: Chiles Krieg gegen die Natur Von Urs Müller-Plantenberg
Zu den Kosten einer Rezession werden gewöhnlich auch die sichtbar werdenden Umweltschäden gezählt. Die Rechnung ist: Wenn die Wirtschaft wieder wächst, steigen auch die Möglichkeiten, Umweltschäden zu beheben oder ihr Entstehen überhaupt zu vermeiden.
Die Rechnung ist falsch, wie sich am Beispiel Chile zeigt. Nach zwei schweren Wirtschaftskrisen während der Militärdiktatur in den siebziger und achtziger Jahren erlebt das Land einen geradezu zügellosen Aufschwung mit durchschnittlichen Wachstumsraten von über sieben Prozent. Damit ist Chile eines der wenigen Länder, in denen die Wirtschaft gegenwärtig boomt. Aber noch schneller als die Wirtschaft wachsen die ökologischen Probleme bei diesem exportorientierten Entwicklungsmodell, das General Pinochet durchgesetzt und die seit 1990 amtierende demokratische Regierung unter Präsident Aylwin in seinem ökonomischen Kern voll übernommen hat.
Wachsende Exportwirtschaft, das heißt im Fall Chiles steigende Exporte von Holz und Zellulose. Heute wird 20mal mehr Holz exportiert als noch 1970. Um auch mittelfristig Gewinne machen zu können, ist natürlich eine ständige Wiederaufforstung nötig, und die Verantwortlichen verweisen voller Stolz auf die jährlichen 75.000 Hektar Neupflanzungen. Dabei handelt es sich allerdings um Monokulturen von schnellwachsenden Kiefern und Eukalyptusbäumen, die an die Stelle des in Chile sehr artenreichen Naturwaldes treten.
Wachsende Exportwirtschaft, das heißt auch: steigende Exporte von Äpfeln und Weintrauben, Birnen und Kiwis. Auch hier wird auf riesigen Flächen die natürliche Vegetation zugunsten von Monokulturen beseitigt, die bis zu zwölfmal jährlich mit Pestiziden bearbeitet und trotzdem immer häufiger von neuen Schädlingsarten befallen werden. Bei Befragungen klagten 50 Prozent der Landarbeiterinnen und Landarbeiter über Kopfschmerzen und 60 Prozent über Magenprobleme wegen des ständigen Umgangs mit den Giften. Es ist, als wollten die antimarxistischen Vorkämpfer eines lupenreinen Kapitalismus dem guten alten Marx recht geben, der da gesagt hat: „Die kapitalistische Produktion entwickelt ... nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“
Wachsende Exportwirtschaft, das bedeutet aber auch, daß die Möglichkeiten einer Umverteilung eines enorm konzentrierten Reichtums außerordentlich beschränkt sind. Mindestens zum Teil beruht der Erfolg des Modells auch auf den niedrigen Einkommen der ärmeren zwei Drittel der Gesellschaft. Die Exporterfolge steigern also vor allem den Wohlstand der Reichen, deren Konsumlust ungebrochen ist und die sich mit Zweit- und Drittautos gegen die täglichen Fahrverbote für bestimmte Kennzeichengruppen wehren.
Zusammen mit dieser gigantischen Fahrzeugkolonne von Privatautos sorgen 14.000 Busse für ein Abgasgemisch, das ein freies Atmen während der kälteren Jahreszeit überhaupt nicht mehr möglich macht.
Godofredo Stutzin, vor 25 Jahren Gründer des Nationalen Komitees zur Verteidigung von Fauna und Flora (Codeff), hat die Zeit der Militärdiktatur mit einem Krieg verglichen, der zugleich gegen viele Menschen und gegen die Natur gerichtet war. „Es gab“, sagt er über dieFoto: Karsten Krüger
Demokratie, „große Hoffnungen, daß mit dem Krieg gegen die Leute auch der Krieg gegen die Natur aufhören würde“. Aber dazu ist es nach seiner Meinung nicht gekommen. Der Ausrottungskrieg gegen die natürlichen Ressourcen, besonders in den Wäldern und im Meer, geht unverändert weiter. Natürlich wehren sich die Exporteure gegen den Vorwurf des Öko-Dumpings, und mit Recht: Die einzelne Weintraube und die einzelne Kiwi sind nicht umweltschädlicher produziert als in Südafrika oder Frankreich. Das Dumping geschieht im großen Maßstab, in Chile wie anderswo. Chiles Krieg – im Augenblick des Booms besonders heftig geführt – ist nur ein Teil des Weltkriegs gegen die Natur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen