piwik no script img

Aus der Tiefe des Stadtteils

Die Genossenschaft „St. Pauli Hafenstraße“ setzt dem Bauvorhaben der Stadt eine bedürfnisorientierte Planung von Stararchitekt Hinrich Baller entgegen. Mit Stadtteilhalle, Volxküche, Kita und Badehaus gegen genormte Sozialwohnungen. „Aktion Umverteilung“ soll die Finanzierung sichern.  ■ Von Michaela Schießl

Henning Voscherau ist ein ganz schlauer Fuchs. Und, wie das zu einem ganz schlauen Fuchs gehört, voller List und Tücke. Besonders wenn Wahlkampf ist. Vor allem aber, wenn es um sein Reizthema geht: Hafenstraße. „Wir setzen den rechtsstaatlichen, geduldigen Weg der Lösung des Problems fort“, sagt der Hamburger Oberbürgermeister beherrscht.

In Wahrheit jedoch ist dem Senat der Geduldsfaden mit den widerborstigen Bewohnern der Hafenstraße längst gerissen. Raus gehen sie nicht, sanieren lassen sie nicht, Mieterhöhungen sind unmöglich, und nun werden die Provokateure zu allem Unglück auch noch konstruktiv, unter begeisterter Zustimmung der Stadtteilbevölkerung. Der Schreck sitzt tief: Die Hafenstraße will bauen.

Da hilft nur eins: sofort selbst betonieren. Das durchzusetzen bedarf es wiederum der oben genannten Listigkeit. Denn gegen den Willen der St. Paulianer, das weiß inzwischen jeder SPDler in Hamburg, ist am Hafenrand nichts zu machen.

So strickte man in der Abteilung List und Tücke eine ganz und gar unwiderstehliche Argumentationslinie. Deren Basis: die Not der Bürger. Wer die nicht lindern will, ist, logisch, ein Schwein. Vornehmer ausgedrückt: „Wir haben Wohnungsnot, und ich bin sicher, daß sich die Menschen auf St. Pauli von niemanden übertreffen lassen, solidarischen Wohnungsbau für andere sozial Schwache zulassen, und zwar gewalttfrei.“ Schlauer Voscherau: Sozialbau als moralische Waffe, bereits erfolgreich praktiziert, als es darum ging, den Widerstand um die „Roten Flora“, einem autonomen Stadtteilzentrum im Schanzenviertel, zu brechen.

Die Fortsetzung des Programms „Befriedung durch Sozialbau“ soll nun am Hafen stattfinden. „Es ist ja eigentlich ein sozialer, schreiender Skandal, daß so eine große, wunderbare Baufläche gewissermaßen in Geiselhaft genommen ist“, erkennt Voscherau, „und offensichtlich das Normalste von der Welt als Provokation empfunden wird: nämlich, daß man auf einem bebaubaren Grundstück ohne jede ökologische Rücksichtnahmepflicht in Zeiten von Wohnungsnot Wohnungen baut. Was wollen die Leute eigentlich?“

Selbst bauen.

„Das ist ja lächerlich!“ ruft Voscherau aus, und tatsächlich: Architekt Hinrich Baller lacht. „Das Projekt, das die Baugruppe plant, ist absolut realistisch und durchführbar. Vorausgesetzt, man will diese Lösung“, sagt Baller. Mit der „Verpflichtung“ des Berliners haben die Hafensträßler einen geschickten Schachzug getan. Denn Baller hat in Berlin anläßlich der Internationalen Bauausstellung IBA 1984–1987 Sozialbauten ans Fränkelufer gestellt, die mit dem, was man sich landläufig unter sozialem Wohnungsbau vorstellt, nichts mehr gemein haben: offene Frontgestaltung, viel Glas, Ecken und Winkel statt genormter Hasenkisten. Baller, kurz, ist ein kreativer Profi mit reichlich Erfahrung im sozialen Wohnungsbau.

Die Pläne für die Hafenstraße hat er umsonst erstellt, „aus Spaß“ und weil er das Konzept der Eigeninitiative und Bürgerbeteiligung unterstützen will. Als Nebenprodukt kann der Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste auch die Pfeffersäcke im Hamburger Senat ärgern. Die nämlich ließen ihn noch gar nicht ran in der Hansestadt. Baller: „In Hamburg liebt man keine Experimente.“

Und schon gar nicht, wenn sie am sensiblen Hafenrand stattfinden sollen. Doch alle Versuche der Politiker, den plötzlichen Bauwillen der Hafenstraßenbewohner zu brechen, scheiterten.

