: Unterm Strich
Der „Herr der Bücher“, Marcel Reich-Ranicki, hat den Spiegel-Titel dieser Woche. Ehre, wem Ehre gebührt. Gilt vor allem für den Spiegel, für den der Meister sogar seine Familienfotos aus der Schublade kramte. Ganz entzückend und wenig pummelig, sehen wir jetzt, war das Kleinkind Marcel. Der erwachsene ist ein einsamer Kritiker, aber immerhin sieht er in Frauen auch intellektuelle Partnerinnen. Ansonsten taugt die Sache nicht weiter, Frankfurt und die Welt der Bücher irgendwie in Unordnung zu bringen.
Auch wenn es derzeit unwahrscheinlich erscheint, es gibt noch andere Städte und anderes als Bücher. Athen zum Beispiel und der U-Bahn-Bau. Fördert aber auch nur wieder nichts als antike Gräber, Bäder und Tempel zutage. Der zentrale Syntagma-Platz vor dem Parlament ist aufgerissen und wenige Meter unter dem Asphalt kommen antike Wasserleitungen und Schmelzöfen ans Licht. All dies soll, so Städteplaner und Archäologen, später in riesigen Vitrinen in den Bahnhöfen der Untergrundbahn ausgestellt werden.
Fast unter den Boden gerutscht war ein Bauwerk, das mit seinen „markanten Türmen“ weithin sichtbar sein sollte. Nämlich die Kirche in Straupitz (Kreis Lübben). Die Kirche, nach Plänen des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel von 1828 bis 1832 erbaut, gilt als eines der schönsten klassizistischen Bauwerke in Brandenburg. Sie harrte schon seit den 30er Jahren der Restaurierung, als durch die bergbaubedingte Absenkung des Grundwassers schon erste Risse in dem Gebäude auftraten. Krieg und DDR-Staat halfen dem Übelstand nicht ab. Das taten jetzt das Bundesinnenministerium und die Evangelische Kirche in Deutschland, weshalb mit einem festlichen Gottesdienst zum Erntedankfest die rekonstruierte Kirche wieder eingeweiht wurde.
Was belegt, daß „die Erhaltung der Kultur auch drei Jahre nach der Wiedervereinigung nationale Aufgabe bleibt“. Diese Forderung, die der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie zum Abschluß seiner Jahrestagung in einem „Schweriner Manifest“ gestellt hat, ist also wohlfeil. Der Kulturkreis, so die Verlautbarung, „begrüßt den Erfolg der bisherigen Übergangsfinanzierung des Bundes bei der Umstrukturierung der Kultur in Ostdeutschland“. Gleichzeitig betrachtet er „mit großer Sorge“ die Auswirkungen der Sparpläne von Bund, Ländern und Gemeinden auf das Kulturleben. Im besonderen würden „verheerende Folgen“ in den neuen Bundesländern befürchtet, wenn die im Einigungsvertrag festgeschriebene Übergangsfinanzierung des Bundes bereits 1994 vorzeitig eingestellt werden sollte. Ohne Kultur würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland ein seither tragendes Fundament genommen. Vom eigenen Geld, das der Kultur zugute kommen soll, lesen wir nichts.
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