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In Papas mythischem Paradies

Ein Prosit dem Nobelpreis: In Key West, dem südlichsten Zipfelchen Floridas, trinken noch immer Scharen von Touristen in „Sloppy Joe's“ und anderen Spelunken hauptsächlich auf das Wohl von Ernest Hemingway  ■ Von Peter Unfried

Es muß das Bild gewesen sein, das ihn mit dem Fisch zeigt. „Woisch was?“ – „Was?“ – „Der Hämingwee war a ganz scheens Arschloch.“

Nicht erfunden. Der junge Mann flüstert es. Der mit dem adidas-Rucksack, der Yashica und der Abbildung einer Seite aus Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ auf dem T-Shirt. Sie antwortet recht nüchtern: „Des hosch letztes Mol genau an der Stelle au gsagt.“ Und der wieder brummelnd: „So? Do siesch, daß i recht hab'.“

Dies alles und noch einiges mehr im Angesicht des erhabenen Tisches, an welchem der Nobelpreisträger Ernest Hemingway „seine schriftstellerisch produktivsten Jahre“ zubrachte, hier in Key West, dem südlichsten Zipfelchen Floridas. Das behauptet wenigstens ein gewisser Justin eher beiläufig. Später bestätigt es eine Kollegin übertrieben begeistert.

Sechs Dollar kostet die Führung durch jenes Haus, das Ernest 1931 vom Geld seiner damaligen Frau Pauline kaufte. Doch der gute Justin ist die sechs Dollar nicht wert. Er wirkt matt, uninteressiert, als habe er die besten Jahre hinter sich. Im Schlafzimmer, zu Beginn der Tour, streckt er seinen Spitzbauch noch lustig heraus und will wissen, wo die folks denn so alle herkommen. Die meisten sagen: aus Deutschland. Am Ende steht er gelangweilt unter einem großen Schild, das zum Spendieren eines Trinkgeldes auffordert. Nachdem kein einziger Dollar in seine Hand gewandert ist, weiß er wenigstens, daß er nicht belogen wurde.

Es ist Herbst in Key West, immer noch heiß, fast 90 Grad Fahrenheit, trotz ständiger Bewölkung. Doch bei aller Feuchtigkeit kriegt man um diese Jahreszeit wenigstens genügend Luft. In den Straßen hat man Platz. Und selbst im Hause Hemingway, jenem Ort, an dem sich die Touristen an den meisten Tagen des Jahres unabgesprochen zusammenfinden, als folgten sie einem geheimen Plan zu Massenversammlungen, herrscht relative Ruhe.

Auf der Whitehead Street fährt der omnipräsente orangefarbene Conch-Train vorbei, aber nur eine Handvoll Kameras klicken. Im Bookshop stehen Stapel von Ernests Hinterlassenschaft. Sichtlich kaum angetastet. Selbst die etwa 50 Katzen, die den Garten bevölkern und von denen einige „direkte Nachkommen“ jener Viecher sein wollen, die der Sage nach einst der Hausherr in ähnlicher Zahl um sich scharte, können ungestört im Gras schnarchen oder sich an den vielen Schüsseln dick und fett fressen. Ganz selten kommt es vor, daß sie gepackt und auf die Anzahl ihrer Zehen überprüft werden, wie ihnen das während der Saison geschieht, sobald Justin von der abnormalen Zehenanzahl einer echten Hemingway- Mieze berichtet hat und alles losrast, um mit eigenen Augen zu tatschen. Gut gelogen, sagt die Schriftstellerin Joy Williams, die in Key West lebt und werkelt. Die Katzenviecher hielt sich Ernest erst in den Vierzigern in Havanna. Da war auch Gattin Pauline längst gegen Martha ausgetauscht.

Jetzt ist sowieso Herbst, und Justin erwähnt, was irgendwie auch wieder enttäuschend ist, die Zehen nicht einmal. Erzählt nur von Papa, dem begeisterten Hochseefischer, dem unermüdlichen Großwildjäger, dem enthusiastischen Stierkampffan – aficionado sagt er, wie man das wohl sagen muß –, und daß er meist schon in aller Frühe aus Paulines Armen über die berühmte Hängebrücke in sein Arbeitszimmer schlich, um bis in den frühen Nachmittag zu schreiben. Sehr eifrig und diszipliniert soll er damals gewesen sein, auch beim Saufen. Das kam nach dem Schreiben dran und spielte sich bekanntlich und wie in und um Key West jedes Touristenkind mitzukriegen nicht umhin- kommt, in „Sloppy Joe's“ ab.

