piwik no script img

Todestrunkene Backfischwelt

■ Japanische Kids in der Sinnkrise. „N.P.“, ein Roman von Banana Yoshimoto

In Banana Yoshimotos Romanen und Erzählungen wird oft gegessen und getrunken, zumeist nachts und auf Tokios Straßen, die Getränke kommen aus Automaten. Es wird auch viel gestorben im großstädtischen Mikrokosmos der 29jährigen japanischen Erzählerin, ihre Geschichten allerdings setzen immer danach ein. Die jugendlichen Angehörigen und Freunde des Toten, auf dem Sprung von der High-School ins Leben, finden sich in einem Zwischenreich von Ahnungen, Sehnsüchten, Depressionen, seltenen Glücksmomenten wieder, und manchmal lassen sie sich zu merkwürdigen Vergleichen hinreißen, wie in „Moonlight Shadow“, einer kurzen Erzählung. „Ich war verbittert, daß ich eine jener Erfahrungen gemacht hatte, die vielen Menschen das ganze Leben erspart bleiben: auch eine Abtreibung gehört dazu, ein Job in einer Bar oder eine schwere Krankheit“, sagt ein Mädchen, dessen Freund gestorben ist, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Banana Yoshimoto gebe sich hin und wieder zu vorbehaltlos (oder naiv?) den Stimmungen hin, die sie beschreibt. Sie ist sehr nah an ihren Kids dran, mit allem Für und Wider.

In ihrem zweiten, gerade bei uns veröffentlichten Roman „N.P.“ ist ihre immer wiederkehrende Geschichte mit dem altehrwürdigen Thema literarischer Selbstreflexion verknüpft. Der Todesengel kommt in Form einer ominösen 97. Erzählung, die sowohl ihren Schöpfer, einen eher „zweitklassigen Schriftsteller“, als auch den Übersetzer der Erzählung in den Selbstmord treibt. Zurück bleibt eine Gruppe Jugendlicher, kaum fähig, sich des Todessoges zu erwehren, der von der 97. Erzählung ausgeht.

Daß die Beschäftigung mit Literatur unangenehme Reality-Effekte haben kann, wurde schon in unterschiedlichen und raffinierten Formen durchgespielt. Banana Yoshimoto liefert jetzt die Backfischversion als Geschichte eines Quartetts, dessen Binnenstruktur gleichwohl kompliziert wie konstruiert ist.

Amouröses Bindeglied ist eine junge Frau namens Sui, eine Tochter des selbstmörderischen Schriftstellers, die mit dem Vater ein inzestuöses Verhältnis hatte und nach dessen Tod zur Geliebten des Halbbruders wird. Nicht genug damit, hatte sie auch was mit dem Übersetzer ihres Vaters, wodurch Kazami ins Spiel kommt, die Ich- Erzählerin, die wiederum mit dem Übersetzer liiert war. Vierte im Bunde ist die Zwillingsschwester des Halbbruders, die allerdings verliert Banana Yoshimoto im Verlaufe des Romans aus den Augen. Wahrscheinlich, weil dieser weibliche Gegenpol aus Vernünftigkeit im Gespinst spiritueller Atmosphären ein Konstrukt und zunehmend überflüssig ist, während die Ich-Erzählerin Kazami, die Omni-Erotikerin Sui und der aus der Bahn geratene Zwillingsbruder Otohiko die Karten neu mischen: Sui wird schwanger und desertiert ins bürgerliche Leben, während Kazami und Otohiko als neues Liebespaar aus der Asche steigen. Am Ende ist die Welt wieder „wahnsinnig schön, zum Verrücktwerden.“

„N.P.“ ist die Abkürzung für „North Point“ und auch der Titel jener nicht ganz vollendeten Erzählungsammlung, die die vier in einem Zwischenreich somnambuler Wahlverwandschaften zusammenführt. Wenn hier zwei Herzen gleich klingen, überstrapaziert Yoshimoto ihr zentrales Motiv der aus tiefer Not entsprungenen Herzgewächse. „Ich war mir sicher, daß du das sagen würdest“, sagen ihre Großstadtkids häufig und werfen damit einen Rettungsanker aus, mit dem sie ihre tödliche Melancholie loswerden wollen. Ihre Lieblingsmedizin nehmen sie in einem „kleinen, noch neuen und nach frischem Holz duftenden Restaurant“ ein – ein Restaurant, das in Yoshimotos Romanen häufiger auftaucht und in dem es den Jugendlichen wie der jungen Frau gehen kann, die in „Moonlight Shadow“ auf eine andere trifft und nach der Begegnung meint: „Sie hatte meinem Herzen einen Regenbogen gezeigt“.

„Moonlight Shadow“ war Banana Yoshimotos Debut, 1988 begann mit ihrem ersten Roman „Kitchen“ das, was man inzwischen „Banana-Mania“ nennt und was in Japan die Form von sechs Millionen verkaufter Exemplare angenommen hat. „Kitchen“ war auch der erste bei uns verlegte Roman, im Vergleich zu „N.P.“ ist er weniger konstruiert und überzeugender. Nach diesen beiden Romanen werden wohl auch bei uns noch weitere Variationen zum Thema folgen, denn „Banana-Mania“ steht auch für Yoshimotos manisches Schreiben. Wie anders sollte man sonst den Ausstoß von einem knappen Dutzend Bücher innerhalb weniger Jahre erklären, von denen in Japan bis jetzt acht erschienen sind – oder sind es doch schon neun? Jürgen Berger

Banana Yoshimoto: „N.P.“ Aus dem Japanischen von Annelie Ortmanns-Suzuki; Diogenes Verlag, 181 Seiten, geb., 32 DM

„Kitchen“. Aus dem Japanischen von Wolfgang E. Schlecht; Diogenes Verlag (1992), 203 Seiten, geb., 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen