: Textallergiker in der Theaterfestung
Die ersten drei Premieren zu Beginn der Ära Baumbauer am Hamburger Schauspielhaus: Sprechblasenmetastasen und viel Collagiertes in Stücken von Rainald Goetz, Elfriede Jelinek und Shakespeare ■ Von Peter Münder
Mit dem mutigen Bekenntnis „Theater muß anstrengend sein“, hatte der aus Basel nach Hamburg berufene Intendant Frank Baumbauer vor dem Saisonstart sich deutlich von seinem Vorgänger Michael Bogdanov distanziert. Der hatte das Schauspielhaus-Publikum zuletzt mit einer müden „Romeo und Julia“-Inszenierung sowie mit Musicals und Filmvorführungen zu unterhalten versucht.
Wir durften also gespannt sein auf die sperrigen Stücke von Rainald Goetz und Elfriede Jelinek. Weitere, sicher auch anstrengende Dramen von Hans Henny Jahnn, Tankred Dorst, Herbert Achternbusch und dem „Fäkaliendramatiker“ Werner Schwab sollen folgen.
Mit der geschickten Marketing- Strategie der Totalverknappung, dem Verkauf von nur 380 Tickets für das größte deutsche Theater mit 1.400 Plätzen, sorgten der 30jährige Regisseur Anselm Weber und das Baumbauer-Team schon vor der Premiere der „Kritik in Festung“ für eine rasante Nachfrage.
Hinter der Bühne hocken die handverlesenen Zuschauer, blicken auf eine aus Tannebäumen, ausgestopftem Wolf und Doppelbett zusammengebaute Kulisse (Bühnenbild: Raimund Bauer), während der riesige Zuschauerraum mit den goldglänzenden Putten versperrt bleibt. Erst am Schluß, wenn sich die drei Söhne und die Tochter im Rotkäppchen- Look (Sabine Wegner bleibt meist eindimensional verbiestert) vom despotischen Alten (Christoph Engel), einem abgehalfterten Theatermann, befreit haben, wird der Blick auf die Putten und die leeren Ränge der hochsubventionierten Anstalt freigegeben. Dann tobt das Trio Infernale (Peter Jecklin, Josef Ostendorf, Michael Wittenborn) zu fetzigen Popmelodein ausgelassen durch die leeren Ränge.
Da werden rhetorische Versatzstücke mit kurzen sketchartigen Auftritten verknüpft. Da wälzen sich die Brüder im Bett, und reimen munter drauflos: „Knips, knaps, Knochen, wir beten alle Wochen, wenn dann endlich Sonntag ist, ham wir nichts zu kochen“. Aus einer Kindertrompete wird eine lange Feile gezaubert, man schlitzt ein bißchen die Haut auf und gibt sich dann als „Brötchenmann“ zu erkennen – Komik in Festung...
Der muntere Schlagabtausch von Stichworten, Slogans und kindischen Phrasen („Kätchapp oder Majo?“ „Wie ist die Stimmung hier, sollen wir noch weitermachen?“) führt immerhin zu einigen amüsanten Effekten. An einer Stelle wird sogar eine „Hochakute Dialogallergie und absolute Handlungslegasthenie“ diagnostiziert. Wer wollte da widersprechen? Wären da nicht einige faszinierende optische Effekte, wie der Alte, der am riesigen Schreibtisch, fast begraben unter Computerpapier mit dem Aufdruck „Theoretisches Theater“, hockt, dieser Auftakt wäre zum Total-Fiasko geworden. Die Buhrufer waren auch so nicht zu überhören, doch offensichtlich fanden viele Zuschauer auch Gefallen an dieser eigentümlichen Kurzweil und boten mit lautstarkem Beifall Paroli.
Rainald Goetz hatte ja schon im monomanischen „Krieg“ aus den Worthülsen von TV-Entertainern und dem Geschwätz „wohlriechender mündiger Bürger“ wieder nur neues banales Wortgeklingel montiert.
An diesem simplen Verfahren hat sich auch hier nichts geändert. Einer unverbindlichen Mimesis, die keine neuen Erkenntnisse offenbart, kann der Klagenfurter Stirnschlitzer außer einer wabernden Sprechblasenmetastase auch in „Kritik in Festung“ wieder keine eigene kritische Dimension entgegensetzen. Trotz Anselm Webers kurioser Regieeinfälle verbleibt als nachhaltigster Eindruck nur das monotone Rauschen redundanter Endlosschleifen.