Was ein echtes Glück ist, für Sloppy Joe's! Nicht zuletzt oder eigentlich nur deshalb spielt es sich auch heute noch dort ab. Nur wo Hemingway draufsteht, ist der alte Mann auch drin. Und mehr. T- Shirts, Bierbecher, jeder nur denkbare Schnick, jeder nur herstellbare Schnack hat den Kopf vom Ernest drauf. Trinken muß man selbstredend „Papa Dobles“, jenen Rum-Cocktail, den auch Papa früher schluckte. Am besten einen nach dem anderen. Wie der Meister früher.

Ein klitzekleines Problem gibt es allerdings, das so manchen grundsätzlich gutgewillten Freund der Literatur irritiert: Ernest trank zwar bei seinem Kumpel „Sloppy“ Joe Russell, der hatte allerdings seine Kneipe damals nicht auf der Duval Street, sondern bis 1937 ein paar Meter weiter auf der Green Street. Am alten Ort schenkt seit vielen Jahren, wenn er nicht gerade wie dieser Tage alle verfügbare Zeit braucht, um für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren, Captain Tony aus. „Captain Tony“ ist also „The Original Sloppy Joe's“, der Originalschauplatz. „Sloppy“ hat aber den richtigen Namen...und der zählt.

Deswegen ist Sloppy Joe's auch schon zur Mittagsstunde gerammelt voll. Mit Touristen. Einheimische gibt es auf der Duval Street trotz aller Versprechungen im Werbeblock von „Key West's only Rock 'n' Roll Station“ weder dort noch irgendwo vor einer Theke oder einem Ladentisch. Sloppy heißt im übrigen schlampig, und selten ist eine Kaschemme ehrlicher benannt worden. Der Laden ist ein muffiges Drecksloch mit seinen geschmacklosen Wimpeln, die von der verdreckten Decke stauben. An den Wänden hängt natürlich jenes Bild, das einen in Key West schon fast verfolgt: Papa, der Fischerkönig, mit seinem berühmtesten Fang, einem riesigen Florida Marlin. Den hat er rechtmäßig erledigt, mit der Angel und im ehrlichen Kampf Mann gegen Tier. War allerdings Not am Fisch, griff der enthusiastische Tötungsexperte auch schon mal ganz unkonventionell zum Maschinengewehr. Der Fisch hängt mit dem Kopf nach unten und guckt dem Anlaß entsprechend ernst. Und Hemingway lacht auch nicht, er guckt so stolz, als hätte er just und mindestens, sagen wir, den Nobelpreis für Literatur gewonnen.

An diesem beeindruckenden Ort zeigt sich wieder einmal, daß die Deutschen große Bewunderer großer Literatur sind. „Where're you from“, wo kommt ihr her, spielen just auf der Bühne wie so oft oder eigentlich immer zwei angestrengt-flotte Musikusse. Na? „From Germany? Germany? Germany?“ Tun auch noch überrascht. Alles voller Deutscher. Alle frohgemut.

Im Miami Herald zählt man täglich tote Touristen, doch the real thing ist 152 Meilen entfernt. „Kein Grund zur Panik“, sagt Andy Newman, Sprecher des County Tourist Development Council, „wir müssen nur das tun, was wir immer tun: die positiven Seiten von Key West herausstellen.“ Eigens eingeladene deutsche Reisebüroangestellte werden eilig mit dem Bimmelbähnchen durch die Stadt gefahren. Auch sie landen selbstredend in Sloppy Joe's. „Gutten Tack, Oktouberfest, Sauerkraut“, jubeln dort die Bühnenkomiker.

Ein paar Häuser weiter die Duval Street rauf, weg vom Golf von Mexiko Richtung Atlantik: Im „The Bull & Whistle“ warnt der dortige Barde, ein resignierter Saufkopf namens Michael McClout: „Wünschen Sie sich was, oder ich passe die Songs Ihrem Kleidergeschmack an.“ Und zur Erklärung: „Das wollen Sie doch sicher nicht.“ Und zwanzig Minuten später sagt er: „Wünschen Sie sich was, oder ich passe die Songs Ihrem Kleidergeschmack an.“ Und noch mal zwanzig Minuten danach noch mal. Und morgen wieder. Übermorgen auch. Erfreulicherweise kriegt er den einen oder anderen Dollar und spielt also brav „American Pie“, „Heart of Gold“ und ähnliches Zeugs, was man sich halt so zu wünschen hat. Erzählt, daß er das alles schon zum Erbrechen satt hat. Nun ja. Das Bier ist hier 75 Cent billiger als bei Sloppy Joe's.

