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Die Muskatnuß ist nichts mehr wert

Zehn Jahre nach der US-Invasion ist Grenada ärmer als zuvor / Die Dollarströme aus Washington sind längst versiegt / Der frühere Diktator Gairy sitzt immer noch in den Startlöchern  ■ Von Dorothea Hahn

Berlin (taz) – Der Blitzkrieg in der Karibik dauerte drei Tage. Dann kabelten die 7.300 US-Marineinfanteristen, Army-Ranger und Fallschirmjäger nach Washington, sie hätten das „kommunistische Krebsgeschwür“ auf dem Inselstaat Grenada beseitigt. 88 Menschen bezahlten die Invasion vom 25. Oktober 1983 mit dem Leben, mehr als 500 wurden verletzt. Die RevolutionärInnen des „New Jewel Movement“ („Jewel“ steht für „Joint Endeavour for Welfare, Education and Liberation“), die in den vier Jahren zuvor ein einzigartiges basisdemokratisches Experiment begonnen hatten, waren entweder tot oder im Gefängnis. Die kubanischen und sowjetischen Verbündeten verließen die Insel, und die 90.000 GrenadierInnen stellten sich mehrheitlich darauf ein, irgendwann ein neuer Bundesstaat der USA zu werden.

Der Invasion vorausgegangen war ein Putsch der Marxisten-Leninisten innerhalb des „New Jewel Movements“ gegen den moderaten Regierungschef Maurice Bishop. Als sich die Bevölkerung auf die Seite Bishops schlug und ihn im Triumphzug befreite, eröffneten die Putschisten am 19. Oktober das Feuer und exekutierten Bishop und mehrere Mitglieder seiner Regierung. Die Tatsache, daß Fidel Castro den Putsch verurteilte und selbst US-Diplomaten in der Karibik keine ausländische Beteiligung feststellen konnten, hinderte den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan nicht daran, Havanna und Moskau als Drahtzieher zu beschuldigen. Schließlich mußten die Sicherheit der rund 1.000 US-BürgerInnen auf der Insel und ein „Hilferuf“ der benachbarten ostkaribischen Staaten als Begründung für die Invasion herhalten.

Zehn Jahre danach ist in Grenada nicht einmal die Hoffnung auf einen „Anschluß“ an die USA geblieben. Statt der erwarteten langfristigen Hilfe pumpten die USA in den ersten Jahren rund 100 Millionen Dollar in den Staat, den sie nach eigener Lesart gerade dem sowjetischen Einflußgebiet entrissen hatten. Für eine kurze Zeit ging es den eroberten GrenadierInnen besser als ihren NachbarInnen. Die USA bauten ein paar Brücken, besserten Straßen aus und vollendeten den „Point Salines“-Flughafen, den die Kubaner begonnen hatten und der den Amerikanern einen Vorwand für die Invasion geliefert hatte. Die drei Kilometer lange Landebahn hatte Reagan schon Anfang 1983 zu der verhängnisvollen Frage veranlaßt: „Was braucht eine kleine Insel einen großen Flughafen?“

Eine solide wirtschaftliche Entwicklung hat der inzwischen versiegte Dollarstrom Grenada nicht gebracht. Genau wie andere Länder der Region kämpft es heute mit den Folgen eines von der Weltbank diktierten Strukturanpassungsprogramms: hohe Auslandsverschuldung, ein negatives Wirtschaftswachstum (von minus 0,4 Prozent), Arbeitslosigkeit zwischen 20 und 40 Prozent und Massenauswanderung. Hinzu kommt, daß die Preise für Grenadas traditionellen Exportschlager, die Muskatnuß, in den Keller gestürzt sind. Verdiente Grenada noch 1988 rund 11 Millionen US-Doller mit der Muskatnuß, so werden für dieses Jahr nur noch Einnahmen in Höhe von rund 2 Millionen US- Dollar erwartet.

Von den landwirtschaftlichen Kooperativen, die einst die Revolutionäre anleierten, ist kaum eine geblieben. Statt dessen fallen alljährlich 50.000 zumeist US-amerikanische TouristInnen über die 344 Quadratkilometer kleine Insel mit den Traumstränden her. Sie kommen als kreuzfahrende Eintagsbesucher oder landen auf dem einst bekämpften Flughafen.

Politisch ist Grenada längst zur „Normalität“ zurückgekehrt. Mehrere bürgerliche Regierungen haben sich seit der Invasion abgelöst. Auch der frühere Diktator Eric Gairy, den die Revolutionäre um Maurice Bishop 1979 aus dem Amt gejagt hatten und der im Windschatten der GIs aus seinem US-Exil nach Grenada zurückgekehrt war, mischt wieder mit. Ein Sieg seiner „Grenada United Labour Party“ bei den nächsten Parlamentswahlen in anderthalb Jahren ist nicht ausgeschlossen. Die verbliebenen Revolutionäre haben mit dem „Maurice Bishop Patriotic Movement“ bei den letzten Wahlen nur knapp zwei Prozent gewonnen. Die 14 marxistisch-leninistischen Putschisten sitzen mit zu „lebenslänglich“ gewandelten Todesurteilen im Gefängnis.

Zehn Jahre nachdem die „mächtigste Nation der Welt der schwächsten zeigte, daß sie sie besiegen konnte“, wie es der Demokrat George McGovern charakterisierte, erschien in Grenada ein erstes Buch über die Invasion („Big Sky little Bullets“). Aber die Leiche des immer noch populären Revolutionärs Maurice Bishop ist bis heute nicht aufgetaucht.

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