Dabei war es die Stadt selbst, die die Bewohner auf die Idee brachte. Der Senat wollte über die städtische Hafenrand GmbH, der Verwalterin der Häuser und Grundstücke, Sozialwohnungen bauen lassen, wie schon am Pinasberg geschehen, nur wenige hundert Meter oberhalb der Hafenstraße. Diesmal wollte man mittenhinein: In der Baulücke, die in kämpferischen Tagen der Bauwagenplatz war, sollte das neue Sozialglück entstehen. Schmucklos, zwar, weil über sozialen Wohnungsbau finanziert, aber dennoch teuer: Hafenrand-GmbH-Chef Dirksen, der bereits im Dezember mit dem Bau beginnen will (siehe Kasten links), schlägt den dritten Förderungsweg ein, was bedeutet: Mietpreise von 12 bis 14 Mark pro Quadratmeter. Mieten also, die sich viele St. Paulianer nicht leisten können. Was aber noch entscheidender ist: Die Belegung der Wohnungen nimmt bei diesem Modell nur zu 15 Prozent das Sozialamt vor, 85 Prozent der Wohnungen werden vom Bauherrn an Mieter vergeben, die den Vergabekriterien für sozialen Wohnungsbau entsprechen. Wie solche Mieter idealtypisch aussehen, hat sich Ingo Kleist, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, schon einmal vorgestellt: „Ein solider Facharbeiter mit handfester Statur.“ Einer, der da unten mal so richtig durchgreifen kann, fürchten die Hafenstraßenbewohner.

Sie hingegen wollen Nachbarn, die nach St. Pauli gehören. Und eine Stadtteilhalle mit Kantine (Volxküche), die längst überfällig ist. Ein Badehaus soll her, für die vielen Leute ohne Bad und die Obdachlosen, vielleicht sogar ein kleines Gästehaus. Werkstätten, Büros und – natürlich – Wohnungen.

„Wir sind bereit, unsere soziale Verantwortung zu tragen“, sagt Anne Reiche von der Baugruppe Hafenstraße. „Uns geht es hier nicht in erster Linie um Schöner Wohnen. Wir sind bereit, in unserem Modell sozial Ausgegrenzte wieder ins Leben zu integrieren. St. Pauli braucht Sozialräume wie die Stadtteilhalle, um die vielen Probleme des Viertels überhaupt angehen zu können.“

Daß eine solche Planung den Senat entsetzen wird, war vorauszusehen. So setzte die Baugruppe Hafenstraße von Anfang an auf Autonomie. Am 26. April machten sie ernst. Cornie Littmann, Hamburger Promi-Schwuler, spendierte sein Schmidts Tivoli Theater für eine Premiere jenseits des Touristenkabaretts: Die Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße wurde gegründet. Ihr satzungsgemäßes Ziel: die Durchsetzung und Errichtung eines Neubaus auf dem ehemaligen Bauwagenplatz unter folgenden Prämissen: „Selbstbestimmung der BewohnerInnen, Erhalt und Entwicklung der gewachsenen Strukturen, Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse in St. Pauli“. Ziele, die einer offiziellen Stadtplanung gut zu Gesicht stehen würden.

Bestimmt hat Henning Voscherau wieder listig geschaut und „lächerlich“ gesagt, als er von der Gründung erfuhr. Doch die entschlossenen Baufrauen und -herren treiben ihm das Lächeln so langsam aus den Mundwinkeln, und zwar mit ungeahnter bürokratischer Energie: Am 28. Juni bereits hielt die Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße e.G. die erste Mitgliederversammlung ab, ein offizielles Baubüro wurde eröffnet. Dort, in der Bernhard-Nocht- Straße, werden potentielle GenossInnen täglich von 17 bis 19 Uhr bedient.

Anders als ihre potentiellen Gegner an den Schreibtischen, die sich fürchten vor den „Chaoten“, haben die Hafensträßler wenig Berührungsängste mit der Bürokratie. Da werden Anträge gestellt, Spendenbescheinigungen ausgegeben, Anschreiben verfaßt, Unterstützer geworben. Sogar die Bürozeiten werden eingehalten, wie im ganz normalen Leben.

Selbst vor den verpönten touristischen Feierlichkeiten anläßlich des Hafengeburtstags von 7. bis 9. Mai schreckten die Baulustigen nicht mehr zurück: Ein eigenes Fest wurde ausgerichtet, direkt auf dem Bauwagenplatz. Arbeitstitel der Hafenrandfete: „Kein Leben in der Kiste“. Viele Freunde und Unterstützer waren gekommen, doch auch Touristen trauten sich zu den bunten Häusern.

