: Neuer Mustopf im Parlament
■ Erste Sitzung der Bürgerschaft / SPD-Streit um zukünftige Regierungs-partnerIn vor der Entscheidung Von Florian Marten und Uli Exner
Vorne viele große Worte. Hinten viele kleine Spekulationen. Hamburgs Rathaus gestern nachmittag. Die konstituierende Sitzung der neuen Bürgerschaft als Mikrokosmos der nebelverhangenen Hamburger Polit-Landschaft nach den Wahlen. Motto: Wir wollen alles besser machen! Aber, pssst, wer mit wem und warum, das müssen wir noch abwarten.
Markus Wegner zum Beispiel. Der Statt-Parteichef hatte den allergrößten rhetorischen Mustopf ins Parlament geschleppt, bemühte Willi Brandt selig (“mehr Demokratie wagen“) und Abraham Lincoln (“Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk“) und versprach, daß „die Zeit der Mauscheleien vorbei“ sein soll. Gefragt nach den Ergebnissen der Sondierungsgespräche mit der SPD am Montagabend blieb er jedoch wortkarg. Von „Annäherung“ war die Rede und von einer „Möglichkeit rot-grün zu verhindern“.
Daß sich der einstige CDU-Rebell genau dies zur neuen Aufgabe gemacht hat, wurde auch in der einzigen kleinen Sachdebatte deutlich, die sich das Parlament zur Premiere gestattete. Wegner rügte die GAL-Anträge zur Geschäftsordnung als „Schnellschüsse“. Im Gegensatz zu den eigenen Anträgen natürlich.
Aber auch bei der GAL hat sich inzwischen rumgesprochen, wo der neue Feind sitzt: nämlich zwischen CDU und SPD. Sprecher Martin Schmidt konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, daß „sich die Statt-Partei in den Vorgesprächen von der SPD ins Bockshorn“ hätte jagen lassen, da sie aus Kostengründen auf einen Posten im Parlamentspräsidium verzichtet habe.
So sitzen dem Parlament auch in den nächsten Jahren drei PräsidentInnen vor. Ute Pape von der SPD als Chefin, sowie Rolf Kruse (CDU) und Ulla Bussek (GAL) wurden in trauter Eintracht gewählt. Die Papiere von GAL und Statt-Partei wurden zwecks Zwischenlagerung in die Ausschüsse überwiesen. Der von allen Parteien getragene Antrag, Bürgerschaftsausschüsse künftig öffentlich tagen zu lassen, stimmten auch alle zu. Salbungsvolle Reden des Alterspräsidenten Klaus Scheelhase (“Im Mittelpunkt unseres politischen Denkens und Handelns steht der Mensch“), der neuen Parlamentspräsidentin (“Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen“), und das war's dann mit dem offiziellen Teil. Ab in die Hinterzimmer und Flure.
Gefragteste Gesprächspartner der vollzählig angetretenen Hamburger Journaille natürlich die verschiedenen Vertreter der verschiedenen SPD-Lager. Wofür die sich verkauft haben, nuschelt ein Rotgrün-Fan zum Thema Statt-Partei, das sei „noch nicht mal mehr ein Linsengericht.“ Also alles klar für Rotstatt? Nein, nein, überhaupt nicht, sagt ein versierter SPD-Verhandler, „aber erstaunlich“ sei das schon, wie sehr die Statt-Partei sozialdemokratischen Vorstellungen näher gekommen sei. „Kein Vergleich zur Klientel-Politik der FDP“. Also doch??
Nein. Entwarnung! Entwarnung, erklären andere Rot-Grün-ReformerInnen: Wegner sei zwar nett gewesen, ein zuverlässiger und brauchbarer Koalitionspartner jedoch, das habe sich auch im zweiten Sondierungsgespräch, seien er und seine Politfrischlinge noch lange nicht. Besonders problematisch: Unklare Vorstellungen über die Senatsbeteiligung und Bindekraft einer Zusammenarbeits-Vereinbarung sowie über die Themen Haushaltspolitik (Statt-Leute wollen radikal streichen) und Demokratisierung (SPD kann Reformideen der Statt-Partei nicht akzeptieren). Alles unklar also, bei der SPD?
Nicht ganz, denn in einem sind sich (fast) alle einig. Entscheidend sei letztlich der Verlauf des für heute angesetzten Gesprächs mit der GAL. Ganze Zaunpfahlreihen fliegen in Richtung der grünen Verhandlungscombo: Sollten sich die Grünen erneut kompetent und umgänglich zeigen, keine Hinweise für unüberwindbare Sachdifferenzen liefern, werde es am Freitag im SPD-Landesvorstand voraussichtlich zu einer knappen Mehrheit für rot-grüne Verhandlungen reichen.
Wie gesagt, für Verhandlungen. Ob die dann auch zu einem Koalitionsvertrag führen, so ein führender SPD-Politiker gestern, das sei noch längst nicht ausgemacht. Weitere Spekulationen, auch über einen möglichen Rücktritt des Bürgermeisters, sind erlaubt.
Allerdings nicht zu diesem Zeitpunkt, wie der Senatschef gestern in einer Reaktion auf entsprechende dicke Schlagzeilen betonte: „Weder habe ich der SPD gedroht, noch wird die SPD ein Wort der Drohung mit Rücktritt von mir hören.“ Das klingt nach Taten statt großen Worten.
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