Wenn Michael, der sein Bier umsonst kriegt, allerdings allzu melancholisch wird, weil andere Helden geworden sind und er nur vor beschissenen Touristen in dieser Spelunke singen muß, wird es allerhöchste Zeit, aus dem muffigen Halbdunkel des „Bullen“ heraus auf die Duval zurückzukehren und Richtung Süden zu marschieren. Irgendwann kommt man dann zum Southernmost Point, der südlichsten Stelle der Vereinigten Staaten. „90 Meilen bis Kuba“, steht auf einer gelbblauroten Tonne. Dahinter plätschert dunkelblau und nicht weiter erwähnenswert der Atlantik. Jene Tonne aber ist ein, vornehm ausgedrückt, ungewöhnliches Monument. Macht sich aber prima auf Farbbildern. Besichtigen tut man sie folgendermaßen: Man schleicht mit dem Wagen die Whitehead hoch, verlangsamt, bevor die Straße einen Knick macht, auf Schrittgeschwindigkeit, springt raus, stellt die Familie vor das Gebilde, klickt, springt ins laufende Auto zurück und fährt weiter.

Übrigens ist am South Beach alles southernmost! Es gibt das Southernmost Motel mit seinen zwei Pools, einem in der Mitte des Parkplatzes, einem neben dem Parkplatz, eine Southernmost Clinic, in der ein Joe Autos therapiert, ein Southernmost Café, in dem Jerome von 6 a.m. bis 4 a.m. Drinks ausschenkt. Was er in den verbleibenden beiden Stunden treibt, weiß der Teufel.

Das ist hier eine laute Gegend, im Frühjahr kommen die Studenten und machen Rabatz. Dafür zahlen sie im Atlantic Shores Motel mit seiner berüchtigten Pool- Bar 125 Dollar pro Nacht. Weil, wie das Management argumentiert, die so viel Unordnung machen. Im Herbst ist es anders. Da zahlt man 50 Dollar pro Zimmer, was der Sache schon näher kommt. „Das ist der absolute Tiefpreis“, sagt die Managerin, drunter geht nichts. Während sie das sagt, nimmt sie telefonisch Reservierungen für den Winter entgegen. Da kosten die Zimmer schon wieder 100. Nein, sagt sie, einen Strand haben wir hier nicht, aber, ja natürlich, einen Pool.

Die Strände sind wirklich selten unansehnlich. Aber nach Key West kommt auch keiner zum Sonnen und Baden. Warum sonst? Vermutlich zum T-Shirt-Kaufen. Muß so sein. Jedes Jahr nehmen die T-Shirt-Läden auf der Duval zu, ebenso die Buden, die Nachschub herankarren, für die Snorkel-Trips, das Scuba-Tauchen, die Glasbodenboote. Bitte, man muß es zugeben: Es zwingt einen keiner, auf dieser seltsamen Straße rauf und runter zu fahren, abends sogar zu gehen. Und doch ist es wie ein Zwang. Es ist wie ein Traum. Der letzte Traum. Den man auf keinen Fall auch noch durch unnötige Rationalität platzen sehen will. 42 Brücken führen mitten durchs Meer in dieses mythische Paradies! Tropische Wärme, ewige Bräune, gute Laune als Grundrecht, und unter Palmen den Herrgott einen guten Mann sein lassen? Ach, Leben! Wo, wenn nicht einmal hier?

Am Mallory Square sucht eine Handvoll Menschen im bewölkten Himmel nach der Sonne. Im Reiseführer haben sie gelesen, daß sie nirgends so ergreifend untergeht wie hier. „Wasting away again in Margaritaville“ spielt eine weitere erfolglose Band frustriert aus Rick's Café heraus. Gegenüber bei Sloppy Joe's hört man eine Stimme kreischen: „Bumsen, bumsen, what is bumsen?“

Hemingway hätte es sicher gewußt, denn der sprach mehrere Sprachen und auch, so heißt es, perfekt Deutsch. „Lieber Gott, ist das ein schönes Land!“ rief er einst aus und blieb zehn Jahre auf der Insel. 1939 hatte er aber dann doch genug und ging nach Kuba. In seinem zwei Jahre zuvor veröffentlichten Roman „To Have and Have Not“ sieht er Key West ganz und gar nicht mehr so schön. Und das Ende des Protagonisten Harry Morgan, eines Schmugglers und Mörders, ist traurig. Und tödlich. Aber gerecht, bitte schön: Dieser Harry ist, man muß es sagen, ein rechtes Arschloch gewesen.

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