: Vertreibungen in Bosnien
■ Über 10.000 Muslime auf der Flucht / Sarajevo bald ganz ohne Treibstoff
Sarajevo/Istanbul (AFP/AP) – Die Kämpfe in Bosnien-Herzegowina haben sich am Wochenende auf Süd- und Zentralbosnien konzentriert, wo sich Truppen der bosnischen Armee und der kroatischen HVO schwere Gefechte lieferten. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) bestätigte am Samstag muslimische Berichte über neue ethnische Vertreibungen in der Umgebung der Stadt Jablanica, 60 Kilometer südwestlich von Sarajevo. In der Stadt waren seit dem 24. August Tausende erschöpfter Flüchtlinge eingetroffen.
Ein Sprecher sagte unter Berufung auf den Augenzeugenbericht eines UNHCR-Mitarbeiters, mehr als 10.000 muslimische Zivilisten, darunter auch freigelassene Gefangene, seien überwiegend von Kroaten aus dem Süden und dem Zentrum Bosniens vertrieben worden. Das Aussehen der Flüchtlinge erinnere an Bilder aus den Konzentrationslagern im Zweiten Weltkrieg. Viele Menschen hätten gebrochene Finger und am Oberkörper Blutergüsse von Schlägen. Der Sprecher wollte nicht ausdrücklich bestätigen, daß die HVO-Einheiten auf die Flüchtlinge geschossen hätten. Es gebe jedoch entsprechende Hinweise.
UNHCR-Sprecher Ray Wilkinson berichtete, die Straßen in der Umgebung von Jablanica sei mit Habseligkeiten der Flüchtlinge übersät. Dies deute darauf hin, daß die Menschen in Angst und Schrecken geflohen seien. „Viele sind ohne jeden persönlichen Besitz angekommen ... viele Leute haben schon angefangen, in den Straßen um Brot zu betteln.“
Allein aus der von Kroaten eroberten Stadt Prozor sollen 2.000 und aus der Umgebung östlich Mostars 3.000 Menschen vertrieben worden sein, berichtete das UNHCR. Diese Angaben hätten nicht überprüft werden können, weil Mitarbeiter der Organisation nur wenige Stunden in Jablanica hätten verbringen können. – Im Gebiet um die zentralbosnische Stadt Gornji Vakuf kam es am Wochenende nach UN-Angaben erneut zu schweren Gefechten. Die Stadt sei von etwa 300 Granaten getroffen worden. Auch Gebäude britischer UN-Truppen wurden beschädigt. Gornji Vakuf ist seit Wochen zwischen der bosnischen Armee und Einheiten der bosnischen Kroaten umkämpft. Weitere Gefechte wurden aus Konjic, 20 Kilometer weiter östlich, sowie aus Mostar gemeldet.
In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo gehen nach Berichten des UNHCR inzwischen die Treibstoffreserven zur Neige, nachdem ein Konvoi wegen der Kämpfe aufgehalten wurde. In Sarajevo wird Dieseltreibstoff zum Betrieb von Generatoren im wichtigsten Krankenhaus und für die Öfen der Stadtbäckerei gebraucht. Die Vorräte in den UNHCR-Lagerhäusern seien jedoch verbraucht, sagte Wilkinson. UNO-Sprecher Bill Aikman berichtete allerdings, daß am Samstag über 20 Konvois in Mittel- und Ostbosnien ihre Ziele erreicht hätten. Den Kolonnen sei es angesichts zwischenzeitlich abgeflauter Kämpfe gelungen, Frontlinien unbehelligt zu überqueren. – Nach Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks wollen die Kroaten nach den gescheiterten Genfer Friedensverhandlungen mit der Vertreibung Tausender Muslime aus der Herzegowina vollendete Tatsachen vor einer eventuellen neuen Verhandlungsrunde schaffen. Diese soll nach den Worten des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović in zwei Wochen stattfinden. Er habe dies mit EG-Vermittler David Owen abgesprochen, sagte Izetbegović am Samstag, ohne einen konkreten Termin zu nennen.
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