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Stilleben im Modder

■ Was tun eine Flasche Sekt, eine Stola, ein Herbstblatt und ein Luftballon auf dem Fleet-Grund?   Von Kaija Kutter

Was tut frau nicht alles für die taz. Im Dreck wühlen, zum Beispiel. Klar, bei Licht betrachtet hat alles seinen ästhetischen Reiz. Selbst Fleet-Schlamm, Generationen von Modder-Partikeln, die alle Jahre wieder zum Vorschein kommen, wenn die Schleusen in der Innenstadt geöffnet und die künstlichen Gewässerarme zwischen Alster und Elbe entleert werden, um den Boden von Unrat und alten Fahrrädern zu befreien.

Der Anlaß für die gestrige Entwässerung der Fleete war recht banal. Weil zwei Pumpen an der Michaelis-Schleuse der Firma ABS nach 20 Jahren dem Rostfraß zum Opfer gefallen waren, mußten sie ersetzt werden. Ungewöhnlich für die Handwerker der Pumpenfirma: An diesem grauen Dienstag interessierten sich Journalisten für ihr Tagewerk, hielten ihnen Mikrophone unter die Nase, um brummelige Handwerker O-Töne zu bekommen. Die unverhoffte Ansicht schlammverkrusteter Brückenpfeiler und anderer interessanter Innereien des Hamburger Untergrunds ist halt schon eine Story, so kraß ist der Gegensatz zu den glasverkleideten Neubauten der Oberwelt - Steigenberger Hotel, der Bürobau von Kühne & Nagel, Wölbernbank und wie die Architektur-Neulinge alle heißen, an deren Anblick der sporadische City-Besucher noch längst nicht gewöhnt ist.

Ungewohnt auch der Blick auf den S-Bahn-Tunnel, der die Fleetoberfläche diagonal durchkreuzt. Nur für ihn, so erzählen die Handwerker, würden die Pumpen überhaupt benötigt. Damit das Wasser schnell abgesaugt werden kann, falls es im Tunnel leckt. Das Öffnen der Schleusen allein reicht nicht, bleiben doch immer noch tiefe Gräben und Pfützen. Auch an diesem Vormittag müssen Arbeiter der Baubehörde mit einem Schlauch nachhelfen. „Ich komm in die Zeitung“, freut sich ein jüngerer Handwerker, der vom vier Meter tieferen Grund aus die Abpump-Arie beaufsichtigt. Doch Vorsicht. Interesse erzeugt Gegeninteresse. Und schon wird der neugierigen Reporterin die schulterhohe Regenhose mit angenähten Gummistiefeln zum Selberrunterkraxeln angeboten.

Auf den Schleusengrund führt nur eine schmale Leiter; die mit Lehm und Muscheln - jede Menge Miesmuscheln da unten - verklebten Sprossen anzufassen ist wirklich eklig. Unten angekommen ist das Wasser nur noch fußtief. Keine Fahrräder, keine Regenschirme, wie hundert Meter nördlich, nur Sektflaschen dümpeln herum. Am Rand liegt eine gerippte Frauen-Stola - aktuelle Herbstmode - im halbtrockenen Matsch. Daneben drei Luftballons, rosa und silbrig-grün, der dritte schon verschrumpelt, wie von einer Eröffnungsfeier, die fünf Tage her ist. Hat sich vielleicht oben auf der Brücke ein Paar gestritten, sie die Moet & Chandon-Flasche ins Wasser geschmissen und dann er das wollene Kleidungsstück?

Mehr Geschichten hat der Schlick an dieser Stelle nicht zu erzählen. Außerhalb des Schleusenbereichs blubbern hier und da kleine Luftblasen empor. Es gebe viele Fische in den Fleeten, erzählt eine nichtauskunftsberechtigte Baubehördenmitarbeiterin. Wenn das Wasser abgelassen wird, hätten sie genug Zeit wegzuschwimmen oder sich im Schlamm zu vergraben.

Beim Aufstieg fallen klitzekleine Moosfarne, die an der Schleusenwand wachsen, ins Auge. Grün statt schlammgrau. Der Fleet lebt. Und Gottseidank haben sich auch die Menschen, die hier arbeiten, eine Infrastruktur geschaffen. Ohne den Wärter zu fragen, bieten die Handwerker der verdreckten Journalistin an, im Badezimmer der Schleuse die Hände zu waschen.

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