piwik no script img

„Gegen Kriegsgewinnler und Mafiosi“

Seit sechs Tagen rebellieren serbische Soldaten im bosnischen Banja Luka / Unklar jedoch ist, ob sich ihr Protest gegen Serbenführer Karadžić oder Serbiens Präsident Milošević richtet  ■ Von Karl Gersuny

Wien (taz) – Bereits sechs Tage dauert die Meuterei von serbischen Soldaten in der bosnischen Großstadt Banja Luka. Und obwohl die Rebellen offiziell vorgeben, „nicht die Macht übernehmen zu wollen“, benehmen sie sich bereits als neue Herren: Nicht nur Lehrer, Polizisten und Journalisten, sondern auch der Bürgermeister und zwei orthodoxe Popen wurden verhaftet. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre und ein allgemeiner „Arbeitseinsatz“. Das selbsternannte „Rettungskomitee September 93“ gibt vor, „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Feinde des Volkes vorgehen zu müssen“, um Kriegsgewinnlern und Mafiosi habhaft werden zu können, die angeblich die „allgemeine Kampfbereitschaft“ zu untergraben suchten. Gefordert werden so auch vorgezogene Neuwahlen für die serbisch kontrollierten Gebiete Bosniens, da die „Abgeordneten ihrer Funktion nicht würdig seien“.

Wer steckt aber nun hinter dieser ersten serbischen Meuterei seit Ausbruch des bosnischen Krieges vor eineinhalb Jahren? Verbirgt sich hinter der Rebellion eine Abrechnung radikaler serbischer Freischärler mit dem politischen Kurs des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić?

Überall in Serbien, nicht nur in den „befreiten“ Regionen Kroatiens und Bosniens, wächst der Unmut über die Belgrader Führung. Der Lebensstandard sinkt ununterbrochen, bei einer täglichen Inflationsrate von siebzig Prozent können sich viele bei einem Monatseinkommen von umgerechnet fünf Mark nicht einmal mehr Grundnahrungmittel leisten. In zahlreichen Städten brach selbst der Schwarzmarkt zusammen, Milch und Brot sind nur noch für den zu ergattern, der über besondere Beziehungen verfügt und über das nötige Westgeld. Die Zahl derer, die leer ausgehen, nimmt rapide zu. Darunter befinden sich aber auch die „Kriegshelden“ von einst, die Soldaten aus dem Slowenien- und Kroatienfeldzug, von denen nun niemand mehr etwas wissen will. Selbst Kriegsinvaliden bekommen keine Rente.

Angesichts dieser wirtschaftlichen Situation liegt die eigentliche Macht im Lande nur noch bei kleinen Militärzirkeln und bei Präsident Slobodan Milošević. Diesem wiederum mißfällt bereits seit längerem, mit welcher Machtfülle sich sein Ziehsohn Radovan Karadžić umgibt. Auf dem internationalen Konferenzparkett stiehlt der bosnische Statthalter dem Belgrader „Landesvater“ längst die Show, in manchen Regionen ist Karadžić ein populärerer Politiker als Milošević. Die Landgewinne in Kroatien und Bosnien gelten als sein Verdienst und Karadžić weiß dies geschickt für sich zu nutzen.

So ist auch nicht auszuschließen, daß Milošević-treue Offiziere hinter der Meuterei in Banja Luka stecken und so Karadžić in seine Schranken weisen wollen. Aber auch das Gegenteil davon ist denkbar: Nicht wenige bosnische Serben sind über die mangelnde Unterstützung aus Belgrad verärgert und glauben, dort lebe man in Saus und Braus. Die Meuterer von Banja Luka haben bereits mit einem Marsch auf Belgrad gedroht, „sollten die Verräter an der gerechten serbischen Sache“ nicht umgehend bestraft werden. Zu einer Klärung der Situation könnte nun Radovan Karadžić selbst beitragen. Noch am Mittwoch wollte der Serbenführer in Banja Luka mit den Meuterern verhandeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen