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Auf die Mischung kommt es an

■ An den neuen Friedrichstadt-Passagen, der größten Baustelle der Stadt, dröhnten am Wochenende ununterbrochen die Betonmischer, um 10.000 Kubikmeter Beton ins Fundament zu gießen

An der Betonpumpe 3 herrscht am Samstag kurz nach 8 Uhr morgens Aufregung: Eben noch funktionierte der „fliegende Wechsel“ von einem zum anderen Betonmischfahrzeug. Der erste Laster hatte den grauen Baustoff in die hydraulische Pumpe gekippt, Kolben saugten den Beton an und drückten ihn durch das lange Rohr hinunter in die Baugrube. Jetzt staut sich der Arbeitsvorgang, weil der nachfolgende Fahrer nicht rechtzeitig den Verdünner in die Betonmasse gegossen hatte. Das blaufarbene Gemisch läßt den Beton leichter fließen. An der Pumpe wird es nun eng. Der nächste disponierte LKW trifft mit über fünf Tonnen Beton im Bauch bereits ein. Riskante Wendemanöver stehen auf der engen Fläche in der Stadtmitte bevor. Von unten, aus der 15 Meter tiefen Baugrube des „Quartiers 207“ der Friedrichstadt-Passagen, dringen Rufe der Arbeiter nach oben.

Der von Freitag abend bis Sonntag nacht dauernde dritte und umfangreichste Fundamentguß auf dem Areal der zukünftigen Geschäftsbauten Galeries Lafayette und Arc Union ist ein Rennen mit der Zeit. Rund 10.000 Kubikmeter Beton werden in die vormontierte Stahlbewehrung „eingebracht“. „Die bis zu zwei Meter dicke Bodenplatte muß monolithisch gegossen werden“, erklärt Oberbauleiter Ulrich Rudolph. „Der Gießvorgang darf nicht unterbrochen werden, weil sich verfestigter Beton mit noch flüssigem nicht verbindet.“ Das Fundament wäre dann unbrauchbar: „Eine Katastrophe“, folgert Rudolph.

Damit der Gießprozeß „an Berlins größter Baustelle reibungslos über die Bühne geht“, berichtet Job von Nell, Entwicklungsmanager der Friedrichstadt-Passagen, wurden parallel zum Aushub der 200.000 Kubikmeter Erde, der Legung von 40.000 Tonnen Stahl und zum Bau der Schlitzwand, die bis zu 50 Meter tief in den Boden führt, „baulogistische Vorbereitungen“ getroffen. Im Mai 1993 wurden mit sechs Berliner Betonwerken Verträge geschlossen und Termine für die Lieferung des Spezialbetons vereinbart. Vier Unternehmen sind seither mit 70 bis 90 LKW mit dem Betontransport beauftragt. Rudolph ergänzt: Es folgten der Entwurf eines Zeitplans mit Beladung, Fahrzeit und Entladung. Denn länger als eine Stunde sollte das Mischfahrzeug nicht unterwegs sein. „Innerhalb von zehn bis dreißig Stunden muß der gesamte Arbeitsprozeß abgeschlossen sein.“

Im Zimmer der Bauleitung gleichen die Zeitpläne abstrakten Graphiken. Striche und Farben auf großen Plänen an der Wand kennzeichnen die baulogistischen Zeitpläne und Rubriken. Standorte und Wege, Firmen, Maschinen, Preise und Ladungen sind festgehalten. Beton-Ersatzwerke stehen auf der Warteschleife, ebenso eine zusätzliche Pumpe, die bei Ausfällen innerhalb einer Stunde zum Einsatz kommen könnte.

