: „Schönheit, Qualität, Komfort“
■ A.Heller will den ChinesInnen chinesische Kultur schmackhaft machen
taz: Was reizt Sie daran, ausgerechnet chinesische Traditionen wiederzubeleben?
André Heller: Es geht mir nicht um ein spezielles Land. Zu Weihnachten machen wir Projekte in Afrika über das Verschwinden von Nuancen in der afrikanischen Kultur. Vor zwei Jahren haben wir ein Riesenprojekt in Indien gemacht. Wir leben in einem Generalzustand, den ich immer die McDonaldisierung der Welt nenne. Alles wird zu einem Einheitsbrei verrührt, und wir haben einen großen Verlust der Zwischentöne.
China ist eine der beindruckendsten Kulturnationen auf diesem Planeten. Durch unheilvolle politische Konstellationen ist es dort zu einer Zerstörung des Selbstbewußtseins von den Hauptträgern von Traditionen gekommen, die von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergegeben wurden. Und es war mir ziemlich früh klar, daß der einzige Weg, da auf die Bremse zu steigen, ist, daß man finanziert. Das war keine Frage des gescheiten Daherredens. Es ging darum, mit zwei Millionen Dollar hinzufahren.
Das West-Geld überzeugt chinesische Artisten davon, zur Not auch ihre eigene Tradition wiederzubeleben?
Nicht das Geld, der Erfolg. Nachdem bei „Begnadete Körper“ die ganze Welt gejubelt hat und herrliche Kritiken gekommen sind, haben die gedacht, daß das nicht so schlecht sein kann.
Also doch die Anerkennung aus dem Westen.
Das war tragischerweise notwendig. Es ist ja häufig so, daß die Traditionen im eigenen Land nicht geachtet werden; daß ein bestimmter Tanz aus Ghana, wenn er in Paris gezeigt wird, plötzlich entdeckt und im Echo in Ghana wieder gepflegt wird.
Ich versuche, überhaupt nichts zu verwestlichen. Die einzige Konzession an den westlichen Geschmack, die es in meinem Cirkus gibt, ist, daß es kürzer ist. Es ist sinnlos, wenn alle schon schlafen oder die Kinder schon seit einer Stunde Popcorn kotzen.
Aber es ist nicht Ihre besondere Liebe zur chinesischen Kultur, sondern die besondere Liebe zur noch nicht verwestlichten Kultur?
Bei uns verschwindet ja auch jeden Tag eine Nuance. Wir leben in einer Zeit der Vergröberung, der Rücksichtslosigkeit. Daß Kultur ein Grundnahrungsmittel und kein Luxus ist, hat sich noch nicht herumgesprochen.
Sie wollen nicht nur den Chinesen chinesische, sondern überhaupt Kultur wieder schmackhaft machen?
Ich will keinen pathetischen Unsinn von mir geben und erzählen, welche Wirkung solche Abende haben. Ich kann erzählen, welche Wirkung sie auf mich haben. Und auf mich hat es eine gute Wirkung, mich mit dem Fremden zu konfrontieren. Das ist ein Abend, der uns sehr viel über etwas ganz Fremdes sagt. Und nicht über irgendwas Fremdes, sondern über das größte Volk der Erde.
Und ich denke, daß man mit einem Respekt und einer Zuneigung zu diesen Menschen herausgeht. Der Cirkus ist deswegen für mich ein so viel sinnvolleres Vehikel als das Theater oder die Oper, weil ich alle erreiche: Kinder, Gastarbeiter, Greise, Intellektuelle, alle gleich. Und ich bleibe immer auf einem hohen Niveau. Wenn man etwas für viele macht, muß man gar nicht anspruchslos sein.
Und das ist nicht „Achtung Kultur“ und Krawattenzwang. Deswegen habe ich auch diesen herrlichen Raum geschaffen, damit die Leute in einer Umgebung sitzen, die ihnen das Gefühl vermittelt, das ist Schönheit, Qualität, Komfort, das ist Ernstnahme der Artisten-Kunst. Int.: ase
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