■ In Genf finden zwei internationale Konferenzen statt: Nebeneinanderher konferiert
Der Kontrast könnte schärfer kaum sein. Im mit Natodraht gesicherten Genfer UNO-Palast bemühen sich seit Anfang der Woche die für Völkermord, „ethnische Säuberung“ und Massenvergewaltigungen politisch verantwortlichen Männer, Milošević, Karadžić, Tudjman und Boban, um die endgültige Sanktionierung ihrer Kriegsverbrechen. Mit Hilfe der Vermittler von UNO und EG, Stoltenberg und Owen, drängen sie die muslimischen Hauptopfer dieser Verbrechen zur Unterzeichnung des Abkommens über die Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas. Und im nur fünfhundert Meter entfernten, ebenfalls scharf bewachten Genfer Konferenzzentrum diskutieren zur gleichen Zeit die Außenminister von 159 Staaten über den „verbesserten Schutz für Kriegsopfer“. Abstrakt und ohne Nennung konkreter Konflikte. Nur Österreichs Außenminister Alois Mock hielt sich dankenswerterweise nicht an diese vorab vereinbarte Geschäftsbedingung der auf Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) veranstalteten Konferenz.
Das absehbare Ergebnis der Bosnien-Verhandlungen steht laut Mock „im Widerspruch zu den Satzungen der Vereinten Nationen und zu anderen Grundregeln, die man in den letzten vierzig Jahren zur internationalen Politik entwickelt hat – nämlich keine Grenzveränderungen durch Gewalt und das Verbot ethnischer Vertreibungen“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Daß diese Grundsätze und damit wesentliche Bestandteile des in den Genfer Konventionen und ihren zwei Zusatzprotokollen vereinbarten humanitären Völkerechts von der internationalen Staatengemeinschaft im Bosnien-Konflikt nicht durchgesetzt werden, mache „die Grundsätze selbst unglaubwürdig und schadet der Glaubwürdigkeit der UNO sehr“. Diese Kritik Mocks trifft exakt die Schwachstelle der Kriegsopferkonferenz. Allerdings trifft sie die teilnehmenden Regierungen und nicht das IKRK, das ja selber immer häufiger zum Opfer von Krieg und Gewalt wird. Erst letzte Woche wurden in Sierra Leone zwei IKRK-Krankenschwestern ermordet.
Ob der Maßnahmenkatalog zur Verbesserung des Kriegsopferschutzes, mit dessen Verabschiedung die Genfer Konferenz gestern zu Ende ging, tatsächlich etwas bewirken wird, muß leider bezweifelt werden – zumal die internationale Staatengemeinschaft noch nicht einmal zur Ahndung schwerster Verstöße gegen das geltende Recht bereit zu sein scheint. So sprachen sich vor dem Konferenzplenum zwar sowohl Rußlands Außenminister Kosyrew wie US-Botschafter Zimmermann in allgemeiner Form für die Etablierung des Kriegsverbrechertribunals zu Ex-Jugoslawien aus. Auf konkrete Nachfragen, ob die Herren Milošević und Karadžić, Tudjman oder Boban denn jemals vor diesem Tribunal zu erscheinen hätten, war jedoch sowohl im Genfer Kongreßzentrum wie im UNO-Palast nur noch ein müdes Lächeln zu ernten. Andreas Zumach, Genf
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