2000 Mark im Schornstein

■ Betriebe streichen oder reduzieren das Weihnachtsgeld / Weihnachtsbeihilfe für Habenichtse   Von Paula Roosen

Eine nicht näher identifizierte Person betritt im Halbdunkel des langen Donnerstags die Sparkassenfiliale in der Wohlwillstraße. Mit fahrigen Bewegungen fingert sie einen unterschriebenen Vordruck zum Geldabheben aus der Manteltasche und schiebt ihn dem Kassierer hin. Der Daumen des Sakkoträgers zeigt abrupt nach unten. Der Dispo sei „haushoch überzogen“...

Nicht nur taz-LeserInnen haben solche Alpträume und lauern seit Wochen auf das Weihnachtsgeld, das die vielen Miesen auf den Konten wegschlucken soll. Doch in einigen Fällen wird die erhoffte Sonderzahlung ausbleiben. „Unser Chef-Duo hat uns Ende Oktober klargemacht, daß es keine Weihnachtsgratifikation geben wird“, schimpft Kathrin Sauer. Die Betriebswirtin und alleinerziehende Mutter ist seit zwei Jahren in einer kleinen Unternehmensberatung beschäftigt. Die Firma hat durch zahlreiche Aufträge aus dem Osten keine Umsatzprobleme, nur in der Kalkulation sei „der Wurm drin“. Nun könne sie 2000 Mark „in den Schornstein schreiben“.

Auch die Mitarbeiter von Architekturbüros, Transportunternehmen und kleinen Handwerksbetrieben haben die niederschmetternde Botschaft vernommen: „Diesmal keine Weihnachtszulage“ klingt wie „leider verloren“ und bedeutet für so manchen Traum das Aus. Kein neues Fahrrad, keinen Wintermantel. Nur die roten Zahlen bleiben stabil.

Große Firmen wie Philipps haben das Weihnachtsgeld reduziert. Bei Jungheinrich wurde das obligatorische Nikolausgeschenk für die Beschäftigten abgeschafft. Gisela Petterson von der IG Metall schließt nicht aus, daß „kleine Klitschen versuchen werden, gar nichts zu zahlen.“ Der Tarifvertrag sieht für die Metaller einen monetären Festtagsbraten in Höhe von 60 Prozent des Monatsgehalts vor. „Das nackte Tarifrecht ist jederzeit per Individualklage erstreitbar“, rät Gisela Petteron.

Weihnachtsgeld darf nicht willkürlich verteilt werden.

In guten Zeiten gibt es beim Weihnachtsgeld für die Metaller eine übertarifliche Zugabe von 20 Prozent obendrauf. Für den Fall, daß die Arbeitgeber die Beschäftigten in die Röhre gucken lassen möchten, kommt es auf die Qualität der Betriebsvereinbarung an, in der das übertarifliche Weihnachtsgeld festgeschrieben wurde. Ohne Einigung mit dem Betriebsrat wirkt das ursprüngliche Weihnachtsgeld fort, so die entsprechende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch läßt sich mitunter direkt aus dem individuellen Arbeitsvertrag ableiten. Im übrigen darf der Arbeitgeber nicht willkürlich verfahren und etwa - unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungssatz - dem einen Weihnachtsgeld zukommen lassen und dem anderen nicht.

In zahlreichen Unternehmen wird zu Weihnachten das Kriegsbeil ausgegraben, denn die Kleinen haben es den Großen nachgetan und übers Jahr bereits einige Vergünstigungen gestrichen: Etwa Zuschüsse zum Kantinenessen und Fahrgeld wie Daimler Benz oder Beihilfen zum Zahnersatz, die bei Blohm+Voss weggefallen sind.

In der Regel erhalten die Beschäftigten im Handel und in den Versicherungen zu Weihnachten 50 Prozent eines Monatsgehalts. Im Bereich Transport und Verkehr sind es nur 25 Prozent. Am sichersten ist die Weihnachtsgratifikation im Öffentlichen Dienst. Krankenschwestern, Müllwerker und Busfahrer, aber auch Hochschulangestellte und Strafvollzugsbedienstete bekommen ein volles 13. Monatsgehalt. Da heißt es achtgeben: Spätestens zum 1. Oktober muß der Arbeitsplatz im Öffentlichen Dienst angetreten sein, um in den anteiligen Genuß der Festtagszulage zu kommen. „Und nicht vor dem 31. März des folgenden Jahres kündigen, sonst muß alles zurückgezahlt werden“, so die Warnung eines klug gewordenen ÖTV-Sprechers. „Ist mir selbst mal passiert.“

Die „Weihnachtsbeihilfe“ für Sozialhilfeempfänger fällt dagegen äußerst knapp aus: 130 Mark für den sogenannten Haushaltsvorstand und 65 Mark für Kinder und andere Angehörige. Dieser Betrag ist seit 1976 konstant. Der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“ hat den Städten und Kommunen für 1993 eine leichte Erhöhung der Weihnachtsbeihilfe empfohlen. „Die haben wir bei Curilla gar nicht erst beantragt“, so ein Mitarbeiter des Landessozialamts, der den Finanzsenator offenbar für knauserig hält. „Es hätte die Leute ohnehin nicht reich gemacht.“ Bezieher niedriger Einkommen können ab dem 20. November bei den Sozialämtern eine einmalige Weihnachtsbeihilfe beantragen.

Vom Arbeitsamt gibt es nichts zu Weihnachten.

Beim Arbeitsamt fällt Weihnachten ins Wasser: Für Arbeitslose seien keine Zulagen vorgesehen, sagt Anja Eisenhuth von der Pressestelle der Hamburger Arbeitsverwaltung. „Wir bemühen uns, die alle vierzehn Tage fällige Arbeitslosenhilfe oder das Arbeitslosengeld vor den Festtagen etwas früher auszuzahlen.“

Die Weihnachtsteller werden in diesem Jahr allenthalben eher mit Datteln als mit Trüffeln gefüllt sein. Fernfahrer Fritz Stecklinger will sich dennoch überraschen lassen: „Im ersten Jahr habe ich zu Weihnachten von meinem Chef 300 Mark und einen formidablen Käsehobel bekommen. Im zweiten Jahr rückte er für jeden nur eine potthäßliche Schnapskaraffe 'raus.“ Stecklinger ärgerte sich darüber, daß er die Karaffe nicht weiterverschenken konnte. Die Firma hatte den Namen der Spedition eingravieren lassen. „Letztes Jahr gab's für jeden 'ne Uhr. Nun sind die Kollegen gespannt, was er sich diesmal einfallen läßt.“