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Ein Rucksack für Pinguine

Der Lebensraum der „Unterwasserflieger“ wird mit modernster Technologie erforscht  ■ Von Susanne Billig

Die Realität moderner Hochseefischerei hat mit Urlaubsträumen von bunt lackierten Booten und liebevoll in Handarbeit geflickten Netzen nicht mehr viel gemein: Fangflotten durchkämmen heute die Meere, ausgestattet sind sie mit jeder Menge Technik. Infrarotsensoren spüren auch die verstecktesten Schwärme auf. Bordcomputer spucken aus, welches Meeresgetier da unten in welchen Mengen den Netzen zu entfliehen versucht. Die Überfischung der Meere ist zu einem ernsten Problem geworden, das internationalen Kommissionen Kopfzerbrechen bereitet. Auch die Krillfischerei macht Biologen und Umweltschützern Sorge. Einer davon ist der Berliner Ornithologe und Pinguinexperte Rudolf Bannasch. Denn wenn Welternährungprognostiker die Garnelen als Eiweißressource der Zukunft propagieren, wird eines gern vergessen: Der Krill bildet für einige der 18 existierenden Pinguinarten die einzige Nahrungsmittelquelle. Verschwindet der Krill, so ist die Lebensgrundlage der Pinguine zerstört. Darüber hinaus könnte das ganze Ökosystem der Antarktis aus dem Takt geraten.

Nun helfen die „Unterwasserflieger“ dabei, sich selbst und ihren Lebensraum zu schützen. „Einige Arten, die sich ausschließlich von Krill ernähren, wie die Adeliepinguine, die Zügelpinguine und die Eselspinguine, wurden im Rahmen internationaler Schutzprogramme als sogenannte Indikatoren ausgewählt“, erläutert Rudolf Bannasch vom Institut für Bionik der Technischen Universität Berlin die Zielrichtung seiner Forschung. Doch die Idee war leichter geboren als umgesetzt: So gut die Tiere sich an Land zählen, beringen oder anderweitig ornithologisch untersuchen lassen – sie laufen nicht weg, ertragen die menschliche Gegenwart relativ gleichmütig und arrangieren sich mit Forschungsstationen –, so behende schwimmen sie im Meer ihren Erforschern davon. „An der Uferlinie“, so der Berliner Wissenschaftler, „hörten unsere Kenntnisse ganz einfach auf.“ Fernglas, Hinterherlaufen und Bootfahren schienen dem Wissenschaftler, der lange Jahre für die Polarforschung der ehemaligen DDR verantwortlich war, für eine moderne Ornithologie nicht mehr zeitgemäß. In Zusammenarbeit mit Rory Wilson und Boris Culik vom Kieler Institut für Meereskunde führte Bannasch eine völlig neue Technologie in die Vogelkunde ein, den „Datalogger“.

Auf ihren Antarktisexpeditionen schnallen die Wissenschaftler das unscheinbare Gerät den Pinguinen wie einen kleinen Rucksack auf den Rücken. Vollgestopft ist der Datalogger mit modernster Elektronik: Sobald sich die Tiere in die Weiten der antarktischen Meere zur Nahrungssuche davonmachen, erfassen Sensoren im Zehn-Sekunden-Takt sämtliche Eckdaten der „feeding trips“, wie es in der Fachsprache heißt. Ob Tauchtiefe, Schwimmgeschwindigkeit, Licht- und Temperaturverhältnisse – nichts bleibt der scheckkartengroßen Speichereinheit in dem Minicomputer verborgen. Bevor die Datalogger-Technik richtig funktionierte, mußten die Wissenschaftler allerdings eine Weile tüfteln. Voruntersuchungen hatten zunächst einmal ergeben, daß der Computer den Tieren kräftig auf den Rücken drückte und ihnen 20 Prozent mehr Energie zum Schwimmen abverlangte. Eine dem Körperbau der Pinguine angepaßte Miniaturversion des Fahrtenschreibers stört die Unterwasserflieger dagegen kaum noch. Dann wieder wollte die eine oder andere Sensortechnik nicht so richtig funktionieren. Ein kleines Flügelrad zur Ermittlung der Schwimmgeschwindigkeit erwies sich zum Beispiel als äußerst störanfällig. Nach einiger Überlegung fanden die Polarforscher eine Lösung: Sie setzten eine dem Prinzip von Sensorhaaren nachempfundene Konstruktion ein.

Menge und Zeitpunkt des gefressenen Krills ermittelt Bannasch und seine Kollegen mit Hilfe einer Schlucksonde, die sie den Tieren verabreichen. Damit können sie Temperaturabfälle im Magen messen, was wiederum Rückschlüsse zuläßt über Zeitpunkt und Menge an gefressenen Krill. So ergibt sich ein Abbild der antarktischen Krillverteilung aus der „Sicht des Pinguins“. Wichtig für das Verständnis der Wechselwirkungen Krill-Pinguinpopulationen ist, daß Pinguine nicht, wie zuvor angenommen, bevorzugt die großen Schwärme aufsuchen. Sie tun sich auch an kleinen Garnelen-Ansammlungen gütlich, auf die sie unterwegs treffen. Gerne suchen sie ökologische Grenzgebiete auf, wagen sich aus der engeren Inselumgebung weit vor ins kältere offene Meer, das wegen der niedrigeren Temperatur mehr Sauerstoff und somit mehr Nahrung enthält. Umgekehrt kann ein Pinguin auch lange auf sein Garnelenessen verzichten: Ein Verlust bis zur Hälfte des eigenen Körpergewichts ist während der Aufzucht der Jungen keine Seltenheit. Bannasch geht es mit den Dataloggern – die er in der Biologie für ähnlich bahnbrechend hält wie die Einführung des Mikroskops – nicht in erster Linie darum, interessantes Grundlagenwissen zutage zu fördern. Er nutzt die ermittelten Daten vor allem, um Fragen des Energieumsatzes von Pinguinen – die Experten im Kräfte- Haushalten sind – zu erforschen. „Wir wollen Grenzwertberechnungen für die Anpassungsfähigkeit der Tiere aufstellen, um letztlich die Frage beantworten zu können, wie tief der Mensch in das antarktische Ökosystem eingreifen darf, ohne es zu gefährden.“

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