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Rokoko im Lokaluniversum

■ Daniel Karasek verjüngt Marivaux' „Das Spiel von Liebe und Zufall“ im TiK

Das fröhliche Fach beherrscht er doch. Daniel Karasek, nach zwei verkorksten Auftritten mit ernsten Stücken im Großen Haus mit leichter Muse zurück auf der Werkstattbühne in der Kunsthalle, eröffnete am Samstag abend mit Marivauxs Verwechslungskomödie Das Spiel von Liebe und Zufall die Thalia-Saison. Sittengeschichtliche Brüche locker in Kauf nehmend versetzt Karasek die Geschichte zweier füreinander Bestimmter, die mit ihren Dienern die Rollen tauschen, um den zukünftigen Ehepartner ersteinmal aus der Distanz zu betrachten, ins aufgeklärte Hamburger Cocktailmilieu.

Hier sind die Väter tolerante Brummbären, die Brüder libertäre Müßiggänger und Herrin und Zofe doch weit eher Modefreundinnen aus dem Traxx. Der Schick von schimmeligen Wänden, bunter H&M-Identität und ein wenig schlüpfriger Beinfreiheit (Bühne und Kostüme: Siegfried E. Mayer) ist stylish im hanseatischen Verständnis konservativer, amüsierwilliger Einweggeister. Daß diese Atmosphäre die zwingende Notwendigkeit von Heirat und die geschichtsentscheidenden Hürden unterschiedlicher Standeszugehörigkeit eher absurd erscheinen läßt, ignoriert Karasek. Er nimmt das gesellschaftliche Vademecum des Rokoko als Spielregel und tastet dies weiter nicht an.

Der Kosmos aus losen Umgangsformen, dünnem moralischen Eis und ehrlicher Äußerlichkeit transformiert sich ansonsten problemlos und schick in das Hamburger Lokaluniversum von neureichen Mini-Madonna-Schlampen, intelligenten Faulpelzen und japanophilen Vätern. Nicola Thomas als Silvia in ihrer ersten Rolle im Ensemble und Dietmar König als Dorante in seiner zweiten Glanzrolle als bürgerlicher Liebhaber voller Leidenschaft treiben jeden marivauxen Schwulst aus dem Stück, aber die eigentlichen Kirschen besorgen zwei andere: Oana Solomonescu als schnodderige Zofe Lisette und Oscar Ortega Sanchez, der dekadent-liebevolle Bruder und Intrigen-Doppelagent.

Selbstredend ist diese Inszenierung weder bissig noch scharf, ihr liegt nichts daran, ihre Hauptfiguren von einer anderen Perspektive als der internen zu sehen, und irgendeine Form von Kritik an Standesdünkeln einer Küßchen-Küßchen-Gesellschaft liegt dem Unterhaltungsregisseur Karasek sowieso völlig fern. So gesehen ist Das Spiel von Liebe und Zufall natürlich eine äußerst konservative Inszenierung, die den modischen Werten nur den Rang von Ambiente beimißt und sich nicht um die ideologische Motorik von Stil und Umgangsformen kümmern will. Der Habitus der flotten Unterhaltung sorgt für Kurzweile und die Schauspieler vertreiben kleine Längen. Das ist der Wert, der sich gesetzt wurde, und der wurde erreicht. Hübsch.

Till Briegleb

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