezug auf die Verwaltungsanweisung: „Es ist nicht immer alles gut gemacht, was gut gemeint ist“. Ase
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