Wand und Boden
: Die glamouröse Oberfläche des Pop

■ Wie Geschenkpapier, unspektakulär oder auch erstaunlich weltabgewandt: Kunst in Berlin jetzt – Jutta Koether, Ateliergemeinschaft Gerichtstraße 12-13, Mariusz Kruk und Enrique Bostelmann

„Unter“, die Ausstellung von Jutta Koether bei Bruno Brunnet Fine Arts bezieht ihren Titel von einem Tafelbild „Malerei 6.0“, auf dem die Worte „Die Freiheit über unter den Wolken“ zu lesen sind. Die bonbonbunten Ölfarben sind lasurdünn und leichtfertig auf die Leinwand aufgetragen. Ähnlich die Bilder „Malerei 6.1.“ und „je suis cyclique (Romy Schneider)“. Derart hebt Koether vor allem ihr Interesse an den Ausdrucksweisen der Malerei auf die Leinwand. Die expressive Malgeste wird zu einer Art durchscheinendem Chiffongewebe geläutert, die glamouröse Oberfläche des Pop wird in den Kindergartenfarben bedeutet, aber nicht bedeutsam. „Um so interessanter, den Modernismus zu recyclen“ (J. Koether): Wenn sich Jackson Pollocks athletisches Action-painting zu Tapetenmustern erstreckt, dann erscheint Jutta Koethers reflektierte Malerei wie Geschenkpapier. Bei „Männliche Schönheit in Bedrängnis“ allerdings beeindruckt tiefstes Waldmeistergrün und die Tatsache, wie beim silbernen Graffito aus der Sprühdose das eindeutige, männlich-entschlossene tag zur weiblichen Endlosschleife wird. Und selbstverständlich läßt sich auch mit einer Geschenkschleife die fertig verpackte Semantik des Rock 'n' Roll wieder aufschnüren. Jutta Koether ist eine Girl-group. Viele Augen auf den Bildern bezeugen es.

Bis 27. November, Wilmersdorfer Str. 60/61, Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-15 Uhr

Das anwesende und das abwesende Meer sind das Thema der „Images of Alaska“ 1993 von Joachim H. Lünenschloß. Neun Fotoquadrate, zu einem gefügt, zeigen herausvergrößerte Details aus Kleinbildfotografien. Meereswogen fern, nah und in Großaufnahme; Schlickformen nah, fern und mit einem Landschaftsausschnitt, auf dem eine Hütte und ein Boot zu erkennen sind. Der schräge Horizont verschwindet, wenn auch die Hütte und das Boot näherrücken. Auf zwei Großfotos im Format 180 x 137cm schließlich noch einmal das Meer und seine Abwesenheitsform, der Schlick. Nichts ist daran spektakulär, außer das konzeptuelle Moment einer entschiedenen Meditation von Form, Grau und Licht, in Nässe reflektiert.

Günter Ries aus der Ateliergemeinschaft, die in der Galerie Lebendiges Museum in Wedding ausstellt, montierte zwei rostzerfressene Eisenplatten vor Holz, das er mit „Golden American“ Zigarrettenpapier überzogen hat. Die ausgefranste Umrißlinie und das mal massive, mal ausgedünnte zerlöcherte Eisenblech erscheint kostbar lichtdurchwirkt. Ikonengoldgrund, vor dem sich das Eisen in zufällig entstandene, strenge Kreis- und Ausrufezeichen öffnet.

Beate Honsell-Weiss, die in Toulouse den funktionalen Raum einer Metro-Station um einen erfundenen Raum von drei weithin sichtbaren Zeichen ergänzt hat, stellt neun kleine Plexiglashäuschen zur Schau. Blechstreifen, Draht und winzige Plastikfigürchen, Gold, Farbe und Rost sind die weiteren Materialien ihrer Raumerfindung. Die Figurenkonstellationen erfinden dazu sehr unterschiedliche Situationen: Gymnastisch beschäftigten Frauen stehen im fünften Haus beispielsweise schaffende Männer, Maler und Bildhauer gegenüber. Fragile Szenen, auf langen Eisenstäben beweglich inszeniert.

