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Von Mauern und Mauer- blümchen

Neue politische Jugendliteratur: Das Szenario eines neuen Faschismus; Rechtsradikale aus Langeweile um Lady Mary  ■ Von Edith Kresta

Deutschland entpuppt sich abermals als guter Nährboden für nazistische, rassistische Ideologien. Rechtsradikale Gewaltakte sind an der Tagesordnung. Das Jugendbuch „Der Schlund“ greift solche Ausbrüche auf und entwirft das Szenario eines neuen Faschismus in Deutschland.

Der Werbefritze Schlott wird durch den Sieg seiner rechtsradikalen Partei zum Diktator. Er läßt – zur Abwehr von Asylbewerbern – eine Mauer um das ganze Land ziehen, verschickt Aidskranke und Behinderte in Lager, eliminiert kritische Elemente, läßt unerwünschte Bücher verbrennen. Seine „schwarze“ Polizei überzieht das Land mit gewalttätiger Repression, und seine Büste lächelt die duckemäuserischen Deutschen an, wo sie gehen und stehen. Alles im Griff und alles wie einst. Um mit der Arbeitslosigkeit und Rezession fertig zu werden, bietet sich der Anti-Ausländerschutzwall geradezu an. Die Autobahnen sind ja schließlich schon fertig.

Familie Lorbach, mit einem behinderten und einem adoptierten dunkelhäutigen Kind, wird zum Opfer des Terrors. Vater, ein linksliberaler Journalist, muß ins Exil flüchten, das schwarze Adoptivkind kommt ins Lager, das behinderte Kind wird als „unwertes Leben“ getötet, woran der ideologisch-rechte Teil der Verwandtschaft nicht unschuldig ist. Die Familie bricht auseinander.

Die Trägodien und Brutalitäten, denen die Protagonistin des Romans, die siebzehnjährige Tochter Gesa ausgesetzt ist, nehmen kein Ende. Bei alldem bleibt sie stark, kämpferisch und aufopfernd. Sie kümmert sich um die behinderte Schwester, rettet den verfolgten schwarzen Bruder und tritt schließlich öffentlich auf der Abitur-Abschlußfeier gegen das Regime und die völlig angepaßte Öffentlichkeit auf. So totalitär wie das Regime spaltet die Autorin Gudrun Pausewang die Welt in Gut und Böse. Die aufrechte Gesa macht so auch keine Entwicklung durch, sie lebt nicht mit Ängsten und Widersprüchen. Die gute politische Absicht sei der Autorin zugestanden; aber vierzehn- bis siebzehnjährigen (noch) pubertierenden Jugendlichen wird es sicherlich schwerfallen, sich mit ihrem Weltschmerz in diesem nur braven, fleißigen, klugen Mädchen wiederzufinden. Der Roman kommt teilweise unerträglich platt und phantasielos daher: Eine Schablone der nazistischen Vergangenheit wird über das Heute gelegt und mit modernen Versatzstücken zwischen Grün und Aids traumatisch aufgemotzt. Ein spekulatives Schauergemälde, leblos, moritatenhaft, wenig überzeugend.

Wesentlich differenzierter entwickelt Gunter Preuß in „Stein in meiner Faust“ seinen Protagonisten „Einsamer Büffel“, auch „Killer“ genannt. Er streift durch die Straßen von Leipzig. Er ist ziel-, lust- und orientierungslos, voller Angst und Aggression. Allein ist er nichts. Sich einer Truppe rechsradikaler Skins anzuschließen, empfindet er als persönliche Aufwertung. Vor allem die unberechenbare Chefin der Szene, Lady Mary, hat es ihm angetan. Einst rief sie bei der Montagsdemo „Wir sind das Volk“, heute zündet sie Asylbewerberheime an. Die ausgeflippte Mädchen-Frau ist Nutte, verwöhnte Bürgerstocher und Vorkämpferin ihrer „Weltrevolution“ in einem. Und sie haßt wie er. Nicht nur ihn hat sie unter ihrer Knute: Ihre auch sich selbst gegenüber erbarmungslosen Grenzüberschreitungen machen sie zur kompromißlosen Antreiberin. Sie ist schriller Mittelpunkt der Gruppe.

Die Gruppe mit ihrem Frust an der Welt übertönt die Angstgefühle ihrer Mitglieder mit Aktionismus, verpackt in nazistische Ideologien: „Da hatte Paloma einen Kiosk abrasiert; Stuka hatte zwei Fidschis aufgeklatscht; Kruppstahl, Werni, Rostfraß und Maradona hatten die Bullen mit einer Stinkbombe aus dem Revier geräuchert. Die Mädchen Rakete, Messerscharf, Dymanit, Arsen und wie sie sich noch rufen ließen, waren dabeigewesen und hatten kräftig mitgemischt.“

„Der einzelne ist nichts... Aber die Gemeinschaft, das Kollektiv ist alles“, hatten die im DDR-System überangepaßten Eltern ihrem Sohn eingebleut. Ihre Eiseskälte und ihr zombiehaftes fleißiges Dahinleben mit sozialistischen Idealen im Kopf und Stasiverbindungen an der Hand, haben den Haß des Protagonisten geschürt. Doch in seinem neuen Koordinatensystem, in der Gruppe, stößt er auf die alten Muster: „Es wird dir gut gefallen in der Organisation. Einer für alle, alle für einen“, sagt ihm die bewunderte Lady Mary. Disziplin, Härte gegen sich selbst und andere, zwanghafte Identifikation mit einer Ideologie und Pflichterfüllung – der in der Gruppe ausgelebte Haß auf „die Säue“ – wirft ihn auf deren Werte zurück. Der einzelne zählt auch hier nichts. Sein Ausbruch aus dem sozialistischen Vorzeige-Elternhaus zu den rechten Skins wirft ihn ins alte Gefängnis zurück: hinter die kalten Mauern völliger Lieblosigkeit und Wertlosigkeit des einzelnen.

Dennoch brandschatzt und bombt er mit. Ausruhen von den Strapazen des rechten Terrors und den aggressiven Sexspielen seiner untreuen Herzdame kann er sich einzig bei dem verschrobenen alten Sombrero. Der nimmt ihn, wie er ist. Der Alte ist angeschlagen und schwach wie er selbst, allerdings ehrlich. Das erleichtert dem Jungen den Zugang zu ihm.

Einsamer Büffel taucht immer tiefer in die rechtsradikale Szene ab. Seine Haltlosigkeit und seinen Frust wird er dabei nicht los, aber er ist nicht allein. In der Gruppe zählt, woran er scheiterte, doch gerade dies ist ihm letztendlich vertraut: Brutaler Aktionismus, ideologisch verbrämt, schützt auch vor einer wirklichen Beziehung. Keiner der „Kameraden“ scheint zu einer solchen fähig, auch nicht die vergötterte Lady Mary. Mit spannenden Verwicklungen und detaillierten Schilderungen führt der Roman durch die grauen Straßen und bröckelnden Hinterhöfe Leipzigs, die konspirativen Keller und in die Köpfe der Gang. Das Buch beschreibt das kalte Nichts in den gestörten menschlichen Beziehungen.

Grudrun Pausewang: „Der Schlund“. Otto Maier Ravensburg, 207 Seiten, geb., 24,80DM.

Gunter Preuß: „Stein in meiner Faust“. Otto Maier Ravensburg, 298 Seiten, geb., 20DM.

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