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Leih Dir doch einen Drahtesel!

In Berlin gibt es viele Fahrradverleih-Läden – doch davon allein kann keiner leben / ABM-finanzierte Stellen können Räder billiger vermieten  ■ Von Martin Böttcher

Für Touristen ist es die ideale Möglichkeit, Berlin kennenzulernen: Ein paar Stunden, Tage oder sogar Wochen lang ein Fahrrad auszuleihen, dazu ein Schloß und eine vernünftige Karte, und nichts steht mehr der Entdeckung der Stadt im Wege. Auch der eine oder andere Berliner nimmt die Verleih-Stationen in Anspruch, bei Unfall oder Diebstahl, bei Streik der öffentlichen Verkehrsmittel oder für die Wochenend-Radtour.

Inzwischen gibt es in Berlin zahlreiche Läden, in denen Räder verliehen werden. Die Konkurrenz ist mittlerweile so groß, daß nach Angaben von Fahrradverleiher Christoph Wartenberg „keiner davon leben kann“. Sein Fahrradverleih „Rad Lust“ liegt in Kreuzberg, in der Waldemarstraße 42. Dort verleiht er schon seit rund vier Jahren Räder im größeren Stil. Im Angebot hat Christoph Wartenberg 70 bis 80 Bikes, die hochwertig und deshalb weniger reparaturanfällig sind. Ab 15 DM pro Tag sind diese Räder zu haben. Damit bewegt sich Christian Wartenberg nach eigenen Angaben „an der untersten möglichen Grenze“. Trotzdem, so sagt er, würden um die Ecke die Räder für gut die Hälfte abgegeben. Denn im Fahrradverleih an der Straße der Pariser Kommune am Hauptbahnhof sind die meisten Mitarbeiter ABM-Kräfte. Die sehr günstige Verkehrsanbindung und die geringen Kosten sind klare Wettbewerbsvorteile. Christoph Wartenberg beklagt sich denn auch, daß seit der Eröffnung des Hauptbahnhof-Fahrradverleihs sehr viel weniger Räder bei ihm entliehen würden – „und außer der Konkurrenz trifft uns der Touri-Rückgang hart“.

Auch bei „Berlin by bike“, Fahrradladen und Verleihstation in der Kreuzberger Möckernstraße 92, ist man nicht gerade erfreut über die billigen Anbieter vom Hauptbahnhof. Frank Gratz, Mitarbeiter bei „Berlin by bike“, findet es „unfair, wenn durch ABM Dumpingpreise möglich werden“. Seit zwei Jahren hält sich der Laden mit den 50 Verleihrädern mehr schlecht als recht über Wasser. Gewinn erzielt er nach Angaben von Mitbesitzerin Idoia Martinez noch nicht, gelebt wird von Erspartem. Zu den Hauptkunden gehören Touristen, besonders Deutsche und Amerikaner und – je nach Saison – Spanier und Franzosen. Alle teilen die Vorliebe für Trekkingräder, die 20 DM pro Tag kosten, Schloß und Karte inklusive. Leichte Beschädigungen der verliehenen Räder beseitigt „Berlin by bike“ kostenlos. Im Falle eines Diebstahls oder einer schweren Beschädigung haftet der Kunde. Allerdings sei erst einmal einer Schweizer Touristin ein Rad geklaut worden, sagt Idoia Martinez, und die habe ihr Rad unzureichend gesichert.

Eine früher ebenfalls durch ABM-Mittel unterstützte Velo- Station, der Radverleih Ostrad in der Greifswalder Straße 9, hat mit dem ABM-Rent-a-bike keine Schwierigkeiten. Allerdings nicht aus Solidarität, sondern weil der Fahrradverleih wirklich nur nebenbei läuft. Die Spezialität der Ostrad-Leute ist der Bau von Liegerädern. Allein mit dem Verleih der etwa 20 Mieträder könne man nicht existieren, verrät ein Mitarbeiter.

Beim Fahrradverleih Mietzner in der Hagelberger Straße 53 ist der Radverleih sogar ein Zuschußgeschäft. Mit ebenfalls 20 Rädern will man den Kunden nur eine zusätzliche Dienstleistung zu Verkauf und Werkstatt anbieten. Doch die Wartung der Räder verschlingt alle Einnahmen aus dem Mietgeschäft: „Da sieht sich kein Kunde vor, wenn es nicht sein Rad ist“, sagt Filialleiter Hans-Joachim Wendlandt, „und eine zusätzliche Kraft kümmert sich nur um die verliehenen Räder.“

Doch trotz aller ABM-Kräfte im Radverleih am Hauptbahnhof: So billig wie das „Umweltzentrum Berlin der Grünen Liga“ in Friedrichshain (Jessnerstraße 19) kann man Räder sonst wohl nicht verleihen. Denn die ehemaligen ABM- Kräfte arbeiten ehrenamtlich und haben dementsprechende Preise. So werden nach Angaben des Mitarbeiters Marten Düsterhöft Räder für Schüler unentgeltlich abgegeben: „Hier gibt es ja nicht mehr viel für Kinder und Jugendliche. Die Räder sind eine der wenigen Möglichkeiten, nach der Schule etwas zu unternehmen.“ Die Fahrräder, meist Klappräder, wurden im Umweltzentrum mit Hilfe der Jugendlichen aus Schrotteilen zusammengebaut. Ausgeliehen werden sie an Minderjährige – aus formal-juristischen Gründen – nur mit Einverständniserklärung der Eltern. Erwachsene, die sich Räder ausleihen, zahlen, was sie können – Richtpreis sind 5 DM pro Tag. Das ganze System, sagt Marten Düsterhöft, beruhe auf Vertrauen: „Bis jetzt ist noch kein Rad weggekommen.“

Die genannten Fahrradverleih-Geschäfte stellen nur einen Teil der in Berlin und Umgebung vorhandenen Mietmöglichkeiten dar. Eine Liste aller Stationen ist beim ADFC, Brunnenstraße 28, 10119 Berlin erhältlich.

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