: Ökologie ist Problem, nicht Lösung
Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie harrt seiner Auflösung ■ Von Niklaus Hablützel
Das Rezept klingt gut, nicht nur in den Ohren grüner Politiker. „Umweltschutz schafft und sichert Arbeitsplätze“, schrieb denn auch der DGB in seine „Prüfsteine“ zur letzten Bundestagswahl. Variationsreich zieht sich das Argument durch wirtschaftspolitische Erklärungen der CDU, und für Sozialdemokraten ist es sogar ein Grundpfeiler dessen geworden, was sie „ökologische Modernisierung“ der Gesellschaft nennen. Gar so harmonisch kann der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie wohl nicht aufgelöst werden, erst recht nicht im Osten Europas, wo mit der dringend nötigen Sanierung der Altlasten geradezu ein Eldorado auf die dortigen Arbeitslosen zu warten scheint.
Die wirksame „Beschäftigungsfalle“
Sylke Nissen, Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle, hat bereits eine Aufsatzsammlung über das Versagen der Umweltpolitik in den heranwachsenden Volkswirtschaften Osteuropas veröffentlicht. In einer neuen Studie versucht die Politologin nun, die Schwierigkeiten grundsätzlicher darzustellen. Im hochentwickelten Westen sind sie am besten zu erkennen. Gerade hier, so die Autorin, gerät die Umweltpolitik regelmäßig in die sogenannte „Beschäftigungsfalle“: Umweltschutz widerspricht im Ernstfall immer noch dem Interesse am eigenen Arbeitsplatz ebenso wie dem Interesse am Profit des Unternehmens – und zwar auch dann, wenn alle Beteiligten versichern, wie wichtig ihnen die Belange der Ökologie seien.
Es handelt sich stets um Beschwörungen des Sankt-Florians- Prinzips. Drei breit ausgeführte Beispiele, die den Hauptteil des Buches ausmachen, illustrieren den typischen Verlauf umweltpolitischer Streitfälle: die Pentachlorphenol-Produktion der Dynamit Nobel in Rheinfelden, der Bau eines neuen Lkw-Werkes der Daimler-Benz AG in Rastatt und die Zellstoffabrikation in Kärnten (Österreich).
In keinem dieser Fälle haben Unternehmen oder Kommunen in ökologischen Maßnahmen irgendeinen ökonomischen Vorteil, gar einen möglichen Zugewinn von Arbeitsplätzen erkennen können. Die Resultate der jeweils jahrelangen Auseinandersetzungen mit Umweltschützern sind dennoch unterschiedlich: Dynamit Nobel gab nach eigenem Bekunden dem politischen Druck nach und stellte die umstrittene Produktion ein, sobald ein Großteil der Beschäftigten in einem anderen, inzwischen erweiterten Betriebszweig Arbeit gefunden hatte. Daimler-Benz und der Landkreis Rastatt ließen sich Landschaftsreparaturen dafür abhandeln, daß der Konzern seine Fabrik auf einem überaus sensiblen und geschützten Teil der Rheinauen bauen durfte. Ironie der Geschichte: Wegen der schon damals erkennbaren Absatzkrise der Autobranche ist das Werk bis heute nicht gebaut worden.
Zwei besonders schmutzige Zellstoffabriken in Kärnten schließlich wurden stillgelegt, als einerseits die Besitzer das wirtschaftliche Interesse an ihnen verloren und andererseits ein Landespolitiker eine Profilierungschance gegen Sozialdemokraten und Konservative wahrnahm, die beide die Umweltverschmutzung um der Arbeitsplätze willen geduldet hatten. Ironie der Geschichte auch hier: Der Aufsteiger war Jörg Haider, heute rechtsnationaler Chef der österreichischen Liberalen. Nationalistische Töne gegen die slowenische Besitzerfirma waren schon in seinen Parolen gegen die Zellstoffabriken unüberhörbar.