Bis 12. November, Lindowerstr. 18, Di-Fr, 15-19 Uhr

Ein Spot bestrahlt die leichten Pumps, die vor einem großen Spiegel mit üppigstem Goldrahmen aufgebaut sind. Weiter hinten im Raum ist ein Schrank mit seiner Vorderfront gegen die Wand gerückt worden. Die Rückwand ist offen und somit sein Inhalt sichtbar: Drei schwarze Herrenmäntel und eine blaue Kinderjacke. Mariusz Kruk, documenta- IX-Teilnehmer, bespielt mit „Objekten & Plastiken“ den Ausstellungsraum im vierten Stock der Kunst-Werke. Vom Schrank zum Sarg zum Tisch, auf dem eine brennende Kerze im Halter steht. Zwei Stühle sind herangerückt, zwei aufgeschlagene Bücher offenbaren einen geheimnisvollen Inhalt, zumindest für den Betrachter, der des Hebräischen nicht mächtig ist. Ein Kreis aus Kaffeegeschirr umgibt das Ensemble. Schließlich ein großer und ein kleiner Holzstuhl. Zwei Puppen und ein Teddybär sind zusammengeschnürt an den Kinderstuhl angebunden. Tritt man zum Spiegel, sieht man notwendigerweise sich selbst. Das wiereum verändert den Blick auf Sarg, Schrank, Tisch und Kinderspiel gewaltig. Dennoch: Identifikation ist nicht der Preis, den man zu zahlen hat, um sich den Objekten zu nähern. Zu vereinzelt tauchen sie im dunklen weiten Raum in ihren eigenen Lichtinseln auf, um die Narration und damit die Identifikation ungebrochen zu belassen. „In dreams begins responsibility“: An Delmore Schwartz' alptraumhaften Kinobesuch, bei dem er seine eigenen Eltern bei ihrer Verlobung in Brooklyn beobachtet, durch den Kinoapparat Lichtjahre entfernt, hilflos im schwarzen Raum des Kinosaals gefangen, erinnert das Perspektiv-Modell dieser Installation.

Bis 28. November, Auguststraße 69, Di-So, 14-18 Uhr; Zwei weitere Installationen bei Galerie + Edition Gutsch, Knesebeckstraße 29, Di-Fr, 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr

Nach zuletzt vielgesehener Fotografie aus Mexiko, vielen Arbeiten mit Fotografie von mexikanischen Künstlern, erstaunt die weltabgewandte Sicht von Enrique Bostelmann in der ifa-Galerie, Friedrichstraße: Fotografie, Mexiko, betitelt. Seine Arbeiten sind zu Gruppen versammelt, die letzte zeigt nicht „Das neue Mexiko“, wie im Katalog vermerkt, sondern Orte, Architektur und Situationen in New Mexico/USA. Es sind relativ großformatige Blätter, schwarz-weiß-braune Stilleben. „Zehn Hosen“ (1991) hängen im Vordergrund einer John-Ford-reifen-Western- Landschaft. Schon in den 50er und 60er Jahren erscheint Bostelmann, 1939 geboren, als Fotoreporter mit einer surrealen, metaphorischen und malerisch-symbolhaften Sprache. Eindrücklich vorgeführt in „Schatten der Arkade“ (1966), wo das Leben stillsteht, zwischen hartem Licht und hartem Schlagschatten, noch gesteigert durch die sich daraus ergebende strenge Grafik des Bildes. Diese Bildträume waren (und sind noch immer) beliebt. Sie lassen sich auch in Farbe von Details von buntbemalten Hauseingängen, Fenstern, Möbelgruppen und Zäunen gewinnen. „Images Of A Mexican Master“ hieß eine Einzelausstellung, die Bostelmann in Santa Fe, New Mexico, USA hatte. Damit ist seine Fotografie richtig kategorisiert, in ihren Stärken wie in ihren Schwächen.

Bis 5. Dezember, Friedrichstraße 103, Di-Fr, 11-13.30 und 14-18 Uhr, Sa, So und Feiertage 11-13.30 und 14-17 Uhr Brigitte Werneburg