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"Noch habe ich Hoffnung"

■ Bremer Heimspiel für Nicaraguas Dichter-Priester und früheren Minister Ernesto Cardenal

„Noch habe ich Hoffnung“

Bremer Heimspiel für Nicaraguas Dichter-Priester und früheren Minister Ernesto Cardenal

„Ja, Hoffnung habe ich noch — Hoffnung, als Revolutionär eine bessere Gesellschaft und Hoffnung, als Christ das Reich Gottes zu schaffen. Aber im Moment können wir in Nicaragua diese Hoffnung nur noch ausdrücken und nicht mehr umsetzen.“ Zwischen weißem Bart und schwarzer Baskenmütze eingeklemmt sieht Ernesto Cardenal durch eine dicke Brille in die Halle des Bremer Hauses der Kirche. Ein bißchen müde wirkt er schon, der 68jährige Priester und Schriftsteller, den die Unterstützung der sandinistischen Revolution in seiner nicaraguanischen Heimat beim Papst in Ungnade fallen ließ. Und auch von der Euphorie, mit der Cardenal in den ersten Jahren der Revolution als Kulturminister sein Land der Bauern zum Land der Dichter machen wollte, ist nichts mehr zu spüren: „Die Stimmung des Volkes ist heute sehr diffus: einige haben noch revolutionäre Ideen, einige haben reaktionäre Ideen und viele haben überhaupt keine Ideen mehr“, sagt er.

14 Jahre nach der Revolution und drei Jahre nach der überraschenden Wahlniederlage der sandinistischen Front FSLN, zu der sich Cardenal nach wie vor zählt, bestimmt immer mehr die wirtschaftliche Krise das Leben: „Jetzt werden wir von der UN schon als zweitärmstes Land Lateinamerikas eingestuft“, sagt Cardenal, „von den Errungenschaften der Revolution im Bildungs- und Gesundheitsbereich geht immer mehr verloren.“

Aber mit einem einfachen „Ja“ will Cardenal die Frage, die ihm gestern morgen vor fast 200 Bremer Zuhörern gestellt wurde, doch nicht beantworten: „Christlicher Glaube und Sandinistische Revolution: ein gescheitertes Projekt?“ Tatsächlich sei die Basisbewegung in Gesellschaft und Kirche inzwischen „stark abgeschwächt“, aber wen könne das wundern bei 60 Prozent Arbeitslosigkeit. Ja, tatsächlich sei auch die Gefahr von Frustration und Hoffnungslosigkeit sehr stark, aber — und da wird das zugewachsene Gesicht doch noch einmal lebendig — „die FSLN ist nach wie vor die stärkste Partei Nicaraguas; die Wahlen haben wir nur knapp verloren, und inzwischen bedauern viele, die Opposition gewählt zu haben.“

Er selber will sich nicht mehr aktiv in die Politik stürzen. „Ich schreibe, lese und kümmere micht um meine Gemeinschaft auf Solentiname“, sagt Cardenal. Auf der kleinen, tropischen Insel im Nicaragua-See habe sich inzwischen ein regelrechter „Öko- Tourismus“ entwickelt. Und in Granada, am Ufer des Sees, ist das „Haus der drei Welten“ entstanden — ein internationales Kulturzentrum. Im Ausland scheint die Revolution der Sandinisten nach wie vor populärer zu sein, als in der Heimat. Den warmen Applaus seines Bremer Publikums nimmt Cardenal offensichtlich gerne entgegen. Ase

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