: Der Protokollchef soll die Garantie übernehmen
■ Je realistischer die Hoffnungen auf Unterzeichnung werden, desto größer sind die Erwartungen an Washington, den Prozeß politisch und wirtschaftlich zu unterstützen
Es mag überschwenglicher Optimismus sein, der im US-Außenministerium die Terminplanung dirigiert – oder Taktik. Für den 13. September, so ließ man in Jerusalem und Tunis ausrichten, könne man in Washington die Bühne herrichten für die Unterzeichnung des Friedensplanes. Das klingt in den Ohren vieler noch zu unglaublich, um wahr zu sein. Doch nachdem Jassir Arafat am Samstag sowohl die Unterstützung der Al-Fatah, der größten Fraktion innerhalb der PLO, als auch des jordanischen Königs Hussein erhalten hat und in Israel Zehntausende für die Politik der Regierung Rabin demonstriert haben, ist man dem Abschluß eines ersten Abkommens ein ganzes Stück näher.
Acht Tage bleiben demnach beiden Seiten, vor allem aber PLO-Führer Jassir Arafat, um sich im eigenen Lager der nötigen Unterstützung zu versichern und jene Voraussetzung zu erfüllen, die bis vor kurzem noch so unvorstellbar erschien: die gegenseitige Anerkennung. Acht Tage – das ist nicht viel Zeit. Doch dieser Umstand ist sowohl das Kalkül der beiden Verhandlungspartner als auch Washingtons geschuldet: so schnell wie möglich Fakten schaffen, bevor der Widerstand von Hardlinern in Israel und innerhalb der PLO sowie islamischen Fundamentalisten in den besetzten Gebieten zu groß wird. Sich dieses Risikos offenbar voll bewußt, bezeichnete Außenministeriumssprecher Michael McCurry den Termin als „vorläufig“.
In Washington selbst mußte man sich nach den sensationellen Nachrichten über die Geheimgespräche zwischen Vertretern der PLO und der israelischen Regierung in Oslo erst einmal an die Tatsache gewöhnen, dieses Mal nur eine Statistenrolle gespielt zu haben. Das gilt für die US-Regierung ebenso wie für die Verhandlungsdelegationen bei den Nahost-Friedensverhandlungen in der US- Hauptstadt, die über Details der Osloer Gespräche von Journalisten erfuhren. „Ehrlich gesagt, die Realität hat die Verhandlungen in Washington links liegengelassen“, erklärte Ende letzter Woche Hanan Aschrawi, Sprecherin der palästinensischen Verhandlungsdelegation, in der New York Times.
Innerhalb der Clinton-Administration reagierte man anfangs sehr verhalten auf die bahnbrechenden Veränderungen. Daß in Norwegen geheime Gespräche stattfanden, war in Washington bekannt, doch ganz offensichtlich hatte man deren Bedeutung zunächst unterschätzt. Anfang letzter Woche eines Besseren belehrt, zeigte US-Präsident Clinton wohlwollend, aber äußerst skeptisch: „Wir haben schon vorher einige Berg- und Talfahrten im Nahen Osten erlebt“, erklärte der US-Präsident. „Aber ich glaube, es gibt Anlaß zur Hoffnung.“
Je realistischer diese Hoffnungen werden, desto größer werden die Erwartungen an Washington. Der Clinton-Administration oblag es in den letzten Tagen, Syrien und Jordanien, deren Regierungen sich jeweils für die Sachwalter der Palästinenser halten, zur Unterstützung des bilateralen Abkommens zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Israel zu bewegen. Daß die USA bei der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der PLO und Israel die Rolle des Protokollchefs übernehmen werden, soll quasi als Garantiesiegel gelten: Garantie dafür, daß die USA die Vereinbarungen über eine palästinensische Autonomie im Gaza-Streifen und in Jericho als ersten Schritt hin zu weiteren Verhandlungen, nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch unterstützen; Garantie auch dafür, daß im Falle einer Anerkennung der PLO durch Israel die USA nachziehen werden.
Was letzteres betrifft, so hatte sich Israels Außenminister Schimon Peres bei einem Blitzbesuch an Außenminister Christophers Urlaubsort in Kalifornien eine Bestätigung dieser Prozedur verschafft. Um die PLO anzuerkennen, muß die Clinton-Administration im Kongreß die Änderung eines Gesetzes aus dem Jahre 1990 durchsetzen, das den Dialog mit der Palästinenser-Organisation verbietet. Der Kongreß tritt morgen erstmals nach der Sommerpause wieder zusammen. Was die benötigte finanzielle Unterstützung angeht, so wollen die Vereinigten Staaten vor allem bei europäischen Ländern und bei den Golfstaaten anklopfen.
Spürbaren Einfluß auf weitere Entscheidungen im Kongreß und in der Administration dürften auch jüdische Lobbygruppen in den USA ausüben – sobald sie sich vom ersten Schock erholt haben. Die Reaktionen jüdischer Organisationen reichten von später Genugtuung und verhaltenem Optimismus bis zu apokalyptischer Vorahnung. David Harris, Vizepräsident des „American Jewish Committee“, hält das bevorstehende Abkommen potentiell für den „ersten Durchbruch an der palästinensischen Front in diesem Jahrhundert“. Steven Grossmann, Päsident des „American Israel Public Affairs Committee“, äußerte in der New York Times ebenfalls eine Mischung aus Ungläubigkeit und Hoffnung: „Sollten die Träume Wirklichkeit werden, wäre das nicht nur ein dramatischer Wandel im Nahen Osten. Es wäre auch eine enorme Leistung, weil damit das Leben aller Bürger des Staates Israel normalisiert würde, die seit 1948 von Frieden träumen, ihn aber nicht einen Tag lang hatten.“
Andere Kommentatoren sparen nicht mit düsteren Prognosen. Norman Podhoretz, Herausgeber des konservativen jüdischen Magazins Commentary, sieht in der bevorstehenden palästinensischen Selbstverwaltung nichts weiter als die sogenannte „Phase eins“ der PLO-Strategie zur Vernichtung Israels (Phase zwei wäre die Gründung eines palästinenischen Staates, von dem aus dann der Angriff gegen Israel geführt würde). Ähnliche Argumente werden in den nächsten Tagen gerade von jenen amerikanischen Juden zu hören sein, die den politischen Kurs der Likud-Partei unterstützen. Einer der radikalsten Vertreter der israelischen Hardliner-Fraktion, Ex- Verteidigungsminister Ariel Scharon, hatte Gelegenheit, gleich in den USA gegen die Friedenspolitik der Rabin-Regierung zu mobiliseren. Er wurde von den Nachrichten über ein bevorstehendes Abkommen mit der PLO in Miami überrascht, wo er unter der in Florida zahlenmäßig starken jüdischen Gemeinde um finanzielle Unterstützung für weitere Siedlungen in den besetzten Gebieten warb.
Steven Grossman sowie andere Vertreter der großen jüdischen Organisationen in den USA zeigten sich jedoch überzeugt, daß die neue Politik der Rabin-Regierung von den amerikanischen Juden unterstützt wird, solange klar ist, daß Rabin sich auf eine Mehrheit in der israelischen Bevölkerung stützen kann. Andrea Böhm/Amos Wollin
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