: Mehr Umweltschutz auch auf Kosten der Freiheit
■ Wissenschaftlerkolleg fordert mehr Umweltschutz / Scheitern an der Konkretion
Berlin (taz) – Konservative Juristen, Ökonomen und Sozialwissenschaftler haben gestern die Ausweitung staatlicher Handlungsmöglichkeiten im Umweltschutz gefordert. Nach wie vor gebe es hierzulande nicht etwa zuviel Umweltschutz, wie das Wirtschaftskreise beklagten, sondern zuwenig, erklärte der Berliner Jura-Professor Michael Kloepfer auf einer von der „Gottlieb Daimler und Karl Benz Stiftung“ organisierten Tagung. Die Wissenschaftler des sogenannten Ladenburger Kollegs hatten in den vergangenen fünf Jahren auf Kosten der Auto- Stiftung interdisziplinär zum Thema „Umweltstaat“ geforscht.
Die Ergebnisse ihrer Kopfarbeit gossen Kloepfer und seine Kollegen gestern in neun Thesen. Erstens, Umweltschutz muß als maßgebliches Ziel und als Entscheidungsgrundlage staatlichen Handelns verankert werden. Zweitens, durch die neuartigen Probleme, die die Umweltverseuchung mit sich bringt, sei eine Umorganisation des Staates und eine Einrichtung zusätzlicher Verwaltungsressourcen notwendig. Sonst sei nicht gewährleistet, daß die Verantwortlichen für Umweltschäden auch für deren Kosten herangezogen werden können.
Drittens, Umweltschutz soll als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden. Ein Staatsziel ist zwar nicht unmittelbar einklagbar, wird nach Auffassung der Wissenschaftler dennoch Wirkung bei der Auslegung des praktischen Rechts zeigen. Viertens, enge Kompetenzräume der Nationalstaaten sind nicht mehr adäquat für die Weiträumigkeit der Umweltprobleme. Die EG, die mittlerweile europaweit Umweltfragen regelt, sei aber leider nicht hinreichend demokratisch legitimiert.
Fünftens soll die Langzeitverantwortung im politischen System verankert werden. Das Kolleg schlägt einen „Rat für Langzeitverantwortung“ vor, der die Interessen der nachfolgenden Generationen vertreten soll. Sechstens, zum Schutz der Eigenrechte der Natur sollen die Umweltverbände mehr Klagerechte erhalten. Siebtens sollen neben Ver- und Geboten stärker sogenannte weiche Lenkungsinstrumente genutzt werden, etwa Umweltabgaben oder eine strengere Umwelthaftpflicht. Achtens, Unternehmen sollen wie schon jetzt in den USA, ihre Giftemissionen offenlegen müssen. Und neuntens müsse Umweltschutz endlich Querschnittaufgabe in der Regierung werden, nicht mehr nur die Aufgabe eines Ressorts.
Die Wissenschaftler sahen durchaus Gefahren für bürgerliche Freiheiten durch ein rigoroses Umweltrecht, der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sei aber die Voraussetzung für die Freiheit lebender und künftiger Generationen, also unverzichtbar.
Was theoretisch recht weitgehend klingt, hat bislang noch kaum praktische Auswirkungen gehabt. Kloepfer als Leiter des Ladenburger Kollegs Umweltstaat, räumte ein, es sei nur erreicht worden, das Thema Umweltstaat in der wissenschaftlichen Diskussion zu verankern.
Kein Wunder: Kloepfer und seine Kollegen verließ bei der Präsentation auch gestern die institutionelle Phantasie. Die Atomenergienutzung mit ihren Auswirkungen, die noch viele Generationen betreffen wird, wäre ein gutes Beispiel gewesen, um die Interessenvertretung künftiger Generationen bei staatlichen Entscheidungen mal konkret durchzudenken. Die Anforderungen an parlamentarische Mehrheiten könnten bei solchen Entscheidungen erhöht, oder spezielle Gremien mit einem Vetorecht gegen die strukturell nur bis zur nächsten Wahl denkenden Parlamentarier ausgestattet werde.
Keine konkreten Ideen gestern ... nur ungefährliche Abstraktion. Nicola Liebert
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