: Nach Jelzin-Besuch: Atommüll für den netten Nachbarn
■ Russische Marine verklappt Atommüll im Japanischen Meer / Greenpeace ist Zeuge
Berlin (taz) — Der ganz normale Umweltskandal: Weil eine sichere Entsorgung zu teuer ist, kippt die russische Marine ihren Atommüll einfach ins Meer. Gestern wurde sie dabei von Greenpeace beobachtet. Dabei hatte der russische Präsident Boris Jelzin noch vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Japan seinen Gastgebern freundlich zugestimmt, daß die Versenkung des Atommülls „Anlaß zu ernster weltweiter Sorge (sei) wegen ihrer Folgen für die Umwelt der Anliegerstaaten“. Kurze Zeit später legte der Atommüllfrachter aus dem U-Boot-Hafen Pawlowsk ab und nahm Kurs auf Japan.
550 Kilometer westlich der japanischen Stadt Hokkaido und 190 Kliometer südöstlich von Wladiwostok öffneten die Seeleute die Schleusen und ließen 900 Tonnen radioaktive Flüssigkeiten aus dem Laderaum des Frachters mit dem sinnigen Namen „TNT-27“ in den Pazifik ab. Mit einer Sonde fuhren die Umweltschützer an die Stelle heran und stellten eine zehnfach erhöhte Strahlung fest. Nach Recherchen der Schlauchbootorganisation hat das Schiff aber noch weitaus mehr nukleares Material an Bord. Und eine zweite Fuhre soll in den nächsten Tagen folgen; sie lagert bis jetzt noch auf einem Frachter, von dem die russische Marine fürchtet, daß er bei den Herbststürmen noch im Hafen auseinanderbrechen könnte. Deshalb soll das strahlende Material auf die „TNT-27“ umgeladen werden.
Der hochgefährliche Abfall stammt von Atom-U-Booten. Um die internationalen Abrüstungsverträge (Start) zu erfüllen, müssen bis zum Jahr 2000 die Hälfte der russischen Unterseeboote verschrottet werden. Aber die russische Marine ist fast pleite. Außerdem fehlen ihr die technischen Anlagen, um die Reaktoren und die verseuchten Wrackteile unschädlich zu machen. Deshalb wird der radioaktive Flüssigmüll auf zum Teil schrottreifen Kähnen zwischengelagert, die in verschiedenen Pazifikhäfen dümpeln. Sind die Tanks voll, geht es hinaus auf die hohe See.
Obwohl Rußland 1983 der Londoner Konvention beigetreten ist – die verbietet für zehn Jahre die Verklappung radioaktiver Abfälle ins Meer –, ist der gestern von Greenpeace beobachtete Vorgang offenbar gängige Praxis. Bis 1992 versenkten die Sowjets allein im Japanischen Meer, dem Ochotskischen Meer und vor der russischen Halbinsel Kamschatka nukleare Flüssigkeit mit insgesamt 12.300 Curie. Die Feststoffe strahlten mit 6.200 Curie, schreibt Greenpeace – was eine russische Untersuchungskommission bestätigte.
Auch auf dem Rio-Gipfel im Sommer 1992 nickte der russische Vertreter zur „Agenda 21“, die einen ähnlichen Inhalt wie die Londoner Konvention hat. Die Regierung in Tokio kündigte ihren Protest an. aje
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