: „Die Moslems haben in Ploce nichts zu suchen“
■ Der bosnische Wunsch nach einem Zugang zum Meer spaltet die Einwohner der Hafen- städtchen Ploce und Neum, doch die kroatische Souveränität aufgeben will kaum jemand
Weit verzweigt sind die Wasserarme des Neretva-Deltas. Der wegen seiner grünen Farbe berühmte bosnische Fluß, an dem auch die heftig umkämpfte Stadt Mostar liegt, hat hier, an seiner Mündung an der kroatischen Adria, eine einmalige Landschaft geschaffen. Die dunkle Erde der Felder scheint auf dem Wasser zu schwimmen, das sich durch Hunderte von Kanälen zwängt. Meterhoch steht das Schilf, ein Händeklatschen genügt, und Hunderte von Wasservögeln entweichen laut kreischend in die auch im Frühherbst noch vor Hitze flimmernde Luft.
Am Rande dieses Naturidylls, wo der Fels der dalmatinischen Küste den Hauptarm des Neretva in das Meer lenkt, liegt die Stadt Ploce, die in diesen Tagen das Interesse der Kriegsparteien in Bosnien-Herzegowina auf sich zieht. Denn mit seiner Vorbedingung für einen Waffenstillstand – der Forderung nach einem sicheren Zugang zum Meer – hat der bosnisch- herzegowinische Präsident Izetbegović in Kroatien eine harte Diskussion darüber ausgelöst, welcher Hafen dafür in Frage käme. Ploce und das 30 Kilometer südlich gelegene Neum sind plötzlich zu einer Verhandlungsmasse im bosnischen Krieg geworden.
Die Straße führt vorbei an gesichtslosen Häusern, die das Ufer der Bucht umsäumen; die Stadt ist, im Gegensatz zu anderen dalmatinischen Städten, noch sehr jung. In der sozialistischen Zeit aus dem Boden gestampft, verbreitet sie den spröden Charme von Orten wie das ostdeutsche Eisenhüttenstadt. „Als ich ein kleiner Junge war, 1945, gab es hier noch nichts, gerade ein paar Fischerhäuser“, erklärt ein älterer Arbeiter, der durch das von drei Wachen scharf kontrollierte Eingangstor zum Hafen kommt. „Vor drei Jahren hatte die Stadt 12.000 Einwohner und war ein wichtiger Hafen für Bosnien. 1.400 Arbeiter waren hier beschäftigt, jetzt sind es gerade mal drei Schichten zu je 70 Mann.“
„Die Kroaten werden das zu verhindern wissen“
In der Tat stehen im Hafen die Kräne still. Auch vor den riesigen Silos und Lagerhallen bewegt sich nichts. Zwischen den Eisenbahnschienen sprießt das Gras. „Der Krieg hat uns ruiniert“, sagt ein anderer Arbeiter, der sich freimütig als Albaner zu erkennen gibt. „Ich lebe seit 20 Jahren hier, habe ein Haus, mein Sohn kämpft in der kroatischen Armee, ich jedoch bekomme nicht einmal das Bleiberecht, den Heimatschein“, sagt er empört. Wenn der Hafen wieder für Bosnien arbeiten sollte, wäre ihm das recht. „Dann würden wieder alle Arbeit haben. Die meisten Arbeiter denken so.“ Doch nicht alle Einwohner der Stadt. „Ploce ist kroatisch und nicht bosnisch“, sagt eine Verkäuferin. Ein Polizist gibt an, daß er zwar jede Entscheidung der Regierung akzeptiere, „doch wir wollen bei Kroatien bleiben. Die Moslems haben hier in Ploce nichts zu suchen.“ Allerdings hätte auch er nichts dagegen, wenn im Hafen wieder gearbeitet würde.
Auch in der Hafenverwaltung gibt es unterschiedliche Meinungen. „Es hängt alles von den Verhandlungen ab, welchen Status wir erhalten“, erklärt ein Angestellter. Er verstehe zwar den bosnischen Wunsch, über einen sicheren Hafen zu verfügen. Doch die kroatische Souveränität aufzugeben komme für die Bewohner nicht in Frage. Allerdings wäre es von Vorteil, sollten die Moslems den Hafen nutzen. „Die Verkehrsverbindungen sind gut, die Eisenbahnlinie nach Sarajevo könnte schnell wiederhergestellt werden, die Straße ist ausgebaut, selbst die Neretva ist bis ins bosnische Capljina schiffbar. So etwas kann Neum den Moslems nicht bieten.“
Um nach Neum zu gelangen, muß das Delta durchquert und die heiße Küstenstraße nach Süden entlanggefahren werden. Obwohl die gesamte Küste seit jeher von Kroaten bewohnt ist, gehört der sechs Kilometer breite Küstenstreifen von Neum seit Jahrhunderten zu Bosnien – auch wenn jetzt überall kroatische Flaggen wehen. Auch in Neum mit seinen rund 8.000 Einwohnern scheint alles seltsam ruhig. Niemand ist auf der Straße zu sehen, nur die schwerbewaffnete kroatische Polizei. Dieser Zugang zum Meer war von der Republik Dubrovnik einstmals dem osmanischen Reich übereignet worden. Ein Blick von oben auf den Küstenstreifen zeigt warum: Die Steilküste ist ungeeignet, hier einen großen Hafen anzulegen. Nur einige Fischerboote liegen am Kai, sie müssen bei Sturm ans Ufer gezogen werden.
Dennoch, ein schönes Städtchen, Villen liegen malerisch hinter von Bäumen und Sträuchern umgebenen Mauerwerk. „Hier besitzen viele reiche Bosnier ein Haus“, erklärt die Kellnerin in dem einzig offenen Restaurant. „Die werden jetzt von kroatischen Flüchtlingen bezogen“, schmunzelt sie. „Neum soll zu Kroatien gehören, nicht zu dem Moslemstaat“, erklärt ein Bankangestellter dezidiert. Daß Izetbegović vorgeschlagen haben soll, einen über 30 km langen Tunnel von dem als bosnisch deklarierten Gebiet des Genfer Aufteilungsplanes bis Neum zu bauen, um einen sicheren Zugang zum Meer zu haben, will ihm nicht in den Kopf. „Die Kroaten werden das zu verhindern wissen.“ Ein alter Fischer denkt jedoch anders. „Wenn der Frieden davon abhängt, dann soll Neum wieder bosnisch sein. Solange wir denken können, war das schließlich so.“
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