Längst sind die Ängste der Neugier gewichen, längst darf die Baugruppe Hafenstraße auf große Unterstützung zählen: Der Verein Viva St. Pauli, die benachbarte Schule, die Kirchengemeinde, die Anwohner, das Altenheim, Hochschulen, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, selbst die hoch angesehene patriotische Gesellschaft fördern das Hafenstraßenprojekt. Und teilen das Mißtrauen gegen den Senat. Pfarrer Arndt warnt vor Yuppisierung: „Am Anfang sind es noch Sozialwohnungen...“

Auch die große, bundesweite Unterstützung hat den Bauhäuslern aus der Hafenstraße Mut gemacht. Als der Senat im Hauruckverfahren den Bebauungsplan durch die Bürgerschaft pauken wollte, startete die taz einen Solidaritätsaufruf. Ergebnis: Telefon- und Faxleitung in der Hafenstraße brachen zusammen. Simone Borgstedt: „Wir hatten in einer Stunde 1.000 Unterschriften, das Rathausfax war lahmgelegt, wir wurden mit Anrufen bombardiert. Es war wirklich wunderbar, wir wissen gar nicht, wie wir uns bedanken können.“

Nun hoffen die Baufreudigen auf einen weiteren Run in der Hafenstraße, diesmal auf die Genossenschaftsanteile. Ein Anteil kostet nur hundert Mark, damit sich auch die ärmeren einkaufen können. Das Problem bei der Sache: „Jetzt legen auch nur die, die eigentlich mehr bezahlen könnten, nur 100 Mark an. Schließlich hat jeder nur eine Stimme, egal wieviel Anteile er hält“, sagt Anne Reiche. 400 Genossen haben sich bereits eingekauft, knapp 100.000 Mark sind zusammengekommen. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, befindet die Baugruppe. 20 Millionen Mark kostet der geplante Bau unter der Trägerschaft der Genossen. Einen Teil bekommt man über den sozialen Wohnungsbau wieder, einen anderen über gewerbliche Vermietung. „Die Mischnutzung rechnet sich schließlich. Es reicht, wenn die Genossenschaft 15 Prozent Eigenkapital hat, sprich 3 Millionen Mark“, urteilt Baller.

So wirbt die Genossenschaft heftig um neue Genossen. Wobei gilt: Nur wer sich auch in der Bauplanung engagiert, hat Anrecht auf Wohnraum. Falls das Projekt scheitert, gibt's das Geld zurück. „Wir möchten möglichst wenig Kredite aufnehmen, damit wir keine Zinsen an die Banken zahlen müssen“, erklärt Anne Reiche. Doch der Baugruppe ist klar, daß eine Handvoll starke Finanziers einsteigen müssen, um den Senatsplänen eine realistische Finanzierung des eigenen Modells entgegenzusetzen.

Wie aber rankommen ans große Geld? Per Aktion Umverteilung natürlich. „In Hamburg leben die meisten Millionäre Deutschlands“, sagt Antje, „warum soll da nicht der eine oder andere dabeisein, der Geld zuschießt? Oder Firmen, die die Stadtteilhalle sponsern? Ist doch ein enormer Imagegewinn!“

So können sich die Hamburger Millionäre auf einen unruhigen Herbst einstellen. „Wir werden sie anschreiben, heimsuchen und gnadenlos am sozialen Gewissen rütteln“, lacht Anne Reiche. Besonders die Leute mit Geld haben eine soziale Verantwortung. Wir nehmen sie ihnen ab, aber auch ihr Geld. Falls wir einen vergessen: Wer sich vernachlässigt vorkommt, bitte melden. Alle gebeutelten Linken mit Geld: Vorsicht: Wir kommen!“

Neben dem guten Gewissen und der Sicherheit, selbst nicht mit Tante Hermine, Onkel Otto, unzähligen Kindern und dem jungen Punk integratives Sozialleben aushalten zu müssen, gibt's noch was ganz Wichtiges für reiche Menschen: eine echte deutsche Spendenbescheinigung, fürs Finanzamt.

Wer Genosse werden will, wende sich an: Baugruppe Hafenstraße, Hafenstraße 116, 20359 Hamburg 36, Tel.: 040-3172544, Faxen an: 040-3172546; Spenden an: Viva St. Pauli, Stichwort: Genossenschaft, Hamburger Bank, BLZ 20190003, Konto-Nummer 12141100

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen