■ „Versöhnen statt spalten“: Das „System Rau“ zeigt kaum Risse
Den öffentlichen politischen Diskurs hat er nie geprägt. Provokante Ideen, die Freund und Feind zu mobilisieren vermochten, sind von ihm nicht bekannt. Das mögen Radau-Journalisten ebensowenig wie die Linken im Lande. Bei ihnen genießt Johannes Rau bestenfalls den Ruf eines Langweilers. Seit fünfzehn Jahren, so lange ist Rau inzwischen als Ministerpräsident im Amt, quält dieses Problem nun schon die Konservativen in Düsseldorf. Alle Kampagnen halfen nichts: Zuletzt scheiterte Norbert Blüm kläglich bei dem Versuch, das System Rau mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Verbindung zu bringen. „Der Sozialismus geht, wir kommen“, diese Blümsche Wahlkampfmasche geriet zu einem gigantischen Flop. Überraschen konnte dieses Ergebnis kaum, denn unter „Sozialismus-Verdacht“ stand Rau nie – weder beim Wahlvolk noch bei der eigenen Partei.
Tatsächlich hielten weite Teile der SPD Rau immer wieder vor, nicht einmal sozialdemokratische Ziele mit dem nötigen Elan zu verfolgen – in der Kernenergiefrage ebenso wie beim Radikalenerlaß. Auf dem Bildungsparteitag am vergangenen Samstag sprachen die Jusos gar von „einer Beerdigung sozialdemokratischer Reformpolitik“, weil der Parteitag der Linie Raus folgte, am mehrgliedrigen Schulsystem festzuhalten. Alexander von Cube forderte gar, die Gesamtschule müsse als Einheitsschule für alle Kinder auch dann durchgesetzt werden, wenn dadurch ein „Schulkrieg“ drohe. Nicht nur diese Wortwahl stößt Rau ab. Ein solch konfrontativer Politikstil ist seine Sache nicht. „Versöhnen statt spalten“, das ist tatsächlich mehr als eine politische oder moralische Parole für den bibelfesten Protestanten. Er hielte an diesem Stil auch fest, wenn er damit unterläge. In der Schul-und Bildungspolitik verweist Rau im übrigen kühl auf die Zahlen: Mit 171 Gesamtschulen hat NRW da mehr zu bieten als alle anderen Länder zusammen.
Tatsächlich ist Rau der Politiker, der auf institutioneller Ebene das in kleinen Schritten durchzusetzen versucht, was sich gesellschaftlich bereits als mehrheitsfähig erwiesen hat. Minderheitspositionen in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen, überläßt Rau anderen. So viel ist gewiß: Folgte Rau seinen Kritikern in Richtung „Schulkrieg“, stünde das Ende der SPD-Mehrheit bevor, wäre selbst das verspielt, was seinen Kritikern zuwenig erscheint – auf dem Gebiet der Schulpolitik ebenso wie auf anderen Feldern. Mit Blüm in der Staatskanzlei stünde heute die Schließung von Gesamtschulen auf der Tagesordnung, und in Kalkar befände sich der schnelle Brüter am Netz. Walter Jakobs
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