: Der Tanz der Existenzen
■ Nicholas Hause (23), bremischer Dramatiker, kommt mit „Winterwasser“ ins Radio
Den ersten Münchener Jugenddramatikerpreis hat er 1991 schon samt 15.000 Mark eingesackelt; jetzt wird ihm hierzulande auch noch ein sogenanntes „Literaturstipendium“, 5.000 Mark schwer, von der hiesigen Kulturbehörde ausgehändigt, dem Nicholas Hause, auf daß er umso heftiger an seinem neuen Werk tüftle: „Pictors Verwandlungen“ soll es heißen. Ein Haufen Material ist schon gesammelt; wahrscheinlich hat Hause, wie es seine Art ist, schon wieder in seiner Germanistikstudentenbude die riesenhafte Pinnwand vollgeschnipselt mit Manuskripten, Diagrammen und bunten Klebstreifen zum Prüfen, Verschieben und vor allem zum Verwerfen.
Und nebenbei hat er, weil Erfolg eben flink macht, sein erstes regelrechtes, nämlich das damals in München gekrönte Stück „Winterwasser“ für den Heimatsender zu einem Hörspiel umgearbeitet. Gestern abend war's in der Villa Ichon schon mal öffentlich zu hören, das Spiel um eine junge „Marianne“, wie sie sich ihr Leben schnell noch mal zu einer hitzigen Poesie ausmalt im Angesicht, ja, Angesicht des Todes, des „Abholers“, der ihr ein bißchen Aufschub gewährt. „Marianne“, das ist ein Wesen aus lauter Inbegriffen: der Jugend, des Gefühls, der Aufmüpferei zumal. Dieses Individuumsmodell hören wir, wie es sich herumschlägt mit den maßgeblichen Gewalten der Gegenseite: einem Geliebten, einer Lehrerin, einer leibhaftigen Justitia, allwelche der Reihe nach vortreten und beweisen, daß die Liebe ihr Ziel immer verfehlt und der Tod das seine nie; daß die Zivilisation als solche i.A. der Vernunft genüßlich die Dichterseele bricht; und daß es sowieso ein Kreuz ist mit der ganzen Existenz.
Sakra, denkt man sich. Daß unsern jungen Leuten schon so eine Greisenweisheit eignet! Statt auf offener Bühne geeignete Tyrannen umzubringen, philosophieren sie mit sinnreichen Modellmännchen der Verhängnishaftigkeit des Seins hinterher, und gar nicht einmal ungekonnt! Es sind kleine feine Szenen, musterhaft gebaut und ineinander verfugt und vielfach verspiegelt zu einer nahezu achsensymmetrischen Architektur. Wenn Bauzeichnungen reden könnten, wären uns noch viel mehr solcher Hörspiele beschieden: einwandfrei im Sinne der Statik; aber die künftigen Bewohner würden uns doch noch mehr interessieren.
Wer einmal bei Hause einzieht, wird vor allem ein flinkes Mundwerk brauchen: Der Dichter liebt es, an den Dialogen zu feilen, bis sie schneller sind als das menschliche Ohr. Was wir hören, ist ein Ping und Pong aus Paraden, Finten, angetäuschten Kontern, Schmetterbällen und Querschlägern; es hallt naturgemäß noch ein wenig vor Menschenleere, aber immerhin kommt schon mal ein Eindruck von Leben in die Bude.
Kurzum: Wenn Hause einmal einen Stoff finden sollte, vor dem ihm die Formverliebtheit vergeht, wenn nicht verglüht, dann heißt's vielleicht aufhorchen. Das Stück wird aber wohl ganz anders heißen als „Pictors Verwandlungen“.
schak
Radio Bremen 2 sendet „Winterwasser“ am 9. November um 21 Uhr
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