Kaum neue Jobs durch Ökologie
Alle drei Fälle liegen Jahre zurück, am Prinzip hat sich nichts geändert. Die These, daß Umweltschutz Arbeitsplätze und Marktchancen sichere, versuche lediglich, „ein mikroökonomisches Problem makroökonomisch zu lösen“, schreibt Sylke Nissen. Auch die heute vorliegenden Analysen der Wirtschaftsdaten zwingen zu pessimistischen Schlüssen. Aus dem Jahr 1984 stammt die letzte seriöse Schätzung des Beschäftigungseffekts ökologischer Maßnahmen. Danach waren in der damaligen Bundesrepublik 433.000 Personen im Umweltschutz tätig. Allerdings ist diese Zahl mit etlichen Schönheitsfehlern behaftet: Zum Umweltschutz zählten plötzlich auch alte Dienstleistungen wie Schornsteinfegen, Müllabfuhr und Schrotthandel. Sie können nicht als Zugewinn verbucht werden. Der weitaus größte Teil neuer Arbeitsplätze entstand ferner im sogenannten End-of-pipe-Geschäft, also im Umbau vorhandener Anlagen. Solche Arbeitsplätze dürfen aber gar nicht auf Dauer eingerichtet werden, sie widersprächen sonst ihrem ökologischen Zweck. Der Anteil perspektivenreicher Jobs in neuen ökologischen Branchen ist noch immer verschwindend gering.
Auf die Frage, wie viele Arbeitsplätze wegen ökologischer Auflagen verloren sind, geht die Autorin nicht näher ein. Wichtiger ist ihr in dieser Hinsicht festzustellen, daß die Industrie kaum je ihre gleichwohl wirksamen Abwanderungsdrohungen wahr machen will. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit dürfte in der Tat andere als ökologische Gründe haben. Aber die Beschäftigungsfalle schlägt auch hier zu. Umweltschutz widerspricht nicht nur dem Interesse am eigenen Arbeitsplatz, er bietet auch den heute Arbeitslosen keine Chance. Ihnen fehlt meist die Qualifikation, und sei es auch nur für End-of-pipe-Jobs. Ältere Berufstätige können deshalb lebenslängliche Opfer von Umweltschutzmaßnahmen werden, zumal ja vor allem überalterte Produktionsanlagen betroffen sind, die sehr spezielle, noch nicht einmal innerhalb des erlernten Berufes übertragbare Kenntnisse erfordert haben. Materialreich belegt Sylke Nissen, wie solche „Sackgassen-Arbeiter“ sich besonders heftig gegen ökologische Reformen wehren, selbst wenn ihnen nachgewiesen wird, daß der Stammarbeitsplatz ihre eigene Gesundheit ruiniert hat.
Arbeitsplatz ja, doch um jeden Preis?
Auswege aus dieser Falle will die Studie nicht anbieten. Sylke Nissen empfiehlt nur, im Interesse der Ökologie die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Das Dreieck aus politischer Verwaltung, Unternehmen und Beschäftigten hat sich bisher als stabil erwiesen: Lohnabhängige wählen Politiker, die solche Betriebe fördern, welche Arbeitsplätze anbieten. Umweltschützer hätten in diesem System erst Platz, deutet die Autorin zum Schluß an, wenn „politische Legitimationsbedürfnisse“ und „individuelle Existenzsicherungsinteressen“ voneinander „entkoppelt“ würden – ein nicht nur sprachlich schwer verständlicher Vorschlag. Einleuchtender – und von den Grünen gelegentlich erwogen – wäre wohl eine Sozialpolitik, die den persönlichen Lebensunterhalt nicht mehr um beinahe jeden ökologischen und gesundheitlichen Preis an den Besitz eines Arbeitsplatzes kettet.
Sylke Nissen: „Umweltpolitik in der Beschäftigungsfalle“. Metropolis-Verlag, Marburg 1993, 249 Seiten, 29,80 DM
Dies.: „Modernisierung nach dem Sozialismus · Ökologische und ökonomische Probleme der Transformation“. Metropolis-Verlag, Marburg 1992, 240 S., 29,80 DM
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