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Noch nie so schnell so viele Unterschriften

■ 1 Million nach 8 Monaten / Sieger darf taz-Moped wegen Kurzsicht nicht fahren

Eigentlich wollte Yves Seigel nur im Europa-Center am Ku'damm shoppen gehen. „Ich wollte nur mal gucken, was hier los ist“, sagt der 18jährige Schüler. Schon soll er unterschreiben. Yves nimmt den Kugelschreiber und setzt die einmillionste Unterschrift unter das „Referendum Doppelte Staatsbürgerschaft“. Eine Pressehorde stürmt auf ihn zu. Nur schwer kann sich Jürgen Strohmaier, Initiator des Referendums, mit einem Blumenstrauß zu Yves durchquetschen. Sanft versucht Marianne Birthler, Bundesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Grüne, Yves zu seinem Gewinn zu ziehen: einem beigefarbenen Moped aus Wirtschaftwunderzeiten, eine Kreidler-Florett, Baujahr 1969, die die taz gestiftet hat. Mit einem ähnlichen Moped wurde 1964 der millionste „Gastarbeiter“ von der Bundesregierung begrüßt. Yves gewinnt die Fassung wieder: „Ausländer haben so gut wie keine Rechte hier. Mit der Staatsbürgerschaft können sie wählen und die Politik beeinflussen.“

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik seien in so kurzer Zeit so viele Unterschriften gesammelt worden, sagt Jürgen Strohmaier. Sie sollen demnächst Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth überreicht werden. Strohmaier hofft auf einen parteiübergreifenden Gruppenantrag. Jedoch: „Bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament werden wir die doppelte Staatsbürgerschaft in absehbarer Zeit nicht erreichen“, meint Ismail Kosan vom Bündnis 90/Grüne. Wichtig sei das Referendum dennoch – ein erster Schritt dazu, Ausländern die gleichen Rechte und Pflichten wie Deutschen zu geben. Auch Marianne Birthler glaubt nicht an einen kurzfristigen Erfolg. Trotzdem: „Wer jetzt noch das Begehren der Bevölkerung ignoriert, darf nicht mehr über Bürgerbeteiligung reden.“

Nach den Mordanschlägen von Mölln sahen die Berliner Grünen endgültig die Notwendigkeit, das Staatsbürgerrecht zu ändern, um Gewalt und Fremdenhaß zu tilgen. Unterstützung kam bald aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen: aus Gewerkschaften und Kirche, aus Sport, Kultur und Politik. Ein Fünftel der Unterschriften stammt von ImmigrantInnen und Flüchtlingen. Auch Deutsche im Ausland unterstützten das Referendum. Nach acht Monaten war die Million voll.

Nach Artikel 116 des deutschen Grundgesetzes entscheidet noch immer die Abstammung von deutschen Eltern über die deutsche Staatsangehörigkeit. Dieses seit 1913 geltende „Blutrecht“ grenze AusländerInnen politisch und rechtlich aus, sagt Jürgen Strohmaier. „Diese Ausgrenzung ist eine Grundlage für den deutschen Rassismus.“ Ziel der Kampagne ist, daß alle hier geborenen oder seit fünf Jahren hier lebenden Menschen einen Rechtsanspruch auf unbürokratische Einbürgerung bekommen. Sie soll nicht länger mit dem Zwang einhergeben, die alte Staatsbürgerschaft abgeben zu müssen.

Yves Seigel interessieren diese Ausführungen nicht. Er ist von dem Presserummel sichtlich überfordert und will vom Moped absteigen. Viel anfangen kann er damit nicht: „Wegen meiner schlechten Augen habe ich keinen Führerschein.“ Sabine am Orde, Berlin

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