: Aus für Frieden in Belfast
Nordirische Initiative von London und Dublin abgelehnt ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
23 Tote und fast 80 Verletzte in acht Tagen – diese Bilanz ist selbst für Nordirland ungewöhnlich hoch: Seit 1976 sind in der britischen Krisenprovinz in keinem Monat so viele Menschen getötet worden wie im Oktober dieses Jahres. Unterdessen beklagen britische und irische Regierungspolitiker händeringend das Blutvergießen, während sie gleichzeitig einem vagen Hoffnungsschimmer auf eine politische Lösung des Konflikts am Freitag ein jähes Ende bereiteten. Da erklärten der britische Premierminister John Major und sein irischer Amtskollege Albert Reynolds am Rande des EG-Sondergipfels in Brüssel die Gespräche zwischen dem Sozialdemokraten John Hume und Sinn-Fein-Präsidenten Gerry Adams als gescheitert. Eine Friedensinitiative könne nur von den beiden Regierungschefs ausgehen, erklärten Major und Reynolds in Brüssel.
Die öffentliche Brüskierung ist ein schwerer Rückschlag für Hume und Adams. Beide waren mit den Gesprächen ein erhebliches politisches Risiko eingegangen. Hume wurde vorgeworfen, daß er praktisch die Gewalt der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) legitimiere, indem er mit Adams, dem Präsidenten des politischen Flügels der IRA, verhandle. Die protestantischen Paramilitärs witterten bereits eine „pannationalistische Front“ und erklärten Mitglieder der „Sozialdemokratischen und Arbeiterpartei“ (SDLP) als „legitime Angriffsziele“. Adams wurde dagegen von Teilen der IRA und „Sinn Feins“ verdächtigt, Prinzipien ohne Gegenleistungen aufzugeben.
Spekulationen über Gesprächsergebnisse
Was war bei den Gesprächen zwischen Hume und Adams, die im April begonnen hatten und im September abgeschlossen wurden, herausgekommen? Man ist auf Spekulationen und auf Informationen aus dem Umfeld der beiden Politiker angewiesen, da der Friedensplan bisher nur den Regierungen in Dublin und London zugänglich gemacht worden ist.
Durchgesickert ist, daß der Plan einen runden Tisch vorsieht, an dem sich alle nordirischen Parteien und die beiden Regierungen versammeln sollen. Die britische Regierung soll sich verpflichten, die Entscheidungen dieser Runde als bindend anzuerkennen. Im Gegenzug sagt „Sinn Fein“ im Namen des IRA-Armeerates zu, daß jegliche gewaltsamen Aktionen eingestellt werden, sobald die britische Regierung das Recht des gesamten irischen Volkes auf Selbstbestimmung anerkennt. Danach nimmt auch Sinn Fein an den Diskussionen teil.
Um die Unionisten (die für die Union Nordirlands mit Großbritannien eintreten) für den Plan zu gewinnen, schränkten Hume und Adams ein, daß Entscheidungen der Diskussionsrunde nur mit unionistischer Zustimmung umgesetzt werden können. Adams erklärte, daß sich dieses Veto jedoch lediglich auf die Ausgestaltung eines zukünftigen vereinten Irland beziehe.
Major und Reynolds gingen am Freitag jedoch wesentlich weiter. Bisher hatten beide Regierungen immer betont, daß eine Veränderung der konstitutionellen Stellung Nordirlands als Teil des Vereinten Königreichs nur durch eine nordirische Mehrheitsentscheidung zustande kommen könne. Am Freitag hieß es jedoch, daß dazu eine unionistische Mehrheit nötig sei. Mit anderen Worten: Selbst wenn die Nationalisten jemals die Mehrheit in Nordirland bilden sollten – was langfristig wahrscheinlich ist –, zählt ihre Entscheidung weniger als das unionistische Veto. Mit dieser Erklärung hat John Major offenbar die letzte Bedingung erfüllt, die ihm die unionistischen Unterhaus-Abgeordneten als Gegenleistung für ihre Unterstützung beim Mißtrauensvotum im vergangenen Sommer gestellt haben. Eine weitere Bedingung war die Verbannung des Sinn-Fein-Präsidenten. Auch sie wurde inzwischen erfüllt: Adams darf seit zwei Wochen britischen Boden nicht mehr betreten.
Der nationalistische und hauptsächlich katholische Bevölkerungsteil Nordirlands ist zunehmend isoliert. Seine Forderungen werden nicht nur in London, sondern zunehmend auch in Dublin politischem Kalkül geopfert. Protestantische Paramilitärs reagieren auf jede Initiative, die den Status quo zu gefährden scheint, mit willkürlicher Gewalt gegen Katholiken.
IRA in katholischen Ghettos fest verankert
Insofern ist es nicht verwunderlich, daß die IRA in den katholischen Ghettos nach wie vor fest verankert ist. Schließlich ist die Organisation 1969 vor allem zum Schutz vor den Pogromen protestantischer Gruppen wiedergegründet worden. Die große Trauergemeinde bei der Beerdigung des IRA-Mannes Tom Begley, dessen Bombe vor zehn Tagen auf der protestantischen Shankill Road in Belfast zehn Menschen das Leben kostete, ist ein Indiz dafür.
Begley hatte versucht, das Hauptquartier der „Ulster Defence Association“ (UDA), die für die meisten Morde an Katholiken verantwortlich ist, in die Luft zu sprengen. Die IRA hat angedeutet, daß viele Ghetto-BewohnerInnen aufgrund der intensivierten protestantischen Mordkampagne in dieser Richtung Druck auf die IRA ausgeübt haben. Zwar hat der Anschlag Adams' Verhandlungsposition geschadet, doch steht fest, daß es die IRA in Zukunft erneut versuchen wird.
Kommentar Seite 10
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