piwik no script img

■ Wo bleibt auf der Teststrecke der journalistische Anspruch?Mit der Schrotflinte zum Autotest

Paris/Rom/Madrid (taz) – Des Autotesters Leben ist schwer. Kaum hat er den ersten Begrüßungscocktail zu sich genommen, schon ist der ganze Mann (denn nur Männer gehören dieser journalistischen Gilde an) gefordert: Erst geht es mit der Schrotflinte auf Tontaubenjagd; dann gilt es, per Langbogen eine bunte Zielscheibe mit Pfeilen zu spicken; schließlich erfordert es das vertraute Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden, sich den einen oder anderen Champagner der beste Sorte hinter die Binde zu kippen.

„Rund 120 neue Autos muß ich mir in jedem Jahr anschauen“, freut und beschwert sich einer der Kollegen, mit denen ich, vom Flughafen Charles de Gaulle zum Hotel, im Taxi sitze. Er freut sich, weil es sein Beruf ist, „Präsentationen“ der Autohersteler zu besuchen und anschließend darüber zu schreiben. Und er beschwert sich, weil sich einhundertundzwanzigmal pro Jahr die gleiche Prozedur vollzieht: Auf seinen Schreibtisch flattert eine Einladungskarte, die ihn nach Paris oder Madrid, nach Rom oder Barcelona bittet. Denn dort, in den Metropolen mit Charme und Flair, stellen alle Autohersteller ihre neuen Modelle am liebsten vor. Denn dort, wo es warm und angenehm ist, sind auch die Journalisten in bester Stimmung. Um japanische oder europäische Autos probezufahren – und um anschließend angenehme Artikel darüber zu schreiben.

Die Zeremonie läuft stets ähnlich ab wie hier in Paris: Die netten Hostessen in ihren roten Kleidern, auf denen das Logo des Autoherstellers prangt, empfangen uns am Flughafen, geleiten uns zum Großraumtaxi und eskortieren uns zu jenem kleinen Schlößchen vor den Toren der Stadt, das für zwei Tage als unser Präsentationshotel angemietet ist. Zur Begrüßung gibt es dort den Champagner der guten Sorte; wahlweise auch einen Martini oder einen Cognac. Dann geleiten uns die netten Damen aufs Zimmer, wobei sie vorsichtig genug sind, trotz aller Verbindlichkeit unverbindlich zu bleiben.

Als Autojournalist verhalte ich mich so, wie es unserer Zunft angemessen ist: mache mich frisch, nehme einen kühlen Drink an der wohlgefüllten Minibar des Zimmers zu mir und begebe mich dann an die Hotelbar. Die wird von den erfahrenen Kollegen ohnehin bevorzugt, wie ich schnell erfahre, denn dort trifft sich der kritische Journalist gern mit seinem Kumpel aus der PR-Abteilung des Autoherstellers oder mit dem „Vertriebschef Deutschland“. Mit dem läßt es sich vorzüglich flachsen über die vielen Präsentationen, die man gemeinsam durchlebt hat, er hat ein stets offenes Ohr für die „diesmal nicht ganz so schöne Lage des Hotels“ oder das vielleicht doch „etwas zu kleine Zimmer“. Denn schließlich ist der Journalist schon lange per du mit dem gesamten Führungsstab des Autoherstellers – oder er wird es sehr schnell.

„Wenn Sie Tontauben schießen möchten“, lächelt mich die nette Hosteß an, „können Sie das im Garten des Hotels tun.“ Dort stehen auch bereits meine Kollegen Autotester und feuern unter der südlich brennenden Sonne drauflos, was das Zeug hält. Wem danach nicht zumute ist, der kann zwar noch immer nicht mit spitzer Feder die Schwachpunkte des neuen Modells XY aufdecken, aber immerhin spitze Pfeile Richtung Zielscheibe schicken. Denn auch das Bogenschießen kommt beim Autotesten nicht zu kurz. Und für den, der's noch sportlicher liebt, steht das unvermeidliche Tischfußballspiel bereit. Auf diesem Felde, so bemerke ich, werden die erbittertsten Auseinandersetzungen zwischen Autoherstellern und Autojournalisten ausgetragen.

Dann allerdings kommt die harte Arbeit. Sie nimmt ihren Auftakt im „kleinen Teezimmer“ des Landschlößchens. Einen Café au lait, vielleicht ein paar Madeleines dazu oder doch eher noch ein Gläschen Champagner? Und nebenher: Der PR-Chef der Automarke erzählt fünf Minuten lang ein wenig über Facts & Figures. Zuhören muß keiner, denn schließlich gibt es gleich anschließend, auf dem Weg in den „großen Salon“, die prallgefüllten Taschen mit den „Infomaterialien“. Darin steht schon fein säuberlich aufgereiht alles über Drehzahl und Drehmoment, über Torsion und Traktion, was die Journalisten wissen und dann auch schreiben müssen.

Auch das muß sich niemand sofort anschauen; denn zuerst gilt es, bei einem weiteren Gläschen Champagner eine kritisch-bewundernde Runde um die beiden Karossen zu drehen, die im Salon aufgeprotzt sind. Nachdem jeder Pressevertreter so seiner Pflicht und seinem Ehrenkodex Genüge getan hat, kann er sich ruhigen Gewissens dem danebenstehenden kalten Buffet widmen.

Eigentlich stünden jetzt noch die Entwicklungsingenieure den Motorjournalisten für bohrende, kritische, tiefgehende Fragen im Einzelgespräch zur Verfügung. Doch dazu müßte man hier und heute Englisch sprechen können und wollen. Und wer kann und will das schon, wenn man die Infos ohnehin bereits eingesackt hat, die Luft heiß und der Champagner kalt ist? Nach solch kräftezehrender Arbeit freut man sich dann doch über die sechs Gänge des Dinners, bei dem Carlos, der Zauberer, ein Pianist und der Plausch mit dem Kumpel vom Autowerk für Unterhaltung sorgen.

Der nächste Morgen bietet endlich Gelegenheit, den wahren Manne im Motorjournalisten zu zelebrieren. Im Zweierpack werden wir Autotester in den neuen Limousinen auf das Umland unseres Präsentationshotels losgelassen. Wir dürfen, ausgestattet mit reichlich Kartenmaterial, ein bißchen Rallye spielen. Wer mit Karten und Zeichen nicht zurechtkommt, für den prangt allerdings an jeder Abfahrt, Ausfahrt und Kreuzung ein Pfeil in Leuchtfarbe, der selbst bei Neumond jedem kurzsichtigen Motorjournalisten den richtigen Weg weisen würde. Nachdem ich mit meinem Beifahrer solcherart zwei Stunden über Landstraßen und Autobahnen gerast bin, empfängt uns am Ziel ein Festzelt auf dem Testgelände eines Reifenherstellers. Nach dem Genuß delikater Süßigkeiten darf dann jeder von uns noch eines der Fahrzeuge für zwei, drei Runden im „harten Off- road-Einsatz“ um den Circuit treiben, bevor uns die noch immer rotbetuchten Hostessen wieder ins Großraumtaxi geleiten – und uns mit diesem zur nächsten Gourmet- Station befördern.

Diese präsentiert sich als kleines Wasserschloß, in dessen Innenhof wir noch den einen oder anderen Champagner schlürfen dürfen. Schließlich naht der Abflugtermin und damit das Ende meines zweitägigen harten Autotests. Per Taxi zum Flughafen, per Flieger nach Deutschland, am nächsten Tag in die Redaktion. Dort komme ich dann meinem Handwerk nach: aus harten Fakten den informativen Artikel über das neue Modell XY zu verfassen. So sachlich, ordentlich und objektiv, wie meine Leser das von einem Journalisten verlangen dürfen. Reinhard Mohr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen