Puppenmorde auf offener Straße

■ Figurenmarsch der Harburger Druckwerkstatt gegen Rassismus überlebt immer nur Stunden

Geköpft, zerstückelt, brutal das Herz herausgerissen: In Hamburg-Heimfeld regiert der Haß. Viele Bürger schauen weg, doch einige sind entsetzt. „Warum machen die Leute sowas, die tun doch keinem was“, fragt zum Beispiel eine etwa 60jährige Heimfelderin am Ort des Geschehens, Alter Postweg. Dem Mann, der noch den Regenschirm in der Hand hält, quillen die Eingeweide heraus. Er ist etwa 1,75 Meter groß und ganz weiß: Die Person mit Regenschirm ist eine Gipsplastik.

Seit dem 27. September zieht ein gespenstischer Zug von Gipsskulpturen in Richtung S-Bahn-Station Heimfeld. Sie sind das Werk der „offenen Druckwerkstatt“ Alles wird schön, einem Veranstaltungszentrum, das in dem problemreichen Stadtteil Kurse von Comiczeichnen bis zu Reprotechnik anbieten. Mit dem Zug beteiligt man sich an der Aktion der Kulturbehörde „Ungeliebte Fremde“. „Fremdenfeindlichkeit ist unser Problem, deswegen setzen wir uns in dieser Form damit auseinander“, erkärt Margret Hustedt, von „Alles wird schön“.

Die Figuren symbolisieren Ausländer und Einheimische die enttäuscht den ungastlichen Ort verlassen, an dem sie täglich dem offenen Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt sind. Sie haben eine Tasche oder einen Koffer in der Hand, auch ein Kind mit Teddy ist dabei. Doch der Haß gegen alles Fremde und Unbekannte läßt auch einfache Gipsfiguren nicht unverschont: „Teilweise 'überleben' die Skulpturen nur wenige Stunden“, berichtet Hustedt. So ist das Kind mit Teddy vollkommen zerfetzt, nur noch Fragmente liegen auf dem Boden, von der Figur ist nichts übriggeblieben.

Insgesamt acht Plastiken wurden hergestellt, von denen drei – meist stark beschädigt – noch stehen. „Diese Gewaltakte richten sich vermutlich direkt gegen uns.“ So seien auch die Plakate „Wenn die Fremden gehen, geht auch die Menschlichkeit“, die auf die Aktion hinweisen, mitunter akribisch abgerissen worden. „Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben“, meint die gelernte Sozialpädagogin. Trotzdem wollen sie weiter machen, zwanzig Skulpturen will man insgesamt herstellen. 15 bis 20 Stunden Arbeitszeit brauchen die rund 20 freiwilligen Helfer pro Figur. „Bis jetzt ist erst eine Teilnehmerin abgesprungen, weil ihre Plastik vernichtet wurde.“ Die anderen sähen ihre Aufgabe mehr im Schaffen, ähnlich wie bei der Modelleisenbahn, die auch beim Aufbauen am meisten Spaß mache.

Bis zum 10. Oktober sollen die Gipsskulpturen noch zum Bahnhof ziehen. Wenn bis dahin 20 Plastiken fertig sein sollen, müssen sich die Künstler beeilen, denn die Geschwindigkeit der Zerstörung ist schneller als das Produktionstempo.

Andrew Ruch

Wer die Aktion noch unterstützen möchte, wendet sich an: Alles wird schön, Friedrich-Naumann-Straße 19/21, 21075 Hamburg, Tel.: 766 60 49.