Um Reibungsverluste bei den rund 800 LKW-Fahrten zu vermeiden, holten sich die beteiligten Firmen bei der Polizei Ausnahmegenehmigungen zur teilweisen Sperrung der Friedrich-, Tauben- und Charlottenstraße. „Damit der Verkehr an Arbeitstagen in der Friedrichstadt nicht zusammenbricht“, betont ein Polizeisprecher, „erteilten wir die Erlaubnis zur Sperrung für das Wochenende und am Sonntag.“ Natürlich staute sich am Freitag der umgeleitete Verkehr in den Nebenstraßen, anfahrende Laster blockierten Zufahrten, die Einrichtung der Kräne verursachte lange Wartezeiten und hatte mürrische PKW-Fahrer zur Folge. „Auf dem Plan kann man viel machen“, erzählt ein Sicherheitsbeamter, „in der Wirklichkeit scheitert die Baulogistik oft an Unwägbarkeiten, wenn etwa eine Pumpe umgebaut werden müßte, bricht alles zusammen.“

Am Samstag morgen fließt der Verkehr an der Baustelle vorbei. Die gelben Betonmischer donnern aus der Leipziger, der Französischen und der Friedrichstraße an die Grube heran, entladen ihre Lasten und brausen davon. Sie gleichen dicken Bienen, die den Honig abgeben und wieder davonbrummen. Um 9 Uhr ist der „Bau“ eingespielt, die mittlere „Einbaumenge“ von 350 Kubikmeter Beton pro Stunde ist erreicht. Rudolph steht auf der „Brücke“ über der Baustelle und fordert mit dem Walkie-talkie 15 zusätzliche Lastwagen an.

Die fünf Pumpen stoßen nun ununterbrochen flüssigen Beton auf das Stahlgeflecht. Der Lärm steigert sich, die Erde bebt, wenn mehrere Laster gleichzeitig anfahren. In der Baugrube wird die betonierte Fläche größer. Eisenbieger schweißen die letzten Armierungen. Rund sechzig Männer in Gummistiefeln und mit Helm drücken mit Eisenhaken die Pumpenrüssel nieder und verteilen mit einem „Rüttler“ den Beton. „Der Rüttler preßt zugleich die Luft aus dem Beton, damit dieser besser bindet“, erklärt Matthias Nowakowski, der „Pumpenfahrer“.

Nowakowski bedient von einem Steg über der Grube die Pumpe per Fernsteuerung. Mit dem Steuerkasten „werden rund vierzig Funktionen gefahren. Die Bewegung des Rohrs, die Fördermenge und die Motordrehzahl.“ Eine Pumpe fördere bis zu 150 Kubikmeter Beton in der Stunde. Die Arbeiter in der Tiefe arbeiten Akkord, brüllen nach mehr Beton, Nowakowski dreht den Hahn weiter auf. Die Schichtarbeit am Wochenende sei zwar hart, werde aber gut bezahlt. Außerdem mache er das schon lange, nichts Außergewöhnliches also.

Polier Steinhagen schwärmt von der Qualität des Betons: Zement, Sand und Kies seien eine Spezialmischung. Hinzu kommt Flugasche. Die kleinen Teilchen garantierten eine bessere Festigkeit und eine geringere Wärmeentwicklung des Betons. „Auf die Mischung kommt es an. Der Baustoff lebt, er entwickelt hohe Temperaturen beim Binden.“ Um ihn möglichst ohne Risse zu festigen, sei ein hohes Maß an Feuchtigkeit zur Kühlung notwendig. Die Firma teste dies in Laboratorien und stelle Experimente an.

Es wird Nacht über der Baustelle. Flutlicht erhellt den Ort. Die Männer vom Bau sind müde geworden und warten auf den Schichtwechsel. Bauleiter Rudolph ist etwas nervös, weil der Baulärm und die mangelnde Schalldämmung zu Protesten aus der Nachbarschaft geführt haben, die sich um den Schlaf gebracht sieht. „Dabei wissen die gar nicht, was noch auf sie zukommt, wenn erst der Hochbau beginnt.“ Ulrich Rudolph kann das egal sein. Wenn Anfang Oktober die insgesamt 30.000 Kubikmeter Beton eingebracht sind, geht es „nach oben“. Der Hochbau ist an eine andere Firma vergeben worden. Rolf Lautenschläger

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