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Im Kampf um den wahren Rassismus

Nachdem es den britischen Neo-Nazis gelungen ist, bei Nachwahlen zum Londoner Stadtrat ihren Kandidaten durchzubringen, suchen Labour und Liberale nach einem Schuldigen  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Nach dem ersten Wahlsieg der rechtsextremen „British National Party“ (BNP) schieben sich die Liberalen Demokraten und die Labour Party gegenseitig die Schuld dafür in die Schuhe. Der Neo-Nazi David Beackon hatte am Donnerstag bei einer Nachwahl im Ost-Londoner Stadtteil Tower Hamlets den Sitz für den Gemeinderat mit sieben Stimmen Vorsprung vor dem Labour- Kandidaten gewonnen. Die Liberalen behaupten nun, daß die Labour Party im Wahlkampf die Angst vor der BNP geschürt und Beackon dadurch erst zum Wahlerfolg verholfen habe. Das Argument zieht freilich nicht: Die Liberalen haben mit ihrer rassistischen Kampagne die rechtsextreme BNP-Politik in Tower Hamlets erst salonfähig gemacht. Paddy Ashdown, der Vorsitzende der Liberalen, hat am Wochenende eine Untersuchung der Aktivitäten des Ortsverbands angekündigt.

Der Verdacht liegt allerdings nahe, daß die Untersuchung lediglich dazu dient, vorübergehend für Ruhe zu sorgen, damit Ashdown seinen Parteitag, der gestern in Torquay begonnen hat, ungestört durchziehen kann. Denn so überrascht, wie er jetzt tut, kann der Vorsitzende nicht sein: Seit Jahren weisen ihn Parteimitglieder auf den rassistischen Ortsverband hin. Während des Wahlkampfes waren damals Flugblätter der Labour Party aufgetaucht, in denen die Partei versprach, der „Bevorzugung der Einheimischen bei der Wohnungsvergabe“ ein Ende zu bereiten und stattdessen Immigranten aus Bangladesch unterzubringen. Freilich wurde das Flugblatt rasch als plumpe Fälschung entlarvt. Der wirkliche Autor hieß Jeremy Straw, Stadtrat der Liberalen und Bezirksbürgermeister.

Zerbanoo Gifford, die Asien- Expertin der Liberalen, forderte eine Untersuchung des Falles. Das lehnte Ashdown jedoch ab. In einem Brief, der dem Observer zugespielt wurde, bedankte sich der rassistische Ortsverband deshalb beim Vorsitzenden, ohne dessen „Unterstützung wir nicht hätten weitermachen können“.

Und sie haben weitergemacht: Im vergangenen Jahr behauptete Straw, daß die Bangladescher sich „absichtlich obdachlos machen“, damit sie auf den Wartelisten der Wohnungsämter nach oben rutschen würden. Beim Wahlkampf in Millwall verteilten die Liberalen in den vergangenen Wochen erneut Flugblätter mit rassistischen Inhalten, so daß sich die asiatischen Parteimitglieder geschlossen vom Ortsvorstand distanzierten. Dessen Wahltaktik ärgerte schließlich auch Derek Beackon, der um sein Profil fürchtete und nach eigenen Angaben alle Hände voll zu tun hatte, um die WählerInnen davon zu überzeugen, daß er der wahre rassistische Kandidat sei. Er beschuldigte die Liberalen Demokraten im Wahlkampf, ihm seine „Klamotten geklaut“ zu haben. Mit anderen Worten: Die Millwall-Liberalen haben weite Teile ihres Wahlprogramms bei der BNP abgeschrieben. Auch das war für Ashdown kein Grund zum Eingreifen. Darüber wird er heute Rechenschaft ablegen müssen: Auf dem Parteitag stehen „ethnische Minderheiten“ auf der Tagesordnung.

Der Wahlkreis Tower Hamlets liegt im Londoner Hafengebiet, wo die Themse einen Bogen macht. Seit die Docks stillgelegt wurden, ging es mit der Gegend bergab. Wer heute dort wohnt, hat Anfang der 70er den Absprung nicht geschafft, als viele BewohnerInnen im Zuge der Slum-Bereinigungen nach Essex umsiedelten. Seit drei Jahren ist der Anteil der Bangladescher ständig gestiegen – und damit auch der Einfluß der Neo-Nazis.

Allerdings ist Rassismus keineswegs ein neues Phänomen im Osten Londons. Bereits vor 400 Jahren beschwerten sich die Eastender über die Kriegsflüchtlinge. 1905 setzte die anti-semitische „British Brothers League“ ein Einwanderungsverbot für Juden durch. In den dreißiger Jahren passierten ständig Überfälle auf Juden, die sich 1936 schließlich mit Barrikaden wehrten, um einen Marsch von 7.000 Nazis durch das Eastend zu verhindern. 1974 gewann die „National Front“ zehn Prozent der Stimmen. Seitdem haben die faschistischen Übergriffe im Osten der englischen Hauptstadt stetig zugenommen. Bisher letztes Opfer ist der 17jährige Quaddus Ali, der vor acht Tagen von Rassisten so brutal zusammengeschlagen worden ist, daß er immer noch im Koma liegt.

Der Wahlsieg der BNP ist also kaum verwunderlich. Erstaunlich ist eher die Tatsache, daß er trotz Rekordarbeitslosigkeit so lange auf sich warten ließ. Das liegt zum einen am britischen Wahlsystem, das es kleineren Parteien schwer macht, und zum anderen an der ehemaligen Premierministerin Thatcher, deren rechte Politik den Rechtsextremismus ein Jahrzehnt lang marginalisiert hat. Ihr Nachfolger Major steht nun vor einem Problem: Er hat zu viele innerparteiliche Schwierigkeiten, als daß er den BNP-Sieg offensiv angehen könnte – und er ist nicht Zyniker genug, um ihn eiskalt auszubeuten.

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