Elfriede Jelinek, Österreichs „Madame terrible“ vom Dienst, sorgte dann für die zweite irritierende Premierenüberraschung. – Ihr „Wolken. Heim.“ von 1988, im Grunde eine Hörfunk-Collage, hatte Jossi Wieler im Malersaal, der kleinen Experimentierbühne, mit den sechs glänzend aufgelegten Schauspielerinnen Marlene Dieckhoff, Ilse Ritter, Marion Breckwoldt, Gundi Ellert, Ulrike Grote und Anne Weber inszeniert.
Diese unseligen, nach Blut und Boden schmeckenden, vor Nationalismus und Sendungsbewußtsein triefenden Texte von Fichte, Hölderlin, Hegel, Holger Meins und Heidegger werden hier nur auf ihre komischen Effekte hin abgeklopft.
„Bei uns sind wir daheim“, säuseln diese im strengen Kostüm, mit Dutt und klobigen Schuhen als unbelehrbare erzteutsche Generalswitwen auftretenden Karikaturen und streichen durch einen düsteren Bunker, in dem sie Zigarren, Messer und andere Relikte ihrer heldenhaften Nazi-Generäle beschnuppern und befingern.
Nach etlichen Liegestützen und dem Absingen völkischer Lieder berauschen sie sich schließlich an Einsichten wie: „Der Deutschen gedenken die Deutschen gewöhnlich zuletzt, entweder aus Bescheidenheit oder weil man das Beste für das Ende aufspart.“
Da sich Jelinek nicht die Mühe macht, dieser Zitatencollage einen eigenen Text entgegenzustellen oder wenigstens den historischen Kontext dieser Passagen zu berücksichtigen, müßte die ironische Demaskierung dieser teutschnationalen Gesinnungstümelei den Zuschauer eigentlich bald einschläfern. Doch es gelingt diesem dynamischen, aufeinander eingespielten Schauspielerinnen-Sextett mit perfektem Timing und grotesk-komischen Einlagen der beinharten Vorlage etliche unterhaltsame Reize abzugewinnen.
Zuletzt trumpfte dann Leander Haußmann, der Shooting Star unter den Nachwuchs-Regisseuren, demnächst aber Intendant in Bochum, auf. Mit einem Riesenaufwand, einem monumentalen Bühnenbild (von Helmut Stürmer) samt effektvoll rotierender Drehbühne hob er Shakespeares Antikriegsstück „Troilus und Cressida“ auf die Bretter.
Der verspielte Animator des deutschen Freizeittheaters hatte zwar angekündigt, das Stück biete ihm genügend Anlaß, komische Effekte herauszuspielen. – Wenn dann Agamemnons Liegestuhl zusammenkracht, Troilus und Cressida in spastische Zuckungen verfallen, der schwerhörige Nestor kein Wort richtig versteht und der komische Kuppler Pandarus (Wolfgang Engel) sich wie ein Pausenclown aufführt, fragt man sich allerdings: Warum eigentlich wollte Haußmann dieses Stück inszenieren? Alles verkalauert, versandet im unverbindlichen Amüsement. Selbst die (jedenfalls bei Shakespeare) anrührende Liebesszene kann Haußmann noch zum Klamauk mit Gerangel und Bettuch-Gezerre umpolen, so daß Anne Bennent (Cressida) und David Bunner (Troilus) als seltsam blasse Statisten in diesem Potpourri herumgeistern.
Baumbauers Devise „Theater muß anstrengend sein“ hat Haußmann offenbar als Aufforderung zur schweißtreibenden Körperertüchtigung der Schauspieler mißverstanden. Bei all dem Waffengeklirr, Gerangel und Gerenne hat der Regisseur offenbar keine Muße mehr gefunden, konzentrierte Dialoge herauszuarbeiten oder die unterschiedlichen Standpunkte der streitenden Parteien zu verdeutlichen.
Nach diesen drei Premieren läßt sich vorerst nur eine verstörende Diskrepanz von hohem Anspruch und enttäuschenden Inszenierungen feststellen: Wir sehen tatsächlich wieder „den Vorhang zu und alle Fragen